Long-Covid-Patientin beim Lungenfunktionstest (Symbolbild)
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Corona und Long Covid: Wie viele es trifft und wer gefährdet ist

Manche Forschende sehen mit Long Covid eine neue Volkskrankheit auf uns zukommen, andere halten das für übertrieben. Mit teils unkonventionellen Methoden wird versucht, mehr über die Krankheit zu erfahren.

Herzschlag pro Minute, Schritte pro Tag, Schlafdauer pro Nacht: All diese "Vitalparameter" zeichnen Fitness-Armbänder auf. Genau diese drei Werte – Herzfrequenz, Schrittzahl, Schlafdauer – haben Forschende der Humboldt-Universität Berlin rund um Dirk Brockmann und Marc Wiedermann ausgewertet: Daten von rund 8.000 Freiwilligen, die einen positiven PCR-Test hatten und entweder geimpft oder ungeimpft waren. Als Vergleich dienten Personen mit negativem PCR-Ergebnis.

Die Forschenden haben sich die ersten drei Monate der Infektion angeschaut. Bei Personen, die eine Covid-19-Infektion durchgemacht haben, veränderten sich die Parameter über mehrere Wochen: Ruhepuls und Schlafdauer erhöhten sich, die Schrittzahl nahm ab.

Corona-Infizierte haben veränderte "Vitalparameter"

Die Veränderungen waren bei ungeimpften Infizierten noch etwas deutlicher: Ihr Herzschlag stieg zu Beginn der Infektion im Schnitt um 1,7 Schläge pro Minute – im Vergleich zu 1,2 bei Geimpften – und normalisierte sich über die Wochen gesehen etwas langsamer.

Ungeimpfte haben anfangs etwa eine Dreiviertelstunde pro Nacht länger geschlafen. Geimpfte kamen auf knapp 25 Minuten. Die Schrittzahl sank bei beiden Gruppen um bis zu 3.000 pro Tag, wobei Ungeimpfte etwas länger brauchten, um wieder auf die Beine zu kommen.

Schützt die Impfung vor Long Covid?

Die Berliner Forschenden glauben aufgrund ihrer Daten, dass Geimpfte möglicherweise seltener an Post- oder Long Covid erkranken als Ungeimpfte. Bisher ist die Frage ungeklärt, ob eine Impfung vor Long Covid schützt oder nicht. Die Studien sind teils widersprüchlich: Manche konnten einen schützenden Effekt zeigen, andere nicht. Bei Menschen, die schon Long Covid haben und erst dann geimpft werden, verschlimmern sich die Symptome teilweise sogar.

Allerdings könne man auch mit den Daten der Berliner Studie "keine finalen Schlüsse ziehen", sagt Forscher Wiedermann. Denn es sei unklar, wie es den Personen auch länger als drei Monate nach der Erkrankung ginge. Tatsächlich ist der Beobachtungszeitraum dafür zu kurz: Laut Leitlinien-Definition spricht man von Long Covid, wenn die Symptome länger als vier Wochen nach Infektion anhalten, und vom Post-Covid-Syndrom erst nach drei Monaten.

Studien mit Kontrollgruppen fehlen

Es gibt auch inhaltliche Kritik an der Berliner Studie. Der Infektiologe Peter Kremsner von der Universität Tübingen glaubt: Der Unterschied von ein, zwei Herzschlägen pro Minute bei einem Ruhepuls von zum Beispiel 70 sei nicht entscheidend. Auch die unterschiedliche Schlafdauer hält er für nicht relevant – sie könnte ihren Grund, ganz banal, im Daheimbleiben-Müssen haben. Und die reduzierte Schrittzahl könnte sich gerade in der Akutphase der Erkrankung durch unterschiedliche Wohnsituationen von Geimpften und Ungeimpften erklären, glaubt Kremser: Die einen haben vielleicht einen Garten, die anderen nicht.

Um solche Effekte auszuschließen, müsse man die Probanden direkt beobachten – und Kontrollgruppen haben, die in gleicher Weise behandelt werden. Das hieße, Gesunde in Quarantäne zu schicken und zu beobachten, wie sich ihre Vitalparameter verändern. Auch diese Personen würden sich "ein paar Wochen nachher vielleicht nicht ganz so fühlen wie vorher", glaubt Kremsner.

Ob Long Covid zur neuen Volkskrankheit wird, ist unklar

Zurzeit ist das genau das Grundproblem bei Long Covid: Es fehlen gute, "prospektive" Studien – also solche, die Probanden beobachten. Deshalb ist auch unklar, wie viele Menschen betroffen sein könnten. Handelt es sich wirklich um "die" neue Volkskrankheit oder ist das übertrieben? Die Wissenschaft hat darauf noch keine Antwort.

Unbestritten ist: Es gibt Long Covid, und die Symptome können gravierend sein. Fallberichte zeigen, dass Betroffene sich erschöpft fühlen, chronische Kopfschmerzen haben und sich schlechter konzentrieren können. Ist das Krankheitsbild besonders ausgeprägt, ähnelt es dem Chronischen Fatigue-Syndrom, das auch nach anderen Virus-Erkrankungen auftritt.

Keine guten Diagnosemöglichkeiten

Doch für die Betroffenen gibt es zwei Probleme. Erstens: die mangelnden Diagnose-Möglichkeiten für Long Covid. Ein eindeutiger Biomarker, also ein Nachweis im Blut, fehlt. Eine Augenuntersuchung kann Durchblutungsstörungen zeigen, aber diese Veränderungen treten auch bei anderen Krankheiten auf. Weil Long Covid schwer greifbar ist, werden Betroffene schnell mit psychischen Problemen in Verbindung gebracht.

Long Covid: Hoffnungsträger Herzmedikament

Das zweite Problem: Es gibt kaum Therapiemöglichkeiten. Bisher werden nur die Symptome gelindert, etwa mit Medikamenten gegen Schmerzen und Schlafstörungen. Gezielte Mittel lassen auf sich warten. Etwa das Medikament BC 007: Es ist gegen Herzkrankheiten entwickelt worden und hat in einer kleinen Studie vier Patienten von Long Covid geheilt, von denen einer aber einen Rückfall bekommen hat.

Der Infektiologe Christoph Spinner vom Münchner Klinikum rechts der Isar dämpft die Erwartungen. Es gebe nur einzelne Fallberichte, und man befinde sich noch mitten in der Studienphase. Außerdem müsse erst einmal die Gruppe derer festgelegt werden, für die das Arzneimittel im Kontext Long Covid überhaupt eingesetzt werden könne.

Wenn überhaupt – das zeichnet sich schon jetzt ab – käme es nur für eine kleine Gruppe von Long Covid-Patienten in Frage. Nämlich solche, bei denen sich Autoantikörper gegen die eigenen Blutgefäße richten. Schneller dürfte es eine Antwort auf die Frage geben, inwieweit die Impfung vor Long Covid schützt. Die Forschenden der Humboldt Universität Berlin wollen dazu beitragen: Indem sie ihre Probanden jetzt auch über die drei Monate hinaus befragen.

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