Reisende beim Test zur Feststellung einer Coronavirus-Infektion am Flughafen Turin, Italien.
Bildrechte: picture alliance / NurPhoto/Fotograf: Mauro Ujetto

Was bringt ein Test? Die Antwort wird immer schwieriger, denn Infizierte sind laut einer Studie viel früher ansteckend, als bisher angenommen.

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Coronavirus-Infizierte früher ansteckend als gedacht

Coronavirus-Infizierte sind nicht nur ein bis zwei Tage vor Auftreten der ersten Krankheitssymptome für andere ansteckend, sondern bis zu sechs Tage. Das haben Forscher der ETH Zürich mit einer neuen Studie belegt.

Über dieses Thema berichtet: nano am .

Bisher galt: Mit dem neuen Coronavirus SARS CoV-2-Infizierte sind ein bis zwei Tage vor Auftreten der ersten Krankheitssymptome ansteckend. So steht es auch in dem vom Robert-Koch-Institut (RKI) veröffentlichten "Steckbrief zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19)". Nun muss diese Einschätzung wohl revidiert werden. Forscher der Eidgenössischen Technischen Universität in Zürich (ETH) konnten mit einer neuen Studie, die Anfang August 2020 im Fachblatt "Swiss Medical Weekly" veröffentlicht wurde, nachweisen, dass mit dem Coronavirus Infizierte schon viel früher für andere ansteckend sind.

Coronavirus-Infektion: Bisherige Berechnungen wohl falsch

In einer im April im Fachmagazin "nature medicine" veröffentlichten Studie hatte das Team um Gabriel Leung von der Medizinischen Fakultät der Universität in Hong Kong 77 Infektionspaare untersucht, die sich nachweislich gegenseitig angesteckt hatten. Dabei war ihre Erkenntnis: Infizierte sind bis zu zwei Tage vor Krankheitsausbruch für andere ansteckend, wobei die höchste Infektiosität laut der Forscher kurz vor Krankheitsbeginn liege. Nach den Berechnungen der asiatischen Forscher waren es 98 Prozent der sogenannten präsymptomatischen Ansteckungen, die auf die zwei Tage vor Ausbruch der Krankheit entfallen.

Infektiosität: Neue Erkenntnisse der ETH-Wissenschaftler

Diese Berechnungen von Gabriel Leung und seinen Kollegen, die bisher die einzigen zu diesem Thema waren, sind nach den neuesten Untersuchungen der Schweizer Wissenschaftler falsch. Das Team um Sebastian Bonhoeffer stellte bei ihren Analysen fest, dass sich nur 61 Prozent der Menschen in diesem Zeitraum angesteckt haben. Im Umkehrschluss heißt das: Coronavirus-Infizierte müssen schon viel früher ansteckend sein, als bisher angenommen. "Will man 90 Prozent der präsymptomatischen Ansteckungen abfangen, müsste man die Kontakte bis zu vier Tage zurückverfolgen", so das Fazit von Peter Ashcroft, der gemeinsam mit Sebastian Bonhoeffer am Lehrstuhl für Theoretische Biologie der ETH tätig ist und ebenso Autor der Studie ist, gegenüber der "Neuen Züricher Zeitung" (NZZ). Ashcroft hatte den Fehler der chinesischen Wissenschaftler aufgedeckt. Über das Ergebnis ihrer neuen Studie sagt der Wissenschaftler:

"Unsere Analysen zeigen, dass Infizierte das Virus bis zu 5 oder 6 Tage vor Ausbruch der Krankheit weitergeben können." Peter Ashcroft, einer der Autoren der Studie, gegenüber der Neuen Züricher Zeitung.

Studie und die Folgen für die Pandemie

Für die Pandemie wird das Ergebnis der Schweizer Forscher Folgen haben. Bisher gilt als Kontaktperson, wer zwei Tage vor Ausbruch von Covid-19 Kontakt mit dem Infizierten hatte. Das stimmt nun laut der neuen Studie nicht mehr. Demnach muss jetzt gelten: Wer fünf bis sechs Tage vor Ausbruch der Erkrankung Kontakt hatte, könnte infektiös sein und muss deshalb ausfindig gemacht werden. Für Betroffene und alle Corona-Tracing-Systeme wäre das eine große Herausforderung. Doch nicht nur das. Wer als Kontakt ausgemacht worden ist, muss mindestens bis zum Vorliegen eines negativen Testergebnisses in Quarantäne. Aufgrund der neuen Erkenntnisse müssen künftig also noch mehr Menschen in Quarantäne als bisher.

Reaktion des RKI auf die ETH-Studie

Die Wissenschaftler aus Hong Kong haben ihre Ergebnisse in der Publikation aufgrund der Schweizer Studie bereits korrigiert. Das RKI will einer Mitteilung der Deutschen Presseagentur (dpa) zufolge die Ergebnisse der Schweizer erst einmal genauer überprüfen. Das RKI schreibt unter Berufung der neuen Erkenntnisse auf seiner Seite, dass vermutlich ein beträchtlicher Anteil der Ansteckungen auf Kontakte zu Infizierten in den ein bis zwei Tagen vor deren Symptombeginn zurückgehe. Man habe bislang "mit den zwei Tagen vor Symptombeginn gute Erfahrungen gemacht", teilte eine Sprecherin des RKI in der dpa-Meldung mit.

Auf direkte Nachfrage beim RKI schreibt das Institut am 18. August 2020 dem BR: "Modellierungen sind nach Einschätzung aus der Praxis mit einer gewissen Vorsicht in Entscheidungen einzubeziehen. Zum Beispiel ist nur sehr selten beschrieben, was genau als "Symptombeginn" definiert ist. Aus dem Webasto-Cluster wissen wir, dass dieser sehr schleichend sein kann und ein oder mehrere Tage an leichter Symptomatik einer "typischeren" vorausgehen kann. Dies kann aber dazu führen, dass in einer gegebenen Studie systematisch (oder gar unsystematisch) der Tag des Symptombeginns zu spät verortet wird, und dadurch auch der präsymptomatisch-infektiöse Anteil überschätzt wird."

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