Plakat zur neuen Ausstellung über Rechtsterrorismus im Cube (Memorium Nürnberger Prozesse)
Bildrechte: BR/Karin Goeckel

Im Memorium Nürnberger Prozesse beschreibt eine neue Ausstellung die Geschichte des Rechtsterrorismus.

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"Schon die Tat ist ein Statement" - Schau über Rechtsterrorismus

Hätten die NSU-Morde schneller aufgeklärt werden können? Der Leiter des Memoriums Nürnberger Prozesse sagt: Ja – wenn man Strukturen des Rechtsterrorismus früher untersucht hätte. Eine Ausstellung in Nürnberg will dies nun veranschaulichen.

Über dieses Thema berichtet: regionalZeit - Franken am .

Es ist der 19. Dezember 1980. Der Verleger Shlomo Lewin und seine Lebensgefährtin Frida Poeschke werden in ihrer Wohnung in Erlangen mit einer Maschinenpistole ermordet. Der mutmaßliche Täter: Uwe Behrendt. Er war früher Mitglied der rechtsextremistischen Wehrsportgruppe Hoffmann, geleitet von Karl-Heinz Hoffmann.

Knapp zwei Jahre später, in der Nacht vom 24. auf den 25. Juni 1982, erschießt Helmut Oxner in der Nürnberger Diskothek "Twenty Five" einen Gast und einen US-Soldaten, geht in Richtung der Kirche St. Klara und tötet einen Ägypter. Drei Menschen werden verletzt. Später erschießt Helmut Oxner sich selbst.

Rechtsterroristen sind keine Einzeltäter

Sowohl beim Erlanger Doppelmord als auch beim Anschlag auf die Diskothek in Nürnberg geht die Polizei zunächst davon aus, dass beide Täter allein gehandelt haben. Aber es waren keine Einzeltäter, sagt der Leiter des Memoriums Nürnberger Prozesse, Imanuel Baumann – auch wenn sie keiner Terrorgruppe zugeordnet werden konnten.

"In der Vergangenheit wurden rechtsterroristische Fälle immer für sich betrachtet", sagt Baumann. "Man hat die langen Traditionslinien mindestens seit 1945 ausgeblendet." Dies ändern will die neue Ausstellung "Rechtsterrorismus – Verschwörung und Selbstermächtigung 1945 bis heute" im Memorium Nürnberger Prozesse.

Rechte Täter fühlen sich mit rechtsextremistischen Vordenkern "verbunden"

Denn Rechtsterroristen sehen sich in einer langen Tradition, die zum Teil bis ins 19. Jahrhundert reicht. Sie fühlen sich mit anderen Rechtsterroristen oder rechtsextremistischen Vordenkern "verbunden", auch wenn sie vor ihrer Tat keinen direkten Kontakt mit ihnen hatten. "Diese Täter sind zumeist in einem rechtsextremistischen Netzwerk und agieren dort, sie stacheln sich auf, sie interagieren da untereinander", erklärt der Kurator der neuen Ausstellung im Memorium Nürnberger Prozesse, Steffen Liebscher.

So sei etwa der Täter, der 2019 in die Synagoge in Halle eindringen wollte, scheiterte und anschließend zwei Menschen erschoss, mit anderen über rechtsextreme Online-Plattformen in Verbindung gewesen. Ein Jahr später habe ein weiteres Mitglied dieser Plattformen einen rassistischen Anschlag begangen – ein weiterer Beleg gegen die Annahme, hier seien "einsame Wölfe" am Werk gewesen.

Szene braucht keine Bekennerschreiben

Im Gegensatz zu Linksterroristen wie der RAF hinterlassen Rechtsterroristen meist keine Bekennerschreiben. Die rechte Szene braucht sie nicht. Sie weiß auch so, wenn einer der ihren einen Anschlag verübt hat. "Die Tat ist schon ein Statement", sagt Imanuel Baumann. Dies habe dazu geführt, dass viele Anschläge von Rechtsterroristen in der Vergangenheit nicht als solche erkannt worden seien. Dies sei beispielsweise auch bei den Morden des NSU der Fall gewesen.

"Ich glaube, dass das Fehlen einer Geschichte des Rechtsterrorismus dazu geführt hat, dass die NSU-Morde viel zu spät aufgeklärt worden sind, im Grunde genommen erst mit der Selbstenttarnung." Imanuel Baumann, Leiter Memorium Nürnberger Prozesse

Zehn Menschen haben die NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt ermordet. Ihr erstes Opfer war Enver Şimşek im Jahr 2000 in Nürnberg. Ihr letztes im Jahr 2007 die Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn. Dazwischen: acht Morde an Kleinunternehmern mit ausländischen Wurzeln in Nürnberg, Hamburg, Dortmund, Rostock, Kassel und München.

Die Polizei vermutete, dass die Opfer in kriminelle Machenschaften verstrickt waren. Erst 2011 bekannte sich der NSU durch ein Video zu den Morden. Aktuell beschäftigt sich ein zweiter Untersuchungsausschuss im Bayerischen Landtag mit den Taten des NSU, darunter auch mit dem Sprengstoff-Anschlag 1999 auf die Pilsbar "Sonnenschein" in Nürnberg.

Rechtsterroristen wollen den Staat stürzen

Rechtsterroristen, auch das macht die neue Ausstellung im Memorium Nürnberger Prozesse deutlich, begehen nicht nur rassistische oder antisemitische Gewalttaten. Sie versuchen auch, den Staat und seine demokratische Ordnung in ihren Grundfesten zu erschüttern. Das Oktoberfestattentat, der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübke, die Bombe auf ein Behördengebäude in Oklahoma, aber auch das Drohschreiben an den Bürgermeister der Gemeinde Schnaittach im Landkreis Nürnberger Land gehören dazu.

Wichtig: Solidarität mit den Opfern

Es ist eine große Leistung der Nürnberger Ausstellung, einen Überblick über die Geschichte des Rechtsterrorismus zu geben und Erkennungszeichen zu beschreiben. Es ist ein Anfang. Weitere Analysen müssen folgen. Und die Gesellschaft muss sich wehren, meint Imanuel Baumann. "Vor einer rechtsterroristischen Tat gibt es Hasspostings, gibt es Ausländerfeindlichkeit", so der Leiter des Memoriums Nürnberger Prozesse. "Dagegen anzugehen im Kleinen, zu sagen: 'Stopp, da mache ich nicht mit': Das ist das erste, was man tun kann." Und auch das ist ganz wichtig, meint Baumann: Alle müssen sich mit den Opfern solidarisieren und ihnen beistehen.

💡 Ausstellung im Memorium Nürnberger Prozesse

Die Ausstellung "Rechtsterrorismus – Verschwörung und Selbstermächtigung 1945 bis heute" wird Donnerstagabend um 18.00 Uhr im Saal 600 des Nürnberger Justizpalastes eröffnet und ist auch im Live-Stream unter memorium-nuernberg.de zu sehen. Unter anderem ist Christina Feist, eine Überlebende des Anschlags auf die Synagoge in Halle zu Gast.

Die Ausstellung ist bis zum 01.10.2023 geöffnet.

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