Viele Menschen leiden auch Monate nach einer Corona-Infektion. Manche haben Schwierigkeiten zu atmen, andere brechen schon nach der kleinsten Anstrengung erschöpft zusammen, wieder andere können sich schlecht konzentrieren. Insgesamt sind mittlerweile rund 200 Symptome bekannt bei einer Krankheit, die je nach Dauer Long oder Post Covid heißt und an der nach neueren Studien etwa sechs Prozent der Infizierten leiden. In Deutschland sind es mehrere Hunderttausend Menschen.
- Zum Artikel: Fragen und Antworten zu Long Covid und Post Covid
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Long-Covid-Patienten haben hohen Leidensdruck
Prof. Carmen Scheibenbogen, schon vor der Corona-Pandemie eine ausgewiesene Expertin für chronische Erschöpfung, versteht die Leiden der Betroffenen gut: "Sie sind teilweise so schwer krank, sie liegen zu Hause und es geht fast gar nichts mehr. Und dann haben sie auch das Gefühl, es passiert nichts." Denn lange wurden chronische Erschöpfungserkrankungen, wie sie etwa nach dem Pfeifferschen Drüsenfieber auftreten können, von vielen Ärzten als psychosomatisch abgetan – wie jetzt häufig auch Long und Post Covid.
Dabei gibt es viele Hinweise, dass etliche der Symptome nicht psychosomatische, sondern physiologische, also körperliche Ursachen haben. Das bedeutet nicht, dass das eine mehr oder weniger schlimm für die Betroffenen ist – beides sind ernstzunehmende Krankheitsmechanismen. Aber es zeigt, wie komplex die anhaltende Krankheit nach einer Corona-Infektion ist. Viele dieser Erkrankungen könne man bislang diagnostisch nicht gut einordnen, sagt Carmen Scheibenbogen: "Wir können den Patienten nicht genau sagen, was die Ursachen ihrer vielfältigen Beschwerden sind."
Es gibt viele Therapieansätze
Spezielle Reha-Maßnahmen sind vielversprechend, um zum Beispiel Menschen mit Atemproblemen weiterzuhelfen. Bei Menschen mit chronischer Erschöpfung ist eine klassische Reha dagegen sogar hinderlich – sie müssen in langer, mühsamer Arbeit lernen, in kleinen Schritten ihren Körper nicht zu überfordern. Druckkammern könnten die Sauerstoffversorgung und Durchblutung verbessern. Und es gibt Ansätze wie experimentelle Antikörpermedikamente und Blutwäsche. Eine umstrittene ARD-Doku von Eckart von Hirschhausen macht darauf jetzt aufmerksam.
Experimentelle Therapien sind teuer – der Ausgang ungewiss
Eine Ärztin in Nordrhein-Westfalen behandelt viele Menschen mit der sogenannten HELP-Apherese. Diese sei eigentlich dazu entwickelt worden, um vor allem Fette aus dem Blut zu herauszuwaschen, erklärt Prof. Jan T. Kielstein, Chefarzt für Innere Medizin und Nephrologie am Städtischen Klinikum Braunschweig und Experte für die umgangssprachlich genannte Blutwäsche.
Die behandelnde Ärztin geht davon aus, dass sich im Blut von Long-Covid-Patienten Blutgerinnsel bilden, die sie mittels der Apherese und Blutverdünnungsmedikamenten entfernen will. Dabei ist aber nicht klar, ob diese Blutgerinnsel überhaupt ursächlich für die Beschwerden sind, kritisieren Fachleute. Der klinische Nachweis dafür fehlt – und die Patienten, die auf die Therapie setzen, müssen sie aus eigener Tasche bezahlen. "Ich mache mir große Sorgen, dass viele Menschen aus Verzweiflung in den wirtschaftlichen Ruin mit diesen Therapien getrieben werden", sagt Jan T. Kielstein.
Blutwäsche ist nicht gleich Blutwäsche
"Apherese ist ein Überbegriff für alle Verfahren, bei denen bestimmte Bestandteile aus dem Blut entfernt werden", sagt Kielstein. Viele dieser Ansätze sind bislang zugelassen – aber eben nicht für den Einsatz bei Long Covid. Ein anderer Einsatz des Verfahrens könnte aber vielversprechend sein – und wird wissenschaftlich begleitet: die Immunadsorption.
Dabei, so Kielstein, werden bestimmte Eiweißgruppen, zum Beispiel Immunglobulin G – also Antikörper – bei der Blutwäsche "außerhalb des Körpers wie von einem Magneten festgehalten, und alles andere, was sich im But befindet, wird zurück in den Körper gebracht." Dazu forscht aktuell auch Carmen Scheibenbogen an der Charité Berlin, sie hat eine Förderung für eine klinische Studie erhalten. Noch werde aber zu wenig getan, kritisiert sie. Pharma-Unternehmen seien zurückhaltend, deshalb brauche es mehr Unterstützung der Politik, um mehr Therapien für Long Covid zu erforschen.
Bei Unsicherheit hilft nur mehr Forschung
"Ich selber halte es für absolut wichtig, verschiedenste Möglichkeiten in Betracht zu ziehen", sagt die Chefärztin der Median Klinik in Heiligendamm und Long-Covid-Spezialistin Dr. Jördis Frommhold: "Das können wir uns auch gar nicht leisten, jetzt irgendeine mögliche gute Option außer Acht zu lassen." Dabei gelte aber immer: Ärztinnen und Ärzte haben einen hippokratischen Eid geschworen, und das bedeutet auch, dass sie ihre Patientinnen und Patienten vor einem möglichen Schaden durch nicht geprüfte Therapien bewahren.
"Wir müssen das auf eine wissenschaftliche Ebene bringen, auf eine Evidenz bringen, um unseren Patienten nicht zu schaden." Dr. Jördis Frommhold
Jede neue Therapie muss also von der Forschung begleitet und nach besten wissenschaftlichen Maßstäben überprüft werden, um genau festzustellen, was hilft und wo Nebenwirkungen auftreten. Nur dann, wenn genug überprüfbare Daten existieren, können Krankenkassen die Therapien überprüfen und, wenn sie nachweislich helfen, die Kosten übernehmen – damit am Ende alle Betroffenen sich die Therapie auch leisten können.