Spätsommer 2020: Zwei Grundschülerinnen wollen von der Pflicht befreit werden, in ihrer Schule eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen. Vertreten durch ihre Mutter ziehen sie vor Gericht. Das Verwaltungsgericht Würzburg lehnt diesen Antrag ab.
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Die Richter begründeten ihre Entscheidung damit, dass die beiden Schülerinnen der zweiten und vierten Klasse "nicht aus gesundheitlichen Gründen von der Maskenpflicht auf dem Schulgelände befreit" seien. Die Antragstellerinnen hätten keine gesundheitlichen Gründe glaubhaft gemacht. Anders gesagt: Das ärztliche Attest, das sie vorgelegt hätten, sei zu pauschal. Das Gericht schreibt in seinem Beschluss:
“Dabei enthalten die Atteste (...) keinerlei Begründung, aufgrund welcher gesundheitlicher Gründe das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung für die Antragstellerinnen nicht möglich bzw. zumutbar sein soll. Es fehlt an der konkreten Diagnose eines Krankheitsbildes." (aus dem Beschluss des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 16.09.2020)
Auch das Verwaltungsgericht Regensburg mahnte jüngst die fehlende Diagnose auf einem Attest zur Befreiung von der Maskenpflicht an der Schule an. In einem Beschluss vom 17.09.2020 schreiben die Richter:
“Aus dem Attest ergibt sich nicht einmal, aus welchem Grund der Antragsteller keinen Mund-Nasen-Schutz tragen kann und auf welche Art und Weise sich der Gesundheitszustand des Antragstellers durch das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes erheblich verschlechtern könnte."
Ist die Schweigepflicht in Gefahr?
Die Gruppierung "Ärzte für Aufklärung" sieht aufgrund dieses Beschlusses die ärztliche Schweigepflicht in Gefahr, wie sie in einem Video auf ihrem inzwischen gelöschten Kanal sagte. Die Gruppierung war zuvor durch irreführende Behauptungen zu Masken und PCR-Tests aufgefallen, wie die Faktenchecker von Correctiv darlegten.
In ihrer Stellungnahme unter dem Video auf Youtube schrieb die Gruppierung: "Informationen über den Gesundheitszustand gehören zu den höchstpersönlichen Gütern der Patienten. Ärzte, die sich dem Skandalurteil des Würzburger Gerichts beugen, könnten damit sogar eine Straftat begehen."
Datenschutzbeauftragter: Schweigepflicht wird nicht verletzt
Dem widerspricht der bayerische Datenschutzbeauftragte Thomas Petri. Auf die Frage des BR24-#Faktenfuchs, ob sich Ärztinnen und Ärzte strafbar machen, wenn sie zur Befreiung von der Maskenpflicht ein Attest mit Diagnose ausstellen, antwortet er: "Nein, das tun sie nicht."
Petri erläutert:
"Erstens stellen sie das Attest den Patienten auf deren Bitte hin aus. Zweitens machen sich Ärzte oder Ärztinnen nur strafbar, wenn sie 'unbefugt' Patientendaten veröffentlichen. Hier erfolgt dies jedoch auf Grundlage einer gesetzlichen Verpflichtung (§ 32 Infektionsschutzgesetz in Verbindung mit der 7. Infektionsschutzmaßnahmenverordnung)." (Thomas Petri, bayerischer Datenschutzbeauftragter)
Das bestätigt die Bayerische Landesärztekammer (BLÄK) auf Anfrage: "Mit der Anforderung eines Attestes durch den Patienten wird der ausstellende Arzt von seiner Schweigepflicht entbunden. Da zudem der Patient darüber entscheidet, wie und wem gegenüber er das Attest verwenden will, bleibt er auch Herr über seine personenbezogenen Daten."
Auch die Richter des Verwaltungsgerichts Würzburg gehen in ihrem Beschluss auf den Aspekt Schweigepflicht ein. Datenschutzrechtliche Bedenken teile die Kammer nicht, schreiben sie, und begründen: "Die Schulleiterin unterliegt – wie im Übrigen auch alle anderen Lehrkräfte der Schule – als Beamtin der Pflicht zur Verschwiegenheit (§ 37 Abs. 1 BeamtStG)". Darüber hinaus seien Schulen gemäß Art. 85 Abs. 1 BayEUG befugt, personenbezogene Daten der Schülerinnen und Schüler zu verarbeiten.
Und an der Schule geht es noch um einen weiteren Aspekt: Die Einhaltung der Schulpflicht. Auch deshalb müsse und dürfe die Schulleitung die Glaubhaftmachung verlangen.
Problem mit Maske muss "glaubhaft" gemacht werden
Die Maskenpflicht gilt in Bayern an vielen Orten, nicht nur in der Schule. Auch bei Veranstaltungen in geschlossenen Räumen, in Restaurants und Cafés und bei Gottesdiensten muss eine Mund-Nasen-Bedeckung getragen werden, wenn man sich nicht an seinem Platz befindet. Bei Versammlungen und im öffentlichen Nahverkehr müssen Mund und Nase ebenso bedeckt sein wie in Geschäften.
Maßgeblich dafür, wann und wo eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen ist, ist die 7. Infektionsschutzmaßnahmenverordnung der Bayerischen Staatsregierung (BayIfSMV). Dort steht in § 1 Abs. 2: "Personen, die glaubhaft machen können, dass ihnen das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung aufgrund einer Behinderung oder aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich oder unzumutbar ist, sind von der Trageverpflichtung befreit."
Diese Formulierung des "glaubhaft Machens" wird in der Verordnung nicht näher definiert, ein bestimmtes Mittel der Glaubhaftmachung wird von der Verordnung nicht vorgeschrieben. Auf eine Anfrage des #Faktenfuchs antwortet eine Sprecherin des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege per Mail:
"Glaubhaftmachung bedeutet, dass mit den zur Verfügung stehenden Mitteln – dies kann z.B. die Vorlage eines ärztlichen Attests, eines Schwerbehindertenausweises aber auch der Augenschein (z.B. wenn jemand offensichtlich ein Sauerstoffgerät trägt) sein – das Gegenüber überzeugt wird, dass eine Befreiung von der Trageverpflichtung vorliegt. Die Beurteilung, ob eine Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit glaubhaft gemacht wurde, richtet sich nach den konkreten Einzelfallumständen." (Antwort des bayerischen Gesundheitsministeriums)
Offen bleibt dabei, ob sich das Gegenüber von dem Versuch der Glaubhaftmachung auch überzeugen lässt. Eine konkrete Indikation, die zu einer Befreiung von der Maskenpflicht führt oder diese glaubhaft macht, gibt es nicht - und wird es nach Angaben der Ministeriumssprecherin auch nicht geben: "Um zu gewährleisten, dass alle denkbaren medizinische Gründe erfasst werden können, die eine Ausnahme von der Maskenpflicht rechtfertigen, ist eine Festlegung auf bestimmte medizinische Indikationen nicht geplant."
Ärztekammer: Diagnose statt pauschaler Attestierung
Dass eine pauschale Befreiung ohne nähere Angabe von Gründen grundsätzlich nicht geeignet ist, zu belegen, dass das Maske-Tragen unzumutbar ist, darauf verweist auch die Bayerische Landesärztekammer (BLÄK). Ein Sprecher formuliert es in seiner Mail-Antwort auf die Anfrage des #Faktenfuchs so: "Ein Attest, das sich seinem Inhalt nach in der bloßen Feststellung dessen erschöpft, zu dessen Beweis es herangezogen werden soll, ist unbehelflich."
Anders gesagt: Ein Attest, nur weil der Betreffende es will, zählt nicht. Die "bloße Feststellung der Unzumutbarkeit" reiche nicht aus. Der Sprecher der BLÄK wird deutlicher: "Auch die pauschale Nennung von Krankheiten oder Behinderungen ist grundsätzlich nicht ausreichend, da es stets auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls und die jeweilige Situation des Patienten ankommt."
All das ergebe sich aus der Berufsordnung für die Ärzte Bayerns. Dort steht in § 25 Satz 1: "Bei der Ausstellung ärztlicher Gutachten und Zeugnisse hat der Arzt mit der notwendigen Sorgfalt zu verfahren und nach bestem Wissen seine ärztliche Überzeugung auszusprechen." Atteste pauschal zur Verfügung zu stellen sei damit nicht vereinbar, fügt der BLÄK-Sprecher hinzu.
Ärzte können sich trotzdem strafbar machen
Ärztinnen und Ärzte, die "Gefälligkeitsatteste" oder Atteste ohne vorherige eingehende Untersuchung ausstellen, verstoßen nicht nur gegen die Berufsordnung. BLÄK-Präsident Gerald Quitterer wies jüngst in einer Pressemitteilung auf diesen Aspekt hin: "Wer ohne die notwendige Sorgfalt oder gar nur aus Gefälligkeit ein Attest ausstellt, verstößt nicht nur gegen die Berufsordnung, sondern macht sich unter Umständen auch strafbar – mit allen Konsequenzen."
Das unterstützten auch die Delegierten des 79. Bayerischen Ärztetages. Danach werde dem Sorgfaltsgebot nicht mit Attesten Genüge getan, die "von Ärzten zum Download aus dem Internet angeboten werden, ohne sich mit einem zugrunde liegenden Beschwerdebild auseinandergesetzt zu haben".
Prüf-Pflicht oder Prüf-Recht: Entscheidend ist Ort des Geschehens
Der Umgang mit Attesten zur Maskenpflicht-Befreiung ist abhängig vom Ort des Geschehens. Die eingangs genannten Gerichtsbeschlüsse, wonach auf dem Attest eine Diagnose angegeben sein muss, beziehen sich auf eine Befreiung von der Maskenpflicht in Schulen. Dort, so betont auch der bayerische Datenschutzbeauftragte Thomas Petri, bestehe eine besondere Fürsorgepflicht für die Kinder, ebenso für die Lehrkräfte.
In der 7. Infektionsschutzmaßnahmenverordnung der bayerischen Staatsregierung sind Schulen nämlich explizit herausgegriffen, in § 18: "Auf dem Schulgelände besteht Maskenpflicht." Petri betont, aufgrund der Verordnung sei die Schulleitung verpflichtet, für die Einhaltung der Maskenpflicht zu sorgen. Die Schulleitung müsse und dürfe daher auch die Glaubhaftmachung verlangen, wenn jemand von der Maskenpflicht befreit werden will. Petri schreibt in seiner Mail an den BR24-#Faktenfuchs: "In der Praxis wird man meistens kaum daran vorbeikommen, für die Glaubhaftmachung ärztliche Atteste zu verlangen."
Andere Stellen dagegen haben solch eine Prüf-Pflicht nicht. Zugschaffner etwa oder Supermarkt-Inhaber sind nicht verpflichtet zu überprüfen, ob jemand von der Maskenpflicht befreit ist. Das bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege schreibt an den #Faktenfuchs: "Eine Verpflichtung des Kunden gegenüber einem Ladenbetreiber ein Attest vorzulegen, ist in der 7. BayIfSMV nicht vorgesehen. Ob dieser einem Kunden ohne Mund-Nasen-Bedeckung Zutritt gewährt, ist eine Frage des Hausrechts und wird in der Verordnung ebenfalls nicht geregelt."
Hausrecht statt Prüfpflicht in Bahn und Einzelhandel
Ein Ladenbetreiber hat also ein Prüf-Recht, welches sich aus dem allgemeinen Hausrecht ableitet. Bernd Ohlmann, Pressesprecher des Handelsverbands Bayern (HBE), sagt, bei hunderttausenden Kunden täglich liege die Zahl derer, die keine Maske trügen, "im homöopathischen Bereich". Die große Mehrheit halte sich an die Maskenpflicht in Geschäften. Auch im persönlichen Gespräch könne eine Befreiung von der Maskenpflicht glaubhaft dargelegt werden.
Allerdings komme der Ladenbetreiber auch in Erklärungsnot den anderen Kunden und den Angestellten gegenüber, wenn er jemanden ohne Maske einkaufen lasse: "Wie soll er denen vermitteln, dass jemand, der keine Maske trage, tatsächlich von der Maskenpflicht befreit ist?”
Dieses Dilemma bestehe auch, wenn der Betreffende tatsächlich ein Attest vorzeige. Manche Inhaber befürchteten einen Image-Schaden, wenn sich herumspreche, dass Kunden dort ohne Maske einkaufen könnten. Ohlmann empfiehlt deshalb jenen, die von der Maskenpflicht befreit sind, das persönliche Gespräch mit dem Ladenbetreiber, um eine Lösung zu finden.
Bei Maskenverstößen: Kunde zahlt, nicht Ladenbesitzer
Im Übrigen, so Ohlmann im Gespräch mit dem #Faktenfuchs, müsse nicht der Ladenbetreiber eine Strafe zahlen, wenn jemand ohne Maske in seinem Geschäft einkaufe, der keine Befreiung von der Maskenpflicht habe, sondern der Betreffende selbst.
Darauf verweist auch das bayerische Gesundheitsministerium: "Bei einem Verstoß gegen die Maskenpflicht können die für den Vollzug zuständigen Kreisverwaltungsbehörden oder die Polizei ein entsprechendes Bußgeld verhängen. Insofern müssen Personen, die trotz einer entsprechenden Verpflichtung keine Mund-Nasen-Bedeckung tragen, jedenfalls gegenüber Mitarbeitern dieser Behörden eine Befreiung glaubhaft machen."
Gleiches gelte auch im öffentlichen Personennah- und -fernverkehr: Die Hausrechtsinhaber – in diesem Fall die Verkehrsunternehmen – könnten den Zutritt verweigern.
Fazit
Wer nachweisen kann, dass er aus gesundheitlichen Gründen keine Maske tragen kann, wird von der Maskenpflicht befreit, das sieht die bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vor. Der oder die Betreffende muss dabei "glaubhaft machen", dass diese Beeinträchtigungen bestehen. Die Vorlage eines Attests kann dazu beitragen.
Gerichte haben entschieden, dass bei Vorlage eines Attests an Schulen eine konkrete Diagnose genannt sein muss. Der ausstellende Arzt oder die Ärztin verstößt dabei weder gegen die Schweigepflicht, noch macht er sich strafbar. Strafbar kann er oder sie sich dagegen machen, wenn ein sogenanntes Gefälligkeitsattest ausgestellt wird.
In Geschäften oder im öffentlichen Personennahverkehr dagegen gibt es diese Rechtsprechung nicht, die die Vorlage einer konkreten Diagnose vorschreibt. Hier können Ladenbetreiber oder Zugschaffner jedoch das Hausrecht geltend machen - und jemanden ohne Maske des Zugs oder des Geschäfts verweisen, der eine Befreiung von der Maskenpflicht nicht glaubhaft machen kann. Wann diese Befreiung tatsächlich glaubhaft gemacht wird, ist nicht definiert - und liegt damit letztendlich im Ermessen des jeweiligen Gegenübers.
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