Wird es ein Junge oder ein Mädchen? Diese Frage bewegt viele werdende Eltern. Dabei ist es gar nicht so selten, dass kein eindeutiges Geschlecht im Mutterleib ausgeprägt wird.
Intersexualität - was bestimmt das Geschlecht?
Menschen sind intersexuell, wenn sie Merkmale von beiden Geschlechtern haben: Das äußere Geschlecht stimmt nicht mit dem inneren überein oder weicht vom Chromosomensatz XX (weiblich) beziehungsweise XY (männlich) ab. Das Geschlecht des Körpers wird uneindeutig, wenn zum Beispiel nur ein X-Chromosom alleine vorhanden ist. Das sogenannte Turner-Syndrom führt zu einem äußeren weiblichen Erscheinungsbild. Formen mit XXY-Chromosomen führen zu einem äußerlich männlichen Erscheinungsbild, genannt Klinefelter-Syndrom.
Wie kommt es zur Intersexualität?
Ob ein Fötus zum Mann oder zur Frau wird, hängt aber nicht nur von den Chromosomen ab. Mit 30 Tagen haben alle Embryos noch weibliche und männliche Geschlechtsanlagen - sie sind also alle intergeschlechtlich. Der einzige Unterschied: Enthalten die Zellkerne zwei XX-Chromosomen, entwickelt sich vermutlich ein Mädchen, sind es ein X und ein Y-Chromosom, wird es vermutlich ein Junge. Das ist aber nicht sicher, denn ein Zusammenspiel aus Genen und Hormonen bestimmt die Entwicklung des Geschlechts.
In der 6. und 7. Woche beginnt die Ausbildung der geschlechtlichen Anlagen. Beim Jungen entwickeln sich aus den Geschlechtsanlagen die Hoden. Diese schütten Testosteron aus. Dieses Hormon bewirkt die Ausbildung der männlichen Geschlechtsorgane. Die weiblichen Anlagen bilden sich zurück. Bei den Mädchen entwickeln sich zuerst die Eierstöcke, die das Hormon Östradiol produzieren. Es vollzieht sich der gleiche Prozess wie beim Jungen.
Viele Schritte zur Geschlechtsausbildung
Aber in jedem einzelnen Entwicklungsschritt kann es auch anders kommen. Ein Embryo kann sich nur zum Jungen entwickeln, wenn er genügend Testosteron bildet. Fehlen auf den Zellen der Genitalanlagen allerdings die Andockstellen dafür, wird das Baby intersexuell - es steht also in der biologischen Entwicklung zwischen Mann und Frau. Die Ausprägung der Geschlechtsorgane kann dabei eine große Bandbreite zeigen. Genauso wie das Selbstverständnis - der Mensch kann sich als Mann, Frau oder eben als intersexuell fühlen.
Fließender Übergang zwischen männlich und weiblich
Manche Formen der Intersexualität müssen behandelt werden. Dazu zählt vor allem das sogenannte Adrenogenitale Syndrom, kurz AGS, das mit Abstand am häufigsten vorkommt. Bei dieser Stoffwechselerkrankung ist oft auch der Salzhaushalt des Körpers gestört und der Säugling kann plötzlich sterben.
Männlich oder weiblich?
Viele Intersexuelle sind gesund und nicht behandlungsbedürftig - auch wenn sie nicht in unsere konventionellen Geschlechterrollen weiblich oder männlich passen. Wer mit Besonderheiten auf die Welt kommt, hat ein Problem, weil die Gesellschaft mit geschlechtlichen Mischformen überfordert ist. Aber immerhin gibt es seit dem 1. Januar neben männlich und weiblich nun "divers" als offizielles drittes Geschlecht - auch wenn die Bezeichnung nicht von allen als gut befunden wird. Aber immerhin besteht jetzt die Möglichkeit, das dritte staatlich anerkannte Geschlecht ins Geburtsregister eintragen zu lassen.
Offener Umgang und Aufklärung
Wie viele Intersexuelle es in Deutschland gibt, weiß eigentlich niemand so genau. Der Deutsche Ethikrat geht von etwa 80.000 intersexuellen Menschen aus. Wird heute ein Kind mit geschlechtlichen Besonderheiten geboren, hat es gute Chancen, menschenwürdig behandelt zu werden - sofern die Eltern an die richtigen Experten geraten. Allerdings ist es erst in seit gut 15 Jahren Pflicht, intersexuelle Patienten über ihre Behandlung aufzuklären.
Hilfe für Betroffene
- Erfahrene Ärzte und Therapeuten aufsuchen, mehrere Meinungen einholen.
- Kontakt zu anderen Betroffenen herstellen.
- Keine voreiligen Entscheidungen zu operativen Eingriffen treffen. Auf die Entfernung der Keimdrüsen (Gonadoektomie) kann in vielen Fällen verzichtet werden.
- Intersexuelle Menschen sollten so frühzeitig wie möglich ihrem Alter gemäß aufgeklärt werden.
- Keine Tabuisierung und Verheimlichung.
Grobe Fehler in der Vergangenheit
Früher war der Umgang mit Intersexuellen grundsätzlich anders. In den 1950er-Jahren, mit den von John Money entwickelten Therapien für intersexuelle Menschen, lief fast alles falsch. Er riet Eltern zu Hormonbehandlungen und frühzeitigen irreversiblen Operationen, in denen die Babys radikal auf ein Geschlecht zurechtgeschnitten wurden. Außerdem sollten Eltern die Besonderheiten geheim halten - auch vor ihrem betroffenen Kind. Money glaubte, dass das Geschlecht nicht nur biologisch geprägt wird, sondern vor allem durch die Umwelt: Wird ein Mädchen als Mädchen aufgezogen, wird es sich schon auch innerlich zu einem Mädchen entwickeln. Ein Irrglaube, wie man heute weiß.
Identitätskrisen programmiert
Die Folge war, dass Kinder nichts von ihrer Besonderheit wussten, ihr Anderssein aber genau fühlten. Stimmte nun das von den Ärzten aufgedrängte Geschlecht nicht mit ihrem inneren Bewusstsein überein, waren seelische Probleme programmiert. So leiden in Folge auch heute noch intersexuelle Menschen häufiger unter schweren Depressionen und nehmen sich auch weit häufiger das Leben. Sie kämpfen mit sozialer Isolation, persönlicher Unsicherheit und Scham, unterziehen sich schmerzhaften Eingriffen und aufreibenden Hormontherapien.
"Alle Mitglieder von Intersexuelle Menschen e.V. haben einen tabuisierten Umgang mit ihrer Besonderheit erfahren. Dass dies die Entwicklung einer gesunden Identität erschwert, liegt auf der Hand.“ Website Intersexuelle Menschen e.V.
Zudem bleibt für viele Betroffene ein erfüllendes Sexualleben ein Wunschtraum. Zwar gibt es inzwischen einige Forschungsprojekte, die sich mit Intersexualität befassen und neue Behandlungsansätze erarbeiten. Trotzdem sind sich Experten bis heute nicht einig darüber, wann operiert werden oder ob überhaupt operiert werden soll, wie man mit Hormonbehandlungen verfährt, wann die Kinder davon erfahren sollen? Einig ist man sich nur, dass noch viel Forschung nötig ist.
Unwissende Ärzte, unwissende Eltern
Viele Eltern werden von ihren Ärzten zum Beispiel nicht informiert, dass es inzwischen Selbsthilfeorganisationen für Intersexuelle gibt, die wertvollen Beistand leisten. Denn Intersexualität ist nicht nur ein körperliches, sondern vor allem ein soziales Phänomen. Jeder Fall ist einzigartig und es muss sorgsam abgewägt werden, ob und welche Therapie nötig ist. Können Eltern ihr Kind so annehmen, wie es auf die Welt gekommen ist, ist viel gewonnen. Denn intersexuelle Kinder können - müssen aber nicht - mal typisch weibliche und mal typisch männliche Verhaltensweisen zeigen.
Nicht verwechseln mit Transsexualität
Intersexualität hat nichts mit Transsexualität zu tun. Transsexuelle sind eindeutig in einem männlichen oder weiblichen Körper geboren, fühlen sich jedoch psychologisch in jeder Hinsicht dem anderen Geschlecht zugehörig. Viele lassen im Erwachsenenalter eine Geschlechtsanpassung durchführen.