Wann die nächste Corona-Welle kommt und wie bedrohlich sie ausfallen wird, an dieser Frage arbeiten sogenannte "Modellierer". Fortlaufend füttern sie komplexe Computermodelle mit dem, was wir bislang über das Virus wissen, und berechnen, wie sich die Pandemie weiterentwickeln könnte.
Für Alexander Kuhlmann, Gesundheitsökonom und Modellierer an der Universität Halle-Wittenberg, ist klar: Die nächste Infektionswelle kommt so gut wie sicher. Nur wann, ist schwierig zu sagen, weil die zwei größten Unsicherheiten in der Rechnung sehr komplex sind: das Übertragungsrisiko und die Krankheitslast. Beide Faktoren hängen von sehr vielen Größen ab und ändern sich mit der Zeit.
Wie lange hält der Immunschutz?
Je nachdem, wie lange die letzte Impfung zurückliegt, welcher Impfstoff verwendet wurde, und wann man sich zuletzt mit welcher Variante angesteckt hat, ist man besser oder schlechter vor einer erneuten Ansteckung geschützt. Immerhin: Wer dreifach geimpft ist und sich seit Anfang des Jahres mit einer der Omikron-Varianten angesteckt hat, sei auch jetzt besser geschützt, erklärt der Pandemiebeauftragte des Klinikums rechts der Isar der TU München, Christoph Spinner.
Das liege wahrscheinlich auch daran, dass sich eine sogenannte "Hybridimmunität" einstelle, die auch vor der Omikron-Variante BA.5 schützt, die sich seit dem Sommer in Deutschland ausgebreitet hat und bis jetzt hartnäckig hält. "Ob das auch für zukünftige Virustypen noch so gilt, das ist allerdings unklar", gibt Spinner zu bedenken.
- Omikron-Infektion: Wie lange bin ich ansteckend und immun?
Neue Phase der Virenevolution: "Variantensuppe"
Der Bioinformatiker Cornelius Römer beobachtet am Biozentrum der Universität Basel den Stammbaum der Corona-Viren und hat im Blick, wenn irgendwo auf der Welt neue Varianten entstehen. Bislang sei das relativ überschaubar gewesen. Auf einer Stammlinie ist eine mutierte Variante aufgetreten, die erfolgreicher war als die anderen, die sich durchgesetzt und für die nächste Welle gesorgt hat.
Jetzt aber gebe es eine regelrechte "Variantensuppe". Überall würden ähnliche Mutationen, aber auf unterschiedlichen Stammlinien entstehen. So gäbe es Geschwister- bis entfernte Cousin-Viren, die ähnlich aussehen, aber andere Vorfahren haben. Diese müsse man alle gleichzeitig beobachten, sagt der Bioinformatiker. Einige könnten schon bald das Infektionsgeschehen übernehmen. Welche sich am Ende aber durchsetzt und dominant wird, ist noch nicht sicher.
Zwei besorgniserregende Varianten: XBB und BQ.1.1
Wie dynamisch die Lage ist, zeigt eine Variante, die sich noch vor ein, zwei Wochen in Asien besonders schnell ausgebreitet hat: BA.2.75.2. "Das war für eine gewisse Zeit die sich am schnellsten ausbreitende Variante auf der Welt", sagt Cornelius Römer. Dann aber übernahm XBB das Infektionsgeschehen, das sich aus zwei verschiedenen Corona-Strängen gleichermaßen entwickelt hat und mittlerweile in Singapur die dominante Variante ist.
In Europa dagegen breitet sich eine andere Variante namens BQ.1.1 aus, ein direkter Nachfahre der aktuell in Deutschland noch dominierenden BA.5-Variante. Von BQ.1.1 gebe es auch viele ähnliche Geschwister und Cousins, sagt Römer, aber diese eine Variante namens BQ.1.1 habe sich bislang gegen die anderen durchsetzen können, ihr Anteil wächst schneller.
Eigenschaften der neuen Varianten noch unklar
Ob eine Infektion mit XBB oder mit BQ.1.1 milder, gleich oder sogar schwerer verläuft als mit den bisherigen Omikron-Varianten, darüber fehlen noch aussagekräftige Daten. Genauso wie darüber, warum genau sie offenbar ansteckender sind, wie genau sie das Immunsystem austricksen können.
Dass sie aber auch Menschen anstecken können, die zuvor eine BA.5-Infektion hatten, zeigt sich allein an den Infektionszahlen, sagt Cornelius Römer: "Deswegen breitet sich dieses Virus schneller aus. Es ist kein Zufall, dass es diese Reinfektionen gibt. Das ist genau der Mechanismus, warum wir jetzt diese Varianten sehen." Das ist Evolution: Das erfolgreichere Virus setzt sich durch.
Modellierungen schaffen wertvolle Wochen Reaktionszeit
Erst dann, wenn sich eine Variante durchsetzt und dominant wird, macht sich das auch in den Infektionszahlen insgesamt bemerkbar. Dann wird deutlich, in welchem Pandemieszenario wir stecken - und die Modellierungen können konkreter zeigen, wie sich die nächste Welle aufbaut. Genau das verschafft uns die paar Wochen Zeit, um noch rechtzeitig reagieren zu können.
Die erste und wichtigste Gegenmaßnahme ist nach wie vor die Impfung, erklären Fachleute. Auch bei den neuen Varianten gilt als wahrscheinlich, dass die neuen Impfstoffe vor einem schweren Verlauf schützen können. Besonders ältere Menschen und die mit Vorerkrankungen sollten sich also am besten jetzt eine vierte Schutzimpfung holen.
Ob darüber hinaus weitere Maßnahmen nötig sein werden, eine Maskenpflicht in Innenräumen bis hin zu Homeoffice und Kontaktbeschränkungen, das wird erst in wenigen Wochen klarer, wenn wir für Deutschland abschätzen können: Welche Variante wird sich durchsetzen? Und wie krank macht sie?
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