Was eine Welle in einer Pandemie bedeutet, war in den vergangenen zwei Jahren mehrmals zu beobachten: Immer mehr Menschen stecken sich in immer kürzerer Zeit an. Die Folge: Die Infektionszahlen steigen rasant. Wie bei anderen Pandemien und Epidemien breitet sich das Coronavirus Sars-CoV-2 exponentiell aus. Die Zahl der Infizierten steigt in einem bestimmten Zeitraum um den gleichen Faktor. Das bedeutet: Die Infektionszahlen gehen nicht stetig und gleichmäßig nach oben, sondern zunächst langsam, dann aber sehr schnell. So war das bei den bisherigen Wellen, für viele kommt es aber immer wieder überraschend.
Ob sich eine Coronavirus-Infektionswelle aufbaut und wie sie sich entwickelt, hängt im Wesentlichen von drei Faktoren ab: Erstens vom Virus selbst, zweitens vom Immunstatus der Bevölkerung und drittens von den Möglichkeiten, die das Virus hat, sich auszubreiten.
Das Virus
Neue Varianten des Coronavirus haben schon mehrere Male überraschend den Verlauf der Pandemie verändert. Das Virus mutierte und entwickelte neue Varianten mit neuen Eigenschaften. Das kann es auch in Zukunft tun. Mutationen können beeinflussen, wie ansteckend das Coronavirus ist und wie krank es macht. Mutationen können auch dazu führen, dass das Virus der Immunantwort des Körpers entkommen kann, die sich nach Impfung und/oder Infektion aufbaut.
In welche Richtung sich das Coronavirus entwickelt, lässt sich nicht voraussagen. Eine neue Variante kann weiter in die Richtung von Omikron BA.1 oder Omikron BA.2 gehen. Die nächste Welle kann aber auch eine Variante auslösen, die eher Delta oder Alpha ähnelt oder einen ganz anderen Entwicklungsweg genommen hat.
Der Immunstatus
Viele Menschen sind inzwischen gegen Covid-19 geimpft, haben eine Infektion hinter sich oder beides. Ihr Immunsystem hat deshalb bereits Bekanntschaft mit dem Coronavirus gemacht und erkennt es, wenn es ihm beim nächsten Mal begegnet. Durch Impfung und Infektion entwickelt sich mit der Zeit eine Grundimmunität, die zwar (noch) nicht unbedingt vor einer erneuten Infektion schützt, aber sehr gut vor einem schweren Krankheitsverlauf. Dieser droht insbesondere Menschen ab etwa 60 Jahren. In dieser Altersgruppe sind allerdings in Deutschland viele noch nicht geimpft, anders als in anderen Ländern. Bei der nächsten Infektionswelle sind sie erneut in Gefahr, so wie auch jene, bei denen die Impfung nicht gut anschlägt. Dazu zählen zum Beispiel Organtransplantierte und Menschen mit Vorerkrankungen wie Rheuma, die bestimmte Medikamente einnehmen müssen.
- Zum Artikel: Inzidenz, R-Wert, Impfquote: Welche Corona-Zahlen zählen
Für den Verlauf einer Infektionswelle bedeutet das: Bei einem guten Immunstatus der Bevölkerung steigen die Infektionszahlen möglicherweise rasch stark an. Der Schutz vor einem schweren Verlauf mildert jedoch die Folgen. Das zeigt der Vergleich der Zahlen von Infektionen und Todesfällen in Hongkong und Neuseeland. Während in Hongkong, wo nur eine Minderheit der über 80-Jährigen geimpft ist, die Zahl der Todesfälle mit der Omikron-Welle in die Höhe schnellte, stieg in Neuseeland, wo 98 Prozent geimpft sind, die Zahl der Covid-19-Opfer nur leicht an. Eine Auswertung der Zahlen der Johns-Hopkins-Universität in den USA zeigt das sehr deutlich.
Die Ausbreitungsmöglichkeiten
Das Coronavirus breitet sich über die Atemluft aus. Ideale Voraussetzungen hat es daher, wenn sich viele Menschen in einem geschlossenen Raum längere Zeit und ungeschützt ohne Masken dicht zusammendrängen. Viel Platz und frische Luft bremsen dagegen die Ausbreitung des Virus. Deshalb gab es in den vergangenen beiden Sommern weniger Ansteckungen und vermutlich wird das auch im kommenden Sommer wieder so sein. Im Herbst aber, wenn sich die Menschen meist in Innenräumen aufhalten, wird es wieder mehr Übertragungsmöglichkeiten geben.
Wenn sich dann eine Welle aufbauen sollte, lässt diese sich wieder nur mit den bekannten Maßnahmen aufhalten, also mit dem Tragen von Masken und, wenn das nicht reicht, mit Kontaktbeschränkungen.
Die Folgen einer Welle
Wie schnell und wie weit die Infektionszahlen in die Höhe schnellen, ist aber nur ein Aspekt der Welle. Es kommt auch darauf an, welche Auswirkungen sie hat. In der Omikron-Welle waren und sind die Inzidenzen um ein Vielfaches höher als in vorausgegangenen Wellen. Trotzdem sind die Eindämmungsmaßnahmen weit weniger einschneidend und sollen sogar bald komplett fallen. Die Omikron-Variante verursacht seltener einen schweren Krankheitsverlauf, vor dem die meisten Menschen zudem bereits durch eine Impfung gut geschützt sind.
Statt auf die Inzidenzzahlen wird derzeit mehr darauf geschaut, wie viele Menschen wegen Covid-19 ins Krankenhaus müssen oder auf die Intensivstation. Beobachtet wird auch der Krankenstand bei den Beschäftigten in der Pflege, bei der Feuerwehr und anderen Teilen der kritischen Infrastruktur. Wie viele sind akut krank, wie viele in Isolation oder Quarantäne und wie viele fallen wegen Long Covid länger aus? Die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit spiegelt dabei nicht unbedingt die tatsächliche Situation wider: Derzeit sind die Zahlen bei Infektionen, Krankheits- und Todesfällen hoch, ebenso die Belegungszahlen in den Kliniken und die Arbeitsausfälle beim Personal. Gleichzeitig wird darüber diskutiert, wie rasch möglichst viele Eindämmungsmaßnahmen beendet werden.
Nächste Welle spätestens im Winter
Christoph Spinner, Infektiologe und Pandemiebeauftragter am Klinikum rechts der Isar der TU München, rechnete Mitte Februar im BR-Podcast Corona-News mit sinkenden Fallzahlen in den Frühlings- und Sommermonaten. Spätestens im nächsten Winter werde sich dies aber wieder umkehren. Nicht nur dann sei mit einer Welle zu rechnen.
Die sogenannten vulnerablen Personen müssten sich immer in den Wintermonaten auf eine Zunahme der Infektions- und Krankheitsfälle einstellen. Dazu zählen vor allem ältere Menschen jenseits der 60 Jahre und Erkrankte mit einem chronischen Immundefekt. Diese werden nach Spinners Ansicht wie bei der Grippe eine saisonale Auffrischung des Impfschutzes brauchen.
Schleimhautimmunität könnte Wellen beenden
Eine Covid-19-Impfung schützt sehr gut vor einem schweren Krankheitsverlauf. Die Gefahr massenhafter Arbeitsausfälle bleibt aber bei einer neuen Welle erhalten. Sie wäre erst gebannt, wenn das Virus sich nicht mehr so leicht von Mensch zu Mensch weiterverbreiten kann. Das wäre der Fall, wenn die Menschen eine Schleimhautimmunität an den oberen Atemwegen entwickeln würden, sagte Christian Drosten im Podcast Coronavirus-Update vom 01. März. Diese ließe sich mit Lebendimpfstoffen erreichen, die zum Beispiel als Nasen- oder Rachenspray auf die Schleimhaut gegeben werden könnten. Allerdings sind solche Impfstoffe noch in der Entwicklung.
Der andere Weg sei auf mittel- und langfristige Sicht nach heutigem Ermessen, wenn sich die jüngere, geimpfte Bevölkerung ohne Risikofaktoren nach und nach infizieren würde. Das sei "ganz einfach ausgedrückt, das Argumentieren für Infektionen auf dem Boden einer vollständigen Impfung, also einer dreifachen Impfung", aber nicht für Durchseuchung. Das sei etwas anderes.
Fazit
So lange in der Bevölkerung keine ausreichende Grundimmunität erreicht ist, wird es immer wieder zu neuen Infektionswellen kommen. Diese können auch ineinander übergehen, wenn eine Variante ihre Vorgängerin ablöst, wie das die ansteckendere Omikron-Variante mit Delta getan hat und die Omikron-Untervariante BA.2 mit BA.1. Das effektivste Mittel gegen die Folgen einer Infektionswelle sind Impfungen. Sie schützen sehr gut vor einem schweren Krankheitsverlauf, aber (noch) nicht langanhaltend und gut vor Infektionen. Eine hohe Impfquote, besonders bei Älteren, reduziert jedoch die größte Gefahr, die von einer Welle ausgeht, nämlich viele Infizierte mit schweren oder sogar tödlichen Krankheitsverläufen, bei denen ein Kollaps des Gesundheitssystems droht.
Sollte sich also im Herbst eine neue Welle aufbauen und die Impfquote auch dann weiterhin niedrig sein, muss die Bevölkerung wieder auf Gefährdete ohne Impfung und andere Risikogruppen Rücksicht nehmen und Maßnahmen akzeptieren, um die Infektionszahlen unter Kontrolle zu halten. Eine hohe Impfquote hingegen kann eine neue Welle zwar nicht vollständig verhindern. Die noch akzeptablen Infektionszahlen können aber höher sein und die Maßnahmen, um die Welle zu brechen, weniger einschneidend.
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