"Telepathy": schon der Name des Implantats ist Programm. Mit Hilfe dieser Hirn-Computer-Schnittstelle sollen Menschen künftig in der Lage sein, allein mit ihren Gedanken einen Computer oder ein Handy zu steuern. Damit wirbt das Unternehmen für Medizintechnologie Neuralink. Vor Kurzem hat die 2016 von Elon Musk gegründete Firma ihrem ersten Patienten das Implantat eingesetzt. Und Elon Musk hat über X (ehemals Twitter) die Öffentlichkeit plakativ darauf aufmerksam gemacht: "Stellt euch vor, Stephen Hawkings könnte so schnell wie ein Stenograph oder wie ein Auktionator kommunizieren. Das ist das Ziel."
Dem Milliardär zufolge sollen mithilfe der Neurotechnik Hirnschäden beseitigt werden. Querschnittsgelähmte sollen wieder laufen können und Blinde ihr Augenlicht wieder gewinnen. Ohne Zweifel wäre das eine revolutionäre medizinische Errungenschaft. Nur, wie realistisch ist das?
Implantate senden Hirnsignale an Computer
Tatsache ist, dass Hirn-Implantate in der Medizin schon seit zwei Jahrzehnten verwendet werden. Bei Parkinson-Patienten beispielsweise werden mithilfe implantierter Sensoren bestimmte Gehirnareale stimuliert. Damit lässt sich das Zittern von Gliedmaßen verringern. "Die sogenannte deep brain stimulation gehört fast zur Standardbehandlung von Parkinson-Patienten im fortgeschrittenen Zustand", erklärt Marcello Ienca, Neuro-Ethiker an der TU München im Gespräch mit dem Bayerischen Rundfunk.
Auch bei schweren Depressionen, die nicht mit Medikamenten behandelt werden können, und bei Rückenmarksverletzungen seien Implantate hilfreich. Außerdem können Epileptiker über ein Implantat im Hirn vor Anfällen gewarnt werden. Die Vorhersage funktioniert häufig über maschinelle Intelligenz, also KI. "Menschen mit chronischer Epilepsie können damit vermeiden, dass sie einen Anfall beim Autofahren oder beim Schwimmen bekommen, also bei Tätigkeiten, die lebensgefährlich werden können", erläutert Marcello Ienca.
Hirn-Implantate: Forscher fordern firmeninterne Ethik-Kommission
Die Technik an sich stelle keine Revolution dar, der Meinung ist auch Neuroinformatiker Moritz Grosse-Wentrup von der Universität Wien im Gespräch mit der dpa: "Die Technologie ist im Prinzip schon da, aber mit Neuralink ist es nun auch möglich, mit viel Geld und vielen Mitarbeitern die unzähligen kleinen Probleme zur Marktreife zu lösen."
Einblicke in die Forschungsarbeit gewährt die Privatfirma nicht. Im Unterschied zu Projekten, die an Universitäten betrieben werden, ist sie dazu auch nicht verpflichtet. Neuro-Ethiker Marcello Ienca wünscht sich mehr Transparenz und vermisst darüber hinaus die Etablierung einer firmeninternen Ethik-Kommission, wie es sie mittlerweile häufig bei der Konkurrenz gibt.
Eine Ethik-Kommission wäre jedoch dringend notwendig. Denn Neuralink sei die erste Firma, die öffentlich gesagt habe, dass sie "human enhancement" betreiben wolle, also Menschenoptimierung, erklärt der Wissenschaftler. Ziel der Firma sei nicht, ausschließlich Patienten Zugang zu diesen Implantaten zu ermöglichen, sondern allen Menschen. Jeder soll in der Lage sein, sein Hirn mit der digitalen Welt zu vernetzen. Das sei neu an der Entwicklung. "Und das bedeutet auch, dass Neuralink Daten von Millionen von Menschen sammeln möchte."
Gefahr der Manipulation von Daten durch Implantate
Diese Vorstellung bereitet Marcello Ienca Sorgen. Wobei der Neuro-Ethiker im Interview mit dem BR mehrfach betont, dass er große Hoffnungen auf die Forschung von Neuralink setzt. "Wir brauchen auch private Investitionen, um Fortschritte in diesem Bereich für Patienten zu machen. Wir müssen bedenken, dass weltweit ungefähr 800 Millionen Menschen an neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen leiden." Gleichwohl fordert er strengere ethische Regeln für private Firmen.
Die Frage sei: Wenn in 20, 30 Jahren die Optimierung menschlicher Hirne möglich ist, wer darf dann Zugang zu diesen Technologien haben? "Ich möchte nicht in einer Welt leben, wo Kinder von reichen Eltern sich diese Technologien leisten können, um ihr Gedächtnis und ihre Sprache zu verbessern, und Kinder von ärmeren Familien nicht", sagt Ienca.
Auch sieht der Forscher das Risiko von Manipulation. Im biomedizinischen Bereich seien private Daten streng geschützt. Außerhalb dieses Bereichs eher nicht. Firmen wie Neuralink wollen von dieser Lücke in der Regulierung profitieren, vermutet der Wissenschaftler.
Risiken bei Hirn-Implantaten: Blutungen und Infektionen
Bevor Implantate im großen Stil in menschliche Hirne eingesetzt werden können, wird voraussichtlich noch viel Zeit vergehen. Von zehn Versuchen seien neun nicht erfolgreich, erklärt Marcello Ienca. Auch jetzt, mit dem ersten Patienten der Firma, müsse man abwarten, wie sich die Dinge entwickeln. Aus der Sicht des Neuro-Informatikers Moritz Grosse-Wentrup besteht der große Nachteil des Verfahrens in der Operation an sich: "Man ist im Gehirn drin." Das berge immer das Risiko von Blutungen oder Infektionen, zudem setze sich Hirngewebe wie jedes andere zur Wehr, etwa mit Abkapselungsreaktionen. "Wie lange das System stabil bleiben kann, ist noch vollkommen unklar." Bei ähnlichen invasiven Ansätzen habe sich gezeigt, dass die Zahl beobachtbarer Neuronen mit der Zeit abnimmt.
Dass die Technologie bestimmten Patienten beispielsweise das Gehen wieder ermöglichen kann, ist längerfristig denkbar. Die Entwicklung wird jedoch viel Geld und Zeit kosten, da sind sich die Experten einig.
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