Zwei Wochen lang haben Delegierte aus rund 200 Ländern im ägyptischen Sharm El-Sheikh über die Umsetzung und Ausgestaltung des Pariser Klimavertrages verhandelt. Eigentlich sollte der Gipfel schon am Freitag zu Ende gehen, doch die Diskussion um die gemeinsame Abschlusserklärung dauerte bis zum frühen Sonntagmorgen.
- Zum Artikel: Klimakonferenz - Die Beschlüsse im Überblick
Lukas Hermwille vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie hat als Beobachter am Klimagipfel COP27 teilgenommen: "Emotional fühlte sich diese COP an wie der Aufenthalt auf einem völlig überfüllten Flughafen in der Urlaubszeit: Menschenmassen, überall Sicherheitspersonal und Überwachung, Verpflegung überteuert oder außer Reichweite, das Gefühl von Orientierungslosigkeit, es geht einfach nicht voran. Aber am Ende ist dann doch der Knoten geplatzt. Die wichtigsten Ergebnisse sind das Sofortprogramm für gesteigerte Klimaschutzaktivitäten (Mitigation Work Programme) sowie der Fonds für die Finanzierung von Schäden und Verlusten (Loss & Damage)."
Hermwille vermisst in den Beschlüssen aber ein klares Bekenntnis zum Ausstieg aus der Förderung und Nutzung fossiler Energieträger. In der Abschlusserklärung sei jetzt nur noch davon die Rede, den Anteil von erneuerbaren und "Niedrigemissions"-Energien zu steigern. Das könnten einzelne Länder auch so auslegen, dass damit mehr Förderung von Erdgas gemeint sei.
Kein Umschalten in den Notfallmodus
Den Beschluss, einen Fond zum Ausgleich von Klimaschäden einzurichten, betrachtet auch Professor Niklas Höhne vom New Climate Institute, der ebenfalls als Beobachter in Sharm El-Sheikh war, als Erfolg: "Ein Durchbruch ist der neue Finanzierungsmechanismus für Schäden des Klimawandels. Darauf wurde über zehn Jahre gewartet."
Ansonsten habe die Klimakonferenz jedoch nur Minimalanforderungen wie die Bestätigung des 1,5-Grad-Zieles erfüllt. "Im Schatten der Energiekrise ist völlig ausgeblieben, in den Notfallmodus umzuschalten. Man hat sich nicht mal auf das Offensichtliche einigen können: Dass alle fossilen Energien heruntergefahren werden müssen, nicht nur Kohle. Das ist eigentlich seit Abschluss des Pariser Klimaschutzabkommens klar. Nun kann der Run auf neue Gasinfrastruktur weitergehen, die Befürworter sehen sich sogar bestätigt."
Die Klimakonferenz in Glasgow vor einem Jahr war für Höhne ein kleiner, aber wichtiger Schritt in die richtige Richtung mit viele neuen nationalen Klimaschutzzielen und internationalen Initiativen. In diesem Jahr sei dies ausgeblieben.
Klimagipfel-Teilnehmer Oliver Geden vom Deutschen Institut für Internationale Politik und Sicherheit gibt demgegenüber zu bedenken, dass die Klimakonferenzen in Sharm El-Sheikh und Glasgow unterschiedliche Schwerpunkte hatten: "In Glasgow standen Emissionsminderungen sehr viel stärker im Vordergrund, solche Ankündigungen sind stärker greifbar. Gleichzeitig ist bei der Umsetzung vieler dieser Initiativen noch nicht viel passiert, oder es lässt sich medial nicht so leicht vermitteln." Außerdem werde nicht unbedingt auch tatsächlich das umgesetzt, was auf den Konferenzen angekündigt wird. Die Beschlüsse der COP27 in Sharm El-Sheikh zur Reduzierung der Emissionen unterscheiden sich laut Geden nicht von denen der COP26 in Glasgow, und diese seien im Folgejahr bekanntermaßen weitgehend ignoriert worden.
"Überschreiten der 1,5-Grad-Marke wird sich kaum noch verhindern lassen"
Eine Form von Ignoranz hat Geden auch in Sharm El-Sheikh beobachtet: "Wie schon in Glasgow 2021 verfestigt sich auch bei der COP27 der Eindruck, dass zentrale Erkenntnisse des Weltklimarates IPCC zur Erreichbarkeit des 1,5-Grad-Ziels von der internationalen Klimadiplomatie nur selektiv wahrgenommen werden. Immer unterhalb dieser Marke zu bleiben ist nicht mehr plausibel. Ein zumindest temporäres Überschreiten der 1,5-Grad-Marke wird sich kaum noch verhindern lassen, selbst wenn die Emissionen bis 2030 um 43 Prozent sinken würden, wie in der Abschlusserklärung von Sharm El-Sheikh formuliert."
Positiv sieht Geden allerdings die Bemühungen, den inzwischen weltweit größten Produzenten von Treibhausgasen an den Kosten des Klimawandels zu beteiligen: "Überraschend war, dass die EU derart deutlich versucht hat, China bei Zahlungen für 'Verluste und Schäden' in die Pflicht zu nehmen. Bislang war das vor allem eine US-amerikanische Position. Es zeigt, dass die alten Industriestaaten nicht mehr bereit sind, China den Status eines Entwicklungslandes zuzugestehen. Die chinesischen Pro-Kopf-Emissionen liegen inzwischen über denen der EU."
- Zum Artikel: Wissenschaftler bezweifeln Wirkung von Klimakonferenzen
Keine Anzeichen für einen Rückgang des weltweiten CO2-Ausstoßes
Auch Julia Pongratz, Professorin für Physische Geographie und Landnutzungssysteme an der Ludwig-Maximilians-Universität München, hat als Beobachterin an der Klimakonferenz in Sharm El-Sheikh teilgenommen. Ihre Erwartungen an die Beschlüsse waren nicht hoch, enttäuscht ist sie trotzdem: "Ein weiterer Durchbruch wie auf der COP 2015 in Paris war natürlich nicht zu erwarten, ist die Welt doch noch damit beschäftigt, die ambitionierten Ziele von damals in ihren nationalen Strategien zur Emissionsreduktion umzusetzen. Aber diese Umsetzung hakt massiv, wie auch die während der COP veröffentlichten neuesten Zahlen des Global Carbon Projects wieder belegten: Es gab auch 2022 keine Anzeichen für einen Rückgang der weltweiten CO2-Emissionen. Bei den aktuellen Emissionen verbleiben noch neun Jahre, bis die 1,5-Grad-Marke mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent gerissen wird."
Enttäuscht ist Pongratz insbesondere vom Ergebnis der COP27 bei der Abmilderung der Klimaschäden. Dass das Nachschärfen der nationalen Ziele auf die Klimakonferenz im kommenden Jahr in den Vereinigten Arabischen Emiraten vertagt wurde, werde der Dringlichkeit des Problems in keiner Weise gerecht. Mit jedem Jahr, in dem Transformationen nicht angestoßen und in dem weitere massive Kosten für Klimaschäden in Kauf genommen wurden, werde es nur noch schwieriger, eine Lösung zu finden.
Braucht die Klimapolitik noch andere Formate des Austauschs?
Der Klimafolgenforscher Ottmar Edenhofer hält zusätzlich zum großen Klimagipfel kleinere Verhandlungsformate für notwendig. Zwischen 200 Ländern könne man nicht verhandeln, sagte Edenhofer bei BR24 im BR Fernsehen. Zwei Drittel der Emissionen weltweit würden von nur wenigen Ländern verursacht, nämlich USA, China, der EU, Indien, Russland und Japan. Diese müssten extra miteinander verhandeln und etwa den Kohleausstieg vereinbaren, erklärte der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung.
Klimapolitik ist für Edenhofer kein Sprint, sondern ein Marathon. "Beim Marathon muss man Ausdauer haben, man muss seine Kräfte richtig einschätzen, um anzukommen." Noch habe der "Marathonlauf" aber nicht begonnen, es liefen nach wie vor die Vorbereitungen. Jetzt sei es an der Zeit, das "Training" zu beginnen. "Jeder kleine Schritt, der uns gelingt, macht dann Mut zu dem nächsten Schritt", so der Experte. "Wir haben uns leider in eine Lage manövriert, in der wir immer das große Ziel vor Augen haben, aber das Zwischenziel vernachlässigen." Dies sei keine gute Strategie.
Fazit
Bei Wissenschaftlerinnen und Experten überwiegen Enttäuschung über die Ergebnisse der Klimakonferenz COP27 in Sharm El-Sheikh. Einige positive Aspekte gibt es jedoch, zum Beispiel die Gründung eines Fonds für die Finanzierung zur Behebung von Klimaschäden oder ein neues Programm, das Entwicklungsländern Finanzhilfen bringt, um deren Wirtschaft klimafreundlicher zu machen. Insgesamt bleiben die Beschlüsse aber weit hinter dem zurück, was tatsächlich notwendig wäre, um die Erderhitzung wirksam zu bremsen.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!