Es sind gespenstische Videos, die an diesem Montag in der ukrainischen Hauptstadt Kiew aufgenommen wurden und in den sozialen Medien kursieren. Aus der Ferne ist eine Drohne zu sehen, sie schwebt über einem Gebäudekomplex. Dann ändert sie ihre Flugrichtung, immer weiter nach unten. Eine Explosion, sofort Feuer, Rauchschwaden. Treffer. Später berichten die Behörden von mehreren Toten durch einen Drohnenangriff – ob es die Attacke aus der Filmsequenz war, bleibt offen.
Klar ist: Die russische Armee verwendet bei ihren Attacken auf ukrainische Städte mittlerweile vermehrt sogenannte Kamikaze-Drohnen. Diese unbemannten und vergleichsweise kleinen Luftfahrzeuge tragen Sprengstoff und funktionieren letztlich wie Raketen – können dabei aber häufig präziser gesteuert werden und sind deutlich günstiger. Mit ihrem vermehrten Einsatz könnte Beobachtern zufolge ein neues Kapitel des russischen Angriffskriegs in der Ukraine beginnen.
Wie funktionieren die Kamikaze-Drohnen?
Der bei den jüngsten Angriffen auf Kiew und andere ukrainische Städte überwiegend verwendete Drohnentyp wird von einem Propeller am Heck angetrieben. Über 100 GPS-Empfänger sind für die Navigation der Drohne installiert. Die Höchstgeschwindigkeit soll rund 240 km/h betragen. Es gibt aber auch langsamere Drohnen mit rund 180 km/h Spitzentempo. Allzu komplex sind solche Drohnen laut Experten nicht gebaut, viele Bauteile können einfach im Internet bestellt werden.
Die Sprengwirkung der aktuell von Russland eingesetzten Drohnen wird mit einer Artilleriegranate verglichen. Ihr Ziel können sie per Autopilot erreichen, sie können aber auch eine gewisse Zeit in der Luft kreisen, bevor ihnen ein Soldat aus der Ferne per Steuerung einen genauen Ort für die Detonation zuweist. Der Zusatz "Kamikaze" hängt damit zusammen, dass die Drohnen logischerweise zerstört werden, wenn sie ihr Ziel treffen. Immer wieder ist auch von "Einweg-Drohnen" die Rede – ein verharmlosender Begriff für eine potenziell tödliche Waffe.
Karte: Die militärische Lage in der Ukraine
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Wie groß, laut und teuer sind die Drohnen?
Auch hier gibt es Unterschiede je nach Typ. Die laut Medienberichten aktuell von Russland in der Ukraine verwendeten "Schahed 136"-Drohnen haben eine Spannweite von 2,5 Metern und ein Gewicht von rund 200 Kilogramm. Sie sind verglichen mit Raketen extrem billig: Rund 20.000 US-Dollar kostet ein Exemplar in der Herstellung. Es gibt Fabrikate anderer Hersteller, die sogar unter 10.000 Dollar pro Stück liegen.
"Die Schahed sind sehr schwer zu entdecken, da sie sehr niedrig fliegen", sagte die ukrainische Militärsprecherin Natalia Humeniuk im September. "Aber sie machen viel Lärm, wie eine Kettensäge oder ein Motorroller." Deshalb seien die Drohnen schon von weitem zu hören.
Wie zerstörerisch sind die Drohnen?
Das hängt vom Maßstab ab. Zwar hat das ukrainische Militär nach eigenen Angaben eine deutliche Mehrheit der Drohnen abgeschossen – und andere Beobachter weisen darauf hin, dass keine Häuser vollständig zerstört seien. Andererseits sind laut ukrainischen Angaben landesweit allein an diesem Montag mindestens sechs Menschen bei den Angriffen getötet worden. Einzelne Drohnen finden also ihr Ziel, auch deshalb werden häufig viele gleichzeitig losgeschickt.
Gerade mit Blick auf den nahenden Winter können russische Drohnen-Angriffe auf die ukrainische Energie-Infrastruktur für große Schäden sorgen. Sehr unwahrscheinlich ist laut Militärexperten, dass die Drohnen entscheidenden Einfluss auf den Verlauf der Frontlinie im Osten und Süden des Landes haben. Es dürfte der russischen Armee also nicht zuletzt darum gehen, die Menschen in Städten wie Kiew dauerhaft in Angst zu versetzen.
Stammen die russischen Drohnen aus dem Iran?
Allem Anschein nach ja. Zwar dementieren iranische Stellen weiter, an Russland Drohnen geliefert zu haben. Allerdings sind sich die meisten Experten, mehrere westliche Geheimdienste und das ukrainische Militär inzwischen sicher. Das zeigen offenbar auch die Überreste abgeschossener oder selbst detonierter Drohnen in der Ukraine.
Wie viele Drohnen vom Typ "Schahed 136" der Iran im Sommer an Russland geliefert hat, ist nicht bekannt. Von "möglicherweise mehreren hundert" schrieb zuletzt die "Neue Zürcher Zeitung", das ukrainische Militär spricht dagegen von 2.400. Der russische Name für die Drohnen lautet "Geran-2".
Offenbar haben Russland und der Iran zudem einen Vertrag über die Lieferung weiterer Drohnen unterzeichnet. Das berichten mehrere Medien unter Berufung auf "durchgesickerte Informationen" aus dem Iran. Demnach soll Russland eine unbekannte Anzahl Drohnen gekauft haben, die weiter entwickelt und damit zerstörerischer als jene vom Typ "Schahed 136" seien. Die Rede ist darüber hinaus von Boden-Boden-Raketen, die ebenfalls vom Iran an Russland geliefert werden sollen.
Was sind die Folgen für den Iran?
Bisher keine. Zuletzt haben allerdings mehrere Außenminister aus EU-Staaten deutlich gemacht, dass es Sanktionen gegen den Iran geben werde, wenn sich Berichte über iranische Drohnen-Lieferungen an Russland bewahrheiten. Auch der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba fordert aktuell Konsequenzen: "Ich habe die EU aufgerufen, Sanktionen gegen den Iran zu verhängen, weil dieser Russland mit Drohnen beliefert", twitterte er.
Der EVP-Vorsitzende, der CSU-Politiker Manfred Weber, sagte im BR24-Interview, sollte der Iran Russland tatsächlich mit Raketen und Drohnen im Krieg gegen die Ukraine beliefern, müsse der Iran mit härteren Sanktionen rechnen. Über die Waffenlieferungen brauche es aber zunächst Klarheit.
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Warum wächst der politische Druck auf Israel?
Besonders versiert im Analysieren und Abschießen iranischer Drohnen ist das israelische Militär. Schon länger beklagt der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, dass Israel seinem Land keine konkrete Luftabwehr-Unterstützung gibt. "Ich weiß nicht, was mit Israel passiert ist", sagte Selenskyj vor einigen Wochen. "Ich bin ehrlich und offen gesagt – ich stehe unter Schock, weil ich nicht verstehe, warum sie uns keine Luftverteidigung geben konnten."
Allerdings nimmt die Debatte nach den jüngsten russischen Angriffen auch in Israel Fahrt auf. Der israelische Minister Nachman Schai twitterte: "Es gibt keinen Zweifel mehr, wo Israel in diesem blutigen Konflikt stehen sollte." Jetzt sei die Zeit gekommen, der Ukraine militärische Hilfe zu gewähren, "genau wie es die USA und die Nato-Staaten machen".
Was würde der Ukraine ansonsten helfen?
Mehr Systeme zur Luftverteidigung, egal ob aus Israel oder aus anderen Staaten. Das fordert nicht nur Präsident Selenskyj, sondern auch Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko. Aktuelle Szenen aus Kiew zeigen, dass ukrainische Streitkräfte teilweise mit Gewehren auf die Drohnen in der Luft zielen.
Zuletzt kündigte die Nato an, der Ukraine hunderte Störsender zu liefern. Diese sogenannten Jammer senden in der Regel ein Signal aus, das die Funkverbindung zwischen der Drohne und deren Steuerungsgerät stört oder blockiert.
Ob auch das aus Deutschland jüngst gelieferte Flugabwehrsystem "IRIS-T" gegen Kampfdrohnen helfen wird, ist nicht ganz klar. Grundsätzlich ist das möglich, allerdings ist die Zahl der Abwehrraketen begrenzt und jede einzelne dieser Raketen extrem teuer. Eine Unteroffizierin der ukrainischen Armee wurde neulich in der Neuen Zürcher Zeitung wie folgt zitiert: Man brauche modernere Radarsysteme, um gleichzeitige Bedrohungen von verschiedenen Seiten im Auge zu behalten. Denn derzeit sei es schwierig, die Drohnen auf dem Radar zu entdecken.
Hat auch die Ukraine Kampfdrohnen im Einsatz?
Ja. Besonders in den ersten Kriegsmonaten sorgten ukrainische Drohnen-Angriffe auf russische Stellungen, teils hinter der Landesgrenze, für Schlagzeilen. Dabei waren vor allem sogenannte Kampf- und Aufklärungsdrohnen aus türkischer Herstellung im Einsatz. Aber es gab auch immer wieder ukrainische Attacken mit "Kamikaze-Drohnen", zum Beispiel auf der völkerrechtswidrig von Russland annektierten Halbinsel Krim. Von den USA erhielten die ukrainischen Streitkräfte entsprechende Drohnen vom Typ "Switchblade".