Seit 1918 dürfen Frauen in Deutschland wählen. Bei der Einführung des allgemeinen aktiven und passiven Frauenwahlrechts in der Weimarer Republik war die Hoffnung groß, dass sich der Anteil der Politikerinnen in den Parlamenten schnell erhöht, idealerweise auf 50 Prozent. Aber heute, mehr als 100 Jahre später, liegt der Frauenanteil in der Politik bei nicht einmal einem Drittel – auf Bundesebene.
Fehlende Frauen in der Politik – ein Demokratiedefizit
In den Ländern und auf kommunaler Ebene sieht es häufig noch sehr viel schlechter aus: "Gerade in ländlichen Räumen sind Frauen in der Politik immer noch ganz stark unterrepräsentiert. Und diese Unterrepräsentanz kann ärgerlich sein, ist aber vor allem ein Demokratiedefizit. Denn wir haben hier keine gleichberechtigte Beteiligung von der Hälfte der Gesellschaft", sagt Mina Mittertrainer. Für das Forschungsprojekt FRIDA an der Universität Landshut untersucht die Soziologin, warum es immer noch so wenige Frauen in der Politik gibt - und das schon auf kommunaler Ebene.
Nicht einmal ein Drittel Frauen im bayerischen Landtag
Der Blick auf die Statistik verrät: Tatsächlich sieht es für die politische Teilhabe von Frauen in den 16 Länderparlamenten schlecht aus: In keinem erreichen die Frauen 50 Prozent – mehr als 40 Prozent schafft allein die Hamburger Bürgerschaft. In den meisten Ländern ist es nicht einmal ein Drittel. Schlusslicht ist Mecklenburg-Vorpommern mit knapp 24 Prozent. Im bayerischen Landtag nehmen Frauen nur 56 von insgesamt 205 Sitzen ein – das sind gerade mal 27,3 Prozent.
Frauenanteil in deutschen Landtagen
Weibliche Partizipation im ländlichen Raum
Für das FRIDA-Projekt hat Mina Mittertrainer neben aktiven Politikerinnen auch 70 junge Frauen in Bayern befragt. Darunter auch die Teilnehmerinnen einer örtlichen Frauengruppe, die sich in der oberbayerischen Kleinstadt Murnau im Landkreis Garmisch-Partenkirchen trifft. Murnau ist typisch für ländliche Regionen: Von den 24 Sitzen im Rathaus sind nur sechs mit Frauen besetzt - drei Viertel mit Männern. Und auch der Erste Bürgermeister ist ein Mann - so wie in mehr als 90 Prozent der Städte in Deutschland.
Beiräte junger Frauen
Im Rahmen des Forschungsprojekts wurden in drei bayerischen Landkreisen solche Gruppen gegründet - sogenannte "Beiräte junger Frauen". Hier diskutieren die Frauen Themen, die ihnen wichtig sind, um entsprechende Projekte anzustoßen und so einen Zugang zur Kommunalpolitik zu finden. Die Idee: Wer langfristig den Anteil von Frauen in der Politik erhöhen will, muss dort ansetzen, wo viele politische Karrieren beginnen: in den Kommunen und in den Ortsvereinen der Parteien. "Ich würde sagen, dass mehr Frauen unterstützt werden sollen, wenn sie etwa die Idee haben, in die Politik zu gehen, aber sich nicht trauen", sagt Schülerin Johanna Wimmer, die im Murnauer "Beirat junger Frauen" mitarbeitet.
Mehr Unterstützung für Frauen durch Männer wichtig
Aktive Politikerinnen wie Petra Daisenberger, Kreisrätin im Landkreis Garmisch-Partenkirchen, machen die Erfahrung, dass Frauen es viel schwerer haben als Männer, sich in politischen Ämtern zu behaupten. Häufig werden sie belächelt und müssen Aggressionen aushalten. "Es ist einfach so, dass Frauen gute Schulabschlüsse haben, sie gut gebildet sind und trotzdem in der Politik immer gesagt bekommen: Ihr kennt Euch gar nicht aus, ihr habt ja gar keine Ahnung." Wenn man das in aggressiver Weise dauernd gesagt bekäme, so die Kreisrätin, gebe es auch Frauen, die keine Lust mehr hätten, dauernd beweisen zu müssen, dass sie etwas können. "Ich finde, da dürfen Männer noch ein bisschen an sich arbeiten und uns auch unterstützen."
Von NGOs in die politischen Gremien
Tatsächlich gelte es, sagt Soziologin Mina Mittertrainer, die Barrieren für Frauen in der Politik abzubauen, gerade auch für junge Frauen im ländlichen Raum. Und ein ganz wichtiger Faktor dabei sei, jungen Frauen zu vermitteln, dass das, was sie interessiert und das, was sie in ihrem Alltag beschäftigt, ganz viel mit Politik zu tun hat.
So ist die Klimabewegung "Fridays for Future" zwar sehr politisch, aber vielen beteiligten Frauen ist das gar nicht wirklich bewusst. Aktivistinnen wie Luisa Neubauer, Carla Reemtsma und Greta Thunberg machen jungen Frauen zwar Mut, ihre Ziele zu verfolgen und ins Rampenlicht zu treten. Aber bisher hat sich das noch nicht auf die politischen Gremien auswirkt. Mina Mittertrainer glaubt, dass mehr aktive Politikerinnen vieles verändern könnten, etwa den oft aggressiven Umgangston oder die familienfeindlichen Sitzungszeiten.
Frauenquote notwendig
Ein wichtiges Instrument, um 50 Prozent Frauenanteil in den politischen Gremien zu erreichen, so Mina Mittertrainer, sei die Frauenquote. "Wann wir die Parität erreichen, hängt auch davon ab, was wir dafür machen - es passiert nicht von selber. Die Quote kann dabei helfen, diese Strukturen aufzubrechen. Und davon profitieren nicht nur Frauen."
In Frankreich wurde 2001 das sogenannte Paritätsgesetz eingeführt. Das bedeutet: Auf den Wahllisten müssen genauso viele Frauen wie Männer stehen. Der Frauenanteil in der französischen Nationalversammlung ist seither von 10,8 Prozent auf 38,7 Prozent gestiegen. Im deutschen Bundestag liegt der Frauenanteil 2021 bei gerade mal 31,4 Prozent.
Zwar hat Angela Merkel gezeigt, dass Frauen in der Politik erfolgreich sein können. Aber zu mehr Parität hat das nicht geführt. Die "Beiräte junger Frauen" könnten hier ein weiterer Schritt für mehr Teilhabe junger Frauen in der Politik sein.
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