Erste Schritte machen, flüssig sprechen lernen, mit Gleichaltrigen spielen und streiten, Frust aushalten und Neues ausprobieren – das alles erleben Kinder in einer Kindertagesstätte. In Krippen und Kindergärten, bei Tagesmüttern und -vätern verbringen viele Kinder in Bayern einen großen Teil ihres Tages.
Nach Angaben des Bayerischen Sozialministeriums besuchten Ende 2022 mehr als ein Drittel der Unter-Dreijährigen und mehr als 92 Prozent der Drei- bis Sechsjährigen in Bayern eine Tagesbetreuungseinrichtung. Doch zugleich suchen Jahr für Jahr immer mehr Eltern händeringend nach einem Kita-Platz, denn der ist – vor allem in großen Städten – Mangelware.
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Kita-Suche beginnt oft schon in der Schwangerschaft
Häufig beginnt die Suche nach Kinderbetreuung bereits in der Schwangerschaft, so wie bei Corinna Mayer. Die Münchnerin begab sich schon vor der Geburt auf Kita-Suche. "Das kann man, glaube ich, offiziell gar nicht, aber ich hab’s trotzdem gemacht", sagt die Mutter eines jetzt acht Monate alten Sohnes. Schließlich fand sie kurz vor Beginn des Kita-Jahres Ende August einen Platz bei einer Tagesmutter und ist nun entsprechend erleichtert: "Unglaublich, dass wir jetzt eine Zusage bekommen haben, kurz vor knapp."
Personalbedarf in Kitas nicht zu decken
Was Kitas alles leisten, wird besonders deutlich, wenn es nicht genug Menschen gibt, die Bildungs- und Erziehungsarbeit umsetzen. In Bayern fehlten 2022 nach Angaben der Bertelsmann Stiftung rund 60.000 Kita-Plätze. "Man bräuchte über 14.000 zusätzliche Fachkräfte, um diese Plätze einzurichten und damit den Betreuungsbedarf der Eltern zu decken", sagt Anette Stein, Direktorin für Bildung und Next Generation bei der Bertelsmann Stiftung.
Die Staatsregierung will von einer Kita-Krise in Bayern nicht sprechen – aber das Thema Kinderbetreuung steht auf der Agenda, von den Kommunen über das Land bis hin zum Bund. Vielerorts entstehen neue Kitas, doch was fehlt, ist das Personal. In Bayern ist in den vergangenen zwölf Jahren die Zahl der Erzieherinnen und Erzieher zwar um fast 80 Prozent gestiegen – auf heute etwa 114.000 Menschen, die in Kitas arbeiten. Doch es sind immer noch zu wenig, der Bedarf kann bis heute nicht gedeckt werden.
Mehr Ausbildungsplätze und Quereinstieg nötig
"Damit Bayern den Bedarf der Eltern bis 2025 decken kann, müsste die Zahl der Ausbildungsplätze deutlich erhöht und zusätzlich mit Quereinsteigerprogrammen gearbeitet werden", sagt Bildungsexpertin Anette Stein. Entsprechend hat sich die bayerische Staatsregierung konkrete Ziele gesetzt: 50.000 zusätzliche Plätze für Vorschulkinder will Bayern in den kommenden Jahren schaffen, es wird auf mehr Ausbildungsstellen und verschiedene, auch schnellere Ausbildungswege gesetzt. Und: Schon im nächsten Jahr sollen doppelt so viele staatlich geförderte Teamkräfte die Kitas unterstützen, zum Beispiel in Verwaltung oder Küche.
Chancengleichheit durch Kinderbetreuung
Wer seine Kinder zu Hause betreut, kann nicht arbeiten gehen. Besonders Frauen können davon ein Lied singen. Kitas sind deshalb auch in ökonomischer Hinsicht ein nicht zu vernachlässigender Faktor. In vielen Branchen herrscht Fachkräftemangel, Betriebe brauchen Personal. Und in Zeiten von Inflation und Preissteigerung müssen viele Mütter und Väter mehr arbeiten, um über die Runden zu kommen.
Wer keinen Platz für sein Kind hat, fällt für die Volkswirtschaft aus. Zugleich ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie nicht nur eine Frage der Wirtschaftspolitik. Es geht auch um Chancengleichheit und damit um Gerechtigkeit für Männer und Frauen. Mütter wollen auch arbeiten gehen, doch weil Frauen häufig weniger verdienen, sind es meist die Mütter, die zurückstecken, wenn kein Kita-Platz zur Verfügung steht oder die Einrichtung so früh schließt, dass an eine Vollzeitstelle nicht zu denken ist. Eine ausreichende Versorgung mit Kinderbetreuungsplätzen wäre also nicht nur ein Segen für die Kleinen, sondern vor allem für die Frauen in Bayern.
Krippenkinder benötigen Stabilität
Natürlich existieren Krippen, Kindergärten und Tagesbetreuung aber nicht nur, damit Eltern problemlos arbeiten können. Zuallererst geht es darum, dass Kinder unter guten Bedingungen aufwachsen. Im Idealfall werden Kinder in der Tagesbetreuung liebevoll behütet, ihre Bedürfnisse berücksichtigt und ihre Talente und Interessen gefördert, so wie es der Bayerische Bildungs- und Erziehungsplan vorsieht.
"In den ersten Lebensjahren geht es vor allen Dingen darum, die Persönlichkeit entfalten zu können und eine Sicherheit in sich selbst zu bekommen. Wenn Kinder das haben, öffnen sie sich immer weiter und gehen dann auch auf andere Kinder zu", sagt Bildungsexpertin Anette Stein von der Bertelsmann Stiftung. Voraussetzung dafür sei aber, "dass sie selbst für sich ein Fundament haben, das ihnen Stabilität gibt". Entscheidend für diese Stabilität sei dabei die Beziehung zu den pädagogischen Fachkräften.
Austausch im Kindergarten
Mit zunehmendem Alter werden für Kindergartenkinder neben den Eltern und Erzieherinnen auch Gleichaltrige immer interessanter. "Deswegen sind Kitas so wichtig, weil Kinder dort mit anderen zusammenkommen", sagt Anette Stein. Aufgabe der Fachkräfte sei es, so Stein, zu beobachten, Impulse dafür zu geben, dass Kinder neue Dinge ausprobieren und wenn nötig, Konflikte zu schlichten.
"Die Kinder sollen lernen, nach Unterstützung zu fragen und nicht, dass ich ihnen von vornherein den Konflikt löse. Das ist nicht Sinn der Sache", sagt Jakob Klaß, stellvertretender Leiter der "Denk mit Kita München Schwabing-Freimann". Mit anderen Kindern kooperieren, sich selbst vertrauen, Dinge erforschen und ausprobieren und auch wenn es schiefgeht, weiter probieren – all das lernt ein Kind im Idealfall in der Kita. Anette Stein von der Bertelsmann Stiftung versichert: "Wenn ein Kind einen guten Kita-Verlauf hat, dann wird es mit Sicherheit auch reif für die Schule sein."
Bildungserfolg durch Sprachförderung
Wer beim Schuleintritt die deutsche Sprache beherrscht, hat es nicht nur beim Lernen leichter. Sprache ist der Schlüssel zur Welt, zu Freundschaft und Austausch. Dass Kinder sich fließend in unserer Landessprache unterhalten, ist deshalb auch ein zentraler Bildungsauftrag an die Kitas – gerade bei Kindern und Familien, die dabei ein bisschen mehr Unterstützung benötigen als andere.
Wenn es um Integration geht, dürfen Kitas nicht alleingelassen werden, fordert Anette Stein von der Bertelsmann Stiftung: "Entscheidend ist die Frage: Wie bekommen alle Eltern die Information, dass sie sich früh anmelden müssen für einen Kita-Platz und dabei möglicherweise auch eine Unterstützung? Insbesondere bei Eltern, die vielleicht auch sprachlich nicht alles gut verstehen, was in irgendwelchen Unterlagen steht." Eine Aufgabe, die oft an der Kita-Leitung hängenbleibt. Das Führungspersonal in den Kitas muss sich aber nicht nur um die Bedürfnisse der Kinder und der Eltern kümmern, sondern auch um das Team.
Bessere Arbeitsbedingungen in Kitas notwendig
In vielen Kita-Teams hat die Corona-Pandemie Spuren hinterlassen, das Personal ist ausgelaugt. Wegen des Erzieherinnen-Mangels wird die Arbeitsbelastung für die Fachkräfte in den Kitas zugleich nicht weniger. Der Beruf ist fordernd, weiß Patricia Müller, Leiterin der "Denk mit Kita" im Münchner Norden: "Viele aus meinem privaten Umfeld, mit denen ich die Ausbildung gemacht habe, arbeiten jetzt etwas ganz anderes", sagt die Kita-Leiterin. "Sie können einfach nicht mit diesem Gedanken leben: 'Ich muss bis zur Rente diesen Job machen.'" Deshalb sei es zwar wichtig, Personal zu gewinnen, aber die Menschen, die im Erziehungsdienst tätig seien, dürften sich nicht aufarbeiten. Wichtig seien nicht nur ein besseres Gehalt, so Kita-Leiterin Müller, sondern einfach bessere Arbeitsbedingungen.
Kinder haben Recht auf Bildung
Kurzfristig kann den Kitas eine Entlastung durch zusätzliche Hauswirtschaftskräfte oder Verwaltungskräfte helfen, wie dies die bayerische Staatsregierung andenkt. So könnten sich pädagogische Fachkräfte auf ihre pädagogische Arbeit konzentrieren. Denn es gehe darum, betont Anette Stein von der Bertelsmann Stiftung, kurzfristig sicherzustellen, dass die Kinder trotz Personalmangels ihr Recht auf Bildung bekämen, damit in den Kitas gefördert und nicht nur verwahrt werde.
Kitas, Schulen, Hochschulen - fit für die Zukunft? BR24-Schwerpunkt-Sendungen zur Bildung in Bayern
Vor der Landtagswahl hören Sie im BR24 Campusmagazin drei Schwerpunkt-Sendungen: Am 17. September fragt Florian Falzeder, was Kitas für Eltern und Kinder leisten und was eine gute Kinderbetreuung ausmacht. Am 24. September berichtet Anna Küch über Strategien gegen den Lehrkräftemangel und gelungene Integration an bayerischen Schulen. Und am 1. Oktober fragt Susi Weichselbaumer, wie die High Tech Agenda die bayerische Hochschullandschaft umkrempelt. Sendetermin ist jeweils sonntags, um 15.35 Uhr, in BR24 Radio. Außerdem finden Sie die Sendungen im BR Podcastcenter.
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