Spargel, Spinat, Porree – die Erntezeit hat begonnen und deutsche Landwirte setzen auch in Corona-Zeiten auf ausländische Arbeiter. Denn alljährlich fehlen in Deutschland Hunderttausende Erntehelfer. Nach einigem Ringen haben sich Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) und Innenminister Horst Seehofer (CSU) Anfang dieses Monats darauf geeinigt, die Einreise ausländischer Saisonarbeiter wieder zu erlauben: In April und Mai dürfen jeweils bis zu 40.000 Hilfskräfte einreisen – allerdings nur unter strengen Auflagen. An diesem Mittwoch (22. April) hat die Bundesregierung zudem mitgeteilt, dass nun auch Asylbewerber und Drittstaatsangehörige, für die bislang ein Arbeitsverbot in Deutschland galt, wegen der Personalengpässe in der Corona-Krise als Erntehelfer in der Landwirtschaft arbeiten dürfen.
Erntehelfer in Baden-Württemberg stirbt an Corona
Doch was passiert, wenn ein ausländischer Arbeiter an Corona erkrankt? Genau das geschah kürzlich in Baden-Württemberg, wo ein rumänischer Erntehelfer verstarb, der positiv auf Covid-19 getestet worden war.
Auf Twitter und in anderen sozialen Medien fragten sich danach viele Nutzer, wer eigentlich dafür Sorge zu tragen hat, dass die Arbeiter krankenversichert sind?
Grundsätzlich gelten für Erntehelfer die gleichen Bedingungen wie für Deutsche - wenn deutsches Recht gilt
Grundsätzlich gilt: Der Landwirt muss ausländische Arbeitnehmer genauso anmelden und sozialversichern wie jeden deutschen Arbeitnehmer. Mit der Sozialversicherung ist auch die Krankenversicherung abgedeckt. "Saisonkräfte sind pflichtversichert in der allgemeinen gesetzlichen Krankenversicherung. Die Beiträge werden wie bei jedem anderen Arbeitnehmer hälftig von Arbeitgeber und Arbeitnehmer getragen", sagt Axel Finkenwirth, Pressesprecher des Deutschen Bauernverbandes auf Anfrage von BR24.
Allerdings stellt dieser Fall in der Praxis eher die Ausnahme dar. Denn zunächst muss geprüft werden, wo der Saisonarbeiter herkommt und wie er in seinem Herkunftsland beschäftigt ist. Nicht in allen Fällen sind überhaupt die deutschen Sozialkassen zuständig, manche Erntehelfer bleiben auch in ihrem Heimatland versichert. Und selbst wenn deutsches Recht greift: In der Praxis arbeiten viele Erntehelfer in Deutschland als "kurzfristig beschäftige" Minijobber. Sie sind damit in Deutschland nicht versicherungspflichtig. Doch dazu später mehr.
EU-Ausländer oder Drittstaatler?
Innerhalb der EU und mit Norwegen, Island, Liechtenstein und der Schweiz gilt die EU-Verordnung 883/2004, die die sozialen Sicherungssysteme der EU-Länder miteinander koordiniert. Für die Versicherten bedeutet das, dass sie die Leistungen ihrer Heimat-Sozialversicherung (oder ähnliche Leistungen) auch in anderen EU-Staaten in Anspruch nehmen können.
Jedes Jahr kommen laut Angaben des Bundeslandwirtschaftsministeriums rund 300.000 Saisonarbeitskräfte nach Deutschland. Die meisten Saisonarbeiter kommen nach Angaben des Deutschen Bauernverbands aus anderen EU-Staaten: Etwa 60 Prozent aus Rumänien, ein Drittel aus Polen, der Rest aus Ungarn und Bulgarien. Der Grund: Menschen aus Nicht-EU-Ländern benötigen ein Arbeitsvisum. Für Hilfsarbeiten in der Landwirtschaft wurde dieses bisher "regelmäßig nicht erteilt", so Axel Finkenwirth vom Deutschen Bauernverband. Eine Praxis, die sich mit der heutigen Entscheidung, auch Asylbewerber und Drittstaatangehörige zur Erntehilfe zuzulassen, geändert hat.
Bei EU-Staatlern muss geprüft werden: Welches Recht gilt?
Bei Erntehelfer aus anderen EU-Mitgliedsstaaten hängt die Frage, wie sie krankenversichert sind, davon ab, wie sie in ihrem Heimatland beschäftigt sind. Die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) bietet hierzu eine hilfreiche Übersicht:
1. Im Herkunftsstaat angestellt oder selbstständig tätig: Geht der Saisonarbeiter in seinem Herkunftsland einem regulären Job oder einer selbstständigen Tätigkeit nach – und arbeitet beispielsweise während eines bezahlten Urlaubs in Deutschland– dann bleibt die Versicherungspflicht im Herkunftsstaat bestehen. Als Nachweis der fortbestehenden Sozialversicherung im Ausland muss der Arbeitnehmer die sogenannte A1-Bescheinigung vorlegen.
Damit weist ein ausländischer Arbeitnehmer nach, dass für ihn nicht die deutschen Rechtsvorschriften, sondern die Rechtsvorschriften des Staates gelten, in dem er seiner Hauptbeschäftigung nachgeht. Mit der A1-Bescheinigung meldet ihn der Arbeitgeber hierzulande in der Sozialversicherung des Herkunftsstaates an und zahlt gegebenenfalls Sozialabgaben an den dort zuständigen Versicherungsträger. Zumindest in der Theorie ist der Erntehelfer damit im Heimatland weiter krankenversichert – und über die europäische Krankenkassenkarte auch in Deutschland.
Stephan Mayer, Pressesprecher der Techniker Krankenkasse in Bayern, weist im Gespräch mit BR24 jedoch auf ein Problem mit dieser Regelung hin: Fast immer sei es sinnvoll, zusätzliche eine freiwillige Krankenversicherung abzuschließen. Denn die gesetzliche Krankenkasse in Rumänien oder Bulgarien übernimmt oft nur einen Bruchteil der Leistungen, die in Deutschland üblich sind. Sollte eine Behandlung notwendig sein, könnte der Arbeiter auf einem Teil der Kosten sitzenbleiben.
2. Im Herkunftsstaat nicht erwerbstätig: Wenn ein Saisonarbeiter im Herkunftsstaat nicht erwerbstätig ist oder keine der Saisonarbeit ähnliche selbständige Tätigkeit im Herkunftsstaat ausgeübt wird, greift deutsches Sozialversicherungsrecht. Dieses gilt auch dann, wenn der Saisonarbeiter während eines unbezahlten Urlaubs in Deutschland bei der Ernte aushilft. In diesen Fällen muss der Landwirt prüfen, ob in Deutschland eine Versicherungspflicht besteht.
Wie ist die Lage bei Drittstaatlern oder Asylbewerbern?
Anders ist die Lage bei Erntehelfern aus Ländern außerhalb der EU, mit denen Deutschland kein bilaterales Sozialversicherungskommen abgeschlossen hat. Durch die Abkommen wird der soziale Schutz für Versicherte geregelt, die sich im jeweils anderen Vertragsstaat aufhalten. Arbeitnehmer aus solchen sogenannten Drittstaaten, mit denen kein Abkommen besteht, sind während ihrer Saisonarbeitszeit hierzulande stets nach dem deutschen Sozialversicherungsrecht versichert. Dabei ist es irrelevant, ob der Saisonarbeitnehmer in seinem Herkunftsstaat einer Erwerbstätigkeit nachgeht oder nicht.
Asylbewerber sind in Deutschland grundsätzlich nicht gesetzlich krankenversichert, sondern haben im Krankheitsfall Ansprüche nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). In Abhängigkeit von Aufenthaltsdauer und -status definiert das Gesetz unterschiedliche Leistungsniveaus.
Viele Saisonarbeiter sind als Minijobber angestellt
Besteht eine Versicherungspflicht in Deutschland, kann der Saisonarbeiter die Krankenkasse frei wählen und muss dort angemeldet werden. Allerdings sind viele Saisonarbeiter als sogenannte "kurzfristige Beschäftigte" angestellt. Bei dieser speziellen Form des Minijobs müssen keine Sozialversicherungsbeiträge abgeführt werden, solange die Erntehelfer nicht mehr als drei Monate im Jahr beschäftigt sind und ihre Tätigkeit "nicht berufsmäßig" ausüben, darüber also nicht den Hauptteil ihres Einkommens bestreiten.
Vor kurzem hat der Gesetzgeber die zeitliche Begrenzung bei der kurzfristigen Beschäftigung wegen der Corona-Krise ausgeweitet. Seither dürfen Erntehelfer fünf Monate oder 115 Tage im Jahr sozialversicherungsfrei in Deutschland arbeiten – eine Praxis, die von Gewerkschaften kritisiert wird.
Marc Wiens, Sprecher der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau, bestätigt per Mail, was das bedeutet: Aufgrund der Regelungen bei kurzfristiger Beschäftigung könne es "durchaus dazu kommen (…), dass ausländische Saisonarbeitskräfte im Krisenjahr 2020 für einen Zeitraum von bis zu fünf Monaten in Deutschland arbeiten, ohne Versicherungsschutz in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung zu haben." Immerhin: Kurzfristige Minijobber sind unfallversichert. Dieser Schutz greift allerdings nur im Falle eines Unfalls, der während einer versicherten Tätigkeit passiert. Generelle Erkrankungen sind damit nicht abgedeckt.
Für den Fall, dass ein Minijobber keinen anderen Versicherungsschutz hat, ist dieser selbst dafür verantwortlich, sich um einen Versicherungsschutz zu kümmern. Das Bundeslandwirtschaftsministerium und der Deutsche Bauernverband empfehlen für diesen Fall den Abschluss einer Sammelkrankenversicherung durch den Betrieb. Spezielle Erntehelferversicherungen gibt es von verschiedenen Dienstleistern, die meisten kosten weniger als einen Euro pro Tag.
Wie viele Saisonarbeiter sind nicht krankenversichert?
Doch wie groß ist der Anteil an Saisonarbeitern, die in Deutschland nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind? Und wie viele von ihnen haben keine andere Krankenversicherung? Tatsächlich ist das systematisch kaum zu erfassen. Zwar schickt die Bundesagentur für Arbeit auf Anfrage von BR24 die verfügbaren Daten für Angestelltenverhältnisse in der Landwirtschaft. Die Statistik hat jedoch einen Haken: EU-Erntehelfer, die im Heimatland versichert sind, sind darin nicht erfasst. Sondern nur die Personen, bei denen das deutsche Sozialversicherungsrecht greift. Da die Statistik sich außerdem nicht auf Personen, sondern auf Beschäftigungsverhältnisse bezieht, können einzelne Personen mehrfach darin auftauchen. Dennoch macht die Statistik zumindest eine Tendenz deutlich:
Für Mai 2019 etwa weist sie 103.539 Beschäftigungsverhältnisse von ausländischen Erntehelfern in Deutschland aus. Der allergrößte Teil davon – nämlich 70.035 (68 Prozent) – sind damals "geringfügig beschäftigt" gewesen, also nicht versicherungspflichtig. Wie groß der Anteil der Erntehelfer ist, die sich privat krankenversichern oder von ihren Betrieben versichert werden, geht aus der Statistik nicht hervor.
Einschätzung der Initiative Faire Landarbeit
Dass der kurzfristige Minijob das mit Abstand häufigste Angestelltenverhältnis bei den Erntehelfern ist, bestätigt auch Michael Baumgarten von der Initiative Faire Landarbeit. Die Initiative ist ein Zusammenschluss von Gewerkschaften und NGOs, dem unter anderem Beratungsstellen des Deutschen Gewerkschaftsbunds und die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) angehören. In regelmäßigen "Feldaktionen" informiert und berät die Initiative Erntehelfer über ihre Rechte. Im Jahresbericht der Initiative heißt es, ein Krankenversicherungsschutz sei bei den Erntehelfern "nur zum Teil vorhanden". Anders stellen das der Bauernverband und das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft dar: Sie gehen davon aus, dass die meisten Betriebe Sammelkrankenversicherungen abschließen.
Tatsächlich gebe es solche Sammelversicherungen in gut geführten Betrieben, sagt Baumgarten am Telefon. Sie seien aber nicht die Regel. Die "absolute Mehrheit" der Saisonarbeiter, mit denen er gesprochen habe, sei nicht krankenversichert gewesen. In einem Fall, von dem ihm berichtet wurde, sei ein Erntehelfer ohne Versicherung mit einem Verdacht auf Herzinfarkt ins Krankenhaus gekommen. Die Kosten wurden ihm vom Arbeitgeber später vom Lohn abgezogen.
Lohnbetrug, fehlende Abrechnungen, fehlende Schutzkleidung: Die Arbeitsbedingungen insgesamt problematisch
Dass es um die Arbeitsbedingungen in der Erntehilfe insgesamt nicht gut steht, dokumentiert der Bericht der Initiative Faire Landarbeit auch für andere Bereiche: Die Rede ist von Lohnbetrug, intransparenten, fehlerhaften oder gänzlich fehlenden Abrechnungen und Arbeitszeitaufzeichnungen, sowie Akkordaufzeichnungen, fehlender Schutzkleidung und Sonnenschutz, nicht erlaubten Abzügen für Arbeitsmaterialien, erhöhten Abzügen für Kost und Logis, schlechter Unterbringung und Verpflegung, überlangen Arbeitszeiten und fehlenden Ruhetagen. Dass Erntehelfer gar nicht angemeldet werden, kommt nach Aussage von Michael Baumgarten von der Initiative Faire Landarbeit hingegen eher selten vor - auch weil die Minijoblösung die Arbeitgeber ohnehin weitestgehend von den Sozialabgaben befreit.
Interessant sind auch die Zahlen, die die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) per Mail schickt: Im Jahr 2019 hat die FKS 710 landwirtschaftliche Betriebe kontrolliert. Im selben Jahr wurden 185 Ordnungswidrigkeitsverfahren und 305 Strafverfahren eingeleitet, ein direkter Bezug zu den überprüften Betrieben lasse sich allerdings nicht herstellen. Die Verfahren können sich sowohl gegen Betriebe als auch Arbeitnehmer selbst richten. Klassischerweise handelt es sich bei den Strafverfahren vor allem um das Vorenthalten und Veruntreuen von Löhnen. Zugleich gibt es auch Delikte wie Sozialleistungsbetrug oder den illegalen Aufenthalt in Deutschland vor, die von Arbeitnehmern verübt werden.
Fazit: Grundsätzlich müssen ausländische Erntehelfer in Deutschland genauso behandelt werden wie alle anderen Angestellten. Allerdings greift nicht bei allen deutsches Sozialversicherungsrecht: Wer in seinem Heimatland angestellt oder selbstständig gemeldet ist, bleibt meist dort versichert. Deutsches Recht greift hingegen bei Personen, die im Herkunftsland nicht erwerbstätig sind. Der Großteil (etwa 70 Prozent) dieser Beschäftigten ist laut Bundesagentur für Arbeit jedoch als kurzfristig beschäftigte Minijobber angestellt – und damit nicht sozialversicherungspflichtig.
Aufgrund der Corona-Krise hat die Bundesregierung die Fristen für diese kurzfristigen Minijobs kürzlich bis auf fünf Monate ausgeweitet. Hat der Erntehelfer keine andere Krankenversicherung, ist er in Deutschland nicht krankenversichert. Für diese Fälle wird der Abschluss einer privaten, zusätzlichen Krankenversicherung empfohlen. Darum muss sich der Erntehelfer allerdings entweder selbst kümmern – oder der Betrieb schließt eine Sammelversicherung ab. Wie oft das in der Realität von den Betrieben umgesetzt wird, wird jedoch nicht systematisch erfasst. Mitarbeiter der Initiative Faire Landarbeit, die Erntehelfer in Deutschland beraten, berichten, dass ihnen regelmäßig Erntehelfer ohne Krankenversicherung begegnen.
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