Als Antwort auf das schlechte Abschneiden der Grundschüler bei der letzten Pisa-Studie in den Fächern Mathe und Deutsch will das bayerische Kultusministerium Unterrichtsstunden in Musik, Kunst und Werken kürzen.
Die sogenannten "kreativen Fächer" solle es zwar auch im kommenden Schuljahr noch als Einzelfächer geben, betont das Ministerium, doch die Fächer sollen in einem Fächer-Pool zusammengelegt und somit von den Grundschulen flexibler eingesetzt werden. Nicht nur Musikpädagogik-Experten warnen vor den Kürzungen, die die zuständige Ministerin Anna Stolz von den Freien Wählern vergangene Woche angekündigt hat.
Erfahrungen von Lehrern einer "musikbegeisterten Schule"
Musik bewirke ganz viel bei den Kindern, sagt Sabine Stolzenburg. Sie ist Leiterin der Grundschule "am Weinberg" in Alzenau-Michelbach bei Aschaffenburg, die gerade als "Musikbegeisterte Grundschule" ausgezeichnet wurde. Eine Auszeichnung, die das bayerische Kultusministerium 140 bayerischen Grundschulen verleiht.
In der Grundschule in Unterfranken wird Musik großgeschrieben: Alle Schülerinnen und Schüler dort singen den eigenen Schul-Song oder treten im Chor bei Festen oder Veranstaltungen auf. Musik unterrichten nicht nur Klassenlehrer, sondern auch speziell ausgebildete Musikpädagogen.
Musik fördere die Persönlichkeitsentwicklung, es lerne sich dadurch leichter, sagt Stolzenburg ebenso wie Regina Wahl, die an der Schule als Musikpädagogin tätig ist. Kinder lernten hier, wie es sich anfühlt, Fortschritte zu machen, wenn man dranbleibt – auch losgelöst von Sprachkenntnissen, hebt die Musikpädagogin den positiven Nutzen des Musikunterrichts hervor. Entscheidend sei, dass eben alle mitmachten. Auch diejenigen, bei denen Musik zu Hause nicht gefördert werde. Die hätten dann zumindest den Musikunterricht in der Schule, sagt sie.
Musikunterricht und seine Wirkung auf Kinder – was Forscher sagen
Auch Johannes Hasselhorn, Professor für Musikpädagogik und Didaktik an der FAU in Nürnberg, hält die Musikerziehung für die Entwicklung von Kindern für sehr wichtig. "Musik ist ein Teil unseres gesellschaftlichen Lebens, ein wahnsinnig wichtiger Teil. Und den muss ich lernen, um ihn verstehen zu können, um auch mitreden zu können und um mich entscheiden zu können: Ich möchte da mitmachen, oder ich möchte da nicht mitmachen! Wenn ich das nicht lerne, dann kann ich die Entscheidung nicht treffen, sondern dann bin ich einfach raus", sagt er.
Hasselhorn konnte in seiner Forschungstätigkeit auch die positive Wirkung von Musik-Projekten an sogenannten "Brennpunktschulen" belegen. So könnten Kinder und Jugendliche, die Anschlussschwierigkeiten hätten, über solche Projekte "wieder lernen, Vertrauen in sich selbst zu fassen" ist Hasselhorns Erfahrung. Sie würden dadurch lernen, "ich kann Ziele erreichen. Ich kann Dinge schaffen, die auch gut ankommen." Dadurch werde das Selbstwertgefühl bei Kindern und Jugendlichen gesteigert, so der Musikpädagoge.
Doch nicht nur an Brennpunktschulen spielt das Musizieren eine wichtige Rolle. Kinder, die Musik-AGs besuchen, zum Beispiel eine Bigband, ein Orchester oder einen Chor, würden beispielsweise über die Zeit gewissenhafter, so das Ergebnis seiner Forschungen.
Transfer-Effekte musikalischer Aktivitäten
Welche sogenannten Transfer-Effekte musikalische Aktivitäten und damit auch der Musikunterricht bei Kindern und Jugendlichen haben, ist durch viele Studien belegt. So habe das gemeinsame Musizieren pro-soziale-Effekte wie zum Beispiel eine positive Wirkung auf die Emotionsregulation und trage dadurch zur Persönlichkeitsentwicklung bei, ist das Fazit zahlreicher Forschungen. Auch kognitive Fähigkeiten ließen sich durch Musizieren positiv beeinflussen.
In einer Veröffentlichung der Zusammenfassung von Forschungsergebnissen heißt es dazu: "Ferner gibt es Hinweise darauf, dass langfristiges Musizieren im Kindes- und Jugendalter (zehn Jahre und länger) doch positive Einflüsse auf kognitive Leistungen haben kann." Und weiter: "Nicht zuletzt gibt es in jüngerer Zeit eine sehr starke Zunahme an Forschungen, die den positiven Einfluss von Singen und Musizieren auf Wohlbefinden und Gesundheit nachweisen."
Weniger Musik an Grundschulen: Ministerin hält an Beschluss fest
Trotz der positiven Wirkung will Kultusministerin Stolz an ihrer Entscheidung, kreative Fächer wie Musik in der Grundschule zu kürzen, festhalten. "Warum? Ich bin überzeugt davon, wir haben die Profis vor Ort. Die Schulleiter wissen, was sie am meisten brauchen, und können das dann auch passgenau vor Ort umsetzten", bekräftigt sie gegenüber dem BR.
Forscher Hasselhorn sieht durch die von der Politik gewollte Flexibilität an Grundschulen bei den kreativen Fächern jedoch die Gefahr, dass gerade in den Schulen, die sich in sozial schwierigeren Umgebungen befinden, also "gerade dort, wo es besonders wichtig wäre, der Musikunterricht zurückgeht und Musik wieder zu einem Bildungsbürger-Fach wird. Und da, glaube ich, müssen wir auf jeden Fall Sicherungsmaßnahmen haben, dass das nicht passiert", sagt er im Gespräch mit BR24.
Rektorin Stolzenburg aus Unterfranken will auf jeden Fall am Musikunterricht für ihre Grundschüler festhalten.
Im Video: "Musikbegeisterte" Grundschule - Singen und Musizieren statt Theorie
Dieser Artikel ist erstmals am 6. März 2024 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
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