Fast eine Woche lang hatten etwa 600 junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Gelegenheit, mit rund vierzig Nobelpreisträgern ins Gespräch zu kommen, beim 72. Nobelpreisträgertreffen in Lindau am Bodensee. Nach der Corona-Pause endlich wieder in Präsenz. Gut gelaunt und bei bestem Wetter trafen sich die klügsten Köpfe der Welt vom 24. bis zum 30. Juni 2023.
Junge, aufstrebende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind vom Nobelpreisträgertreffen begeistert: Sie lassen sich gern von "den Alten" inspirieren und freuen sich über angeregte Gespräche mit den prämierten Forscherinnen und Forschern. Wir haben zwei der jungen Forschenden in Lindau gefragt, was dieses Treffen so außerordentlich macht.
Dem Nobelpreisträger in der Kaffeeschlange Fragen stellen
Umair Munawar ist ein dreißigjähriger Molekularbiologe am Uniklinikum Würzburg – Spezialgebiet Knochenmarkskrebs, das sogenannte multiple Myelom. Er kommt aus Pakistan, lebt seit sechs Jahren in Deutschland und machte seinen Doktortitel am Comprehensive Cancer Center der Uni Würzburg.
"Es ist wirklich ein verrückter Ort hier. Du liest schon lang von all diesen berühmten Leuten in den großen bahnbrechenden Studien. Und du verbindest mit diesen Namen kein Gesicht, du denkst, die triffst du eh niemals. Aber plötzlich stehst du hier in Lindau in einer Schlange für Kaffee und dann steht hinter dir der berühmteste Forscher zum Thema Zellbiologie. Und du denkst: Hey, Tim, schön, dich hier zu treffen." Umair Munawar, Nachwuchsforscher
Tim, das ist Tim Hunt: Britischer Biochemiker und Nobelpreisträger für seine Entdeckungen rund um den Zyklus der Zelle. Umair Munawar konnte ihm ein paar Fragen stellen zum Thema Zellregulierung und Zellvermehrung, das interessiert ihn als Krebsforscher.
Wie junge Forscher zum Nobelpreisträgertreffen kommen
Umair Munawar ist einer von etwa 600 sogenannten Young Scientists, jungen Forschenden aus aller Welt, die hier in Lindau auf die berühmten, preisgekrönten Forschenden treffen. Etwa 3.000 bewerben sich jedes Jahr, manche tun das selbst, viele werden vorgeschlagen, so wie Umair Munawar. Und manche gelangen über Stiftungen nach Lindau. So war es bei Sophia Stock, Medizinerin und ebenfalls Krebsforscherin an der Münchner LMU:
"Es ist ja ein sehr, sehr besonderes Event, weil man sonst nie in der Form überhaupt mit Nobelpreisträgern in Kontakt kommt. In den ersten Tagen bekommt man Einblicke durch die verschiedenen Vorträge, die die Nobelpreisträger halten, und die verschiedenen Diskussionsrunden." Sophia Stock, Krebsforscherin
Video: Wie kommt man in die Auswahl für das Nobelpreisträgertreffen?
Inspiration für die eigene Forschungsarbeit und -karriere
Die 29-jährige Sophia Stock ist Ärztin und forscht zur Immuntherapie bei Krebs. Für sie ist besonders interessant, Inspiration für die eigene Arbeit, die Karriere zu bekommen. Im Gespräch mit gleichaltrigen "Young Scientists", aber auch durch Begegnungen mit den berühmten Vorbildern. Dabei geht es ausdrücklich nicht gleich darum, auch einen Nobelpreis zu bekommen, sondern um Anregungen, die eigene Karriere gut zu gestalten:
"Jetzt bin ich eine Frau, und wie wir sehen: ein Großteil der Träger ist männlich. Und ich finde es wahnsinnig inspirierend auch mit den weiblichen Nobelpreisträgern, weil die für mich einfach 'Role Models', Vorbilder sind, und einem auch zeigen können, dass man das schaffen kann. Und einem den Weg aufzeigt, wie man da hinkommen kann." Sophia Stock, Medizinerin
- Seltene Erscheinung: Wie Frauen zu einem Nobelpreis kommen
Nobelpreisträgerin als Rollenmodell
Eines dieser Role Models ist zweifellos die französische Genetikerin Emmanuelle Charpentier. Sie leitet eine Max-Plack-Forschungsstelle in Berlin. 2020 bekam sie zusammen mit Jennifer Doudna den Chemie-Nobelpreis für die Entdeckung der Genschere CRISPR-Cas. Da war sie gerade mal 52 Jahre jung – verglichen mit anderen Nobelpreisträgern. Und als Frau immer noch Teil einer Minderheit. Ein doppeltes Role Model gewissermaßen.
Frühstück mit den Vorbildern
Das ist sie nicht nur für Frauen, erklärt Umair Munwar. Er trifft Charpentier in Lindau morgens um sieben bei einem Science Breakfast, ganz aus der Nähe. Die Nobelpreisträgerin erzählt an diesem Morgen, dass sie inzwischen gar nicht mehr an CRISPR arbeitet, sondern sich anderen Dingen zugewandt hat. Die Genschere, einmal in der Welt, nutzen nun andere, und können das vielleicht sogar besser. Zeit also, etwas anderes zu machen. Umair Munawar ist begeistert:
"Vielleicht ist es manchmal richtig, etwas genau dann sein zu lassen, wenn man das Beste erreicht hat - und sich anderen Zielen zuzuwenden. Ich fand das sehr inspirierend. Dann ist es vielleicht Zeit, etwas anderes zu machen, sich neue Ziele zu suchen, etwas zu verändern, genau dann, wenn man am besten war." Umair Munawar
Sprach's, grinst und entschuldigt sich gleich wieder. Er muss noch schnell zurück zu Emmanuelle Charpentier. Er will ein Selfie mit ihr. Ganz unwissenschaftlich, er weiß schon. Aber eben auch ganz unvergesslich.
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