An einem Donnerstagabend vor elf Jahren erlebt die damals 30-jährige Nina Fuchs in einem Münchner Club etwas, das ihr ganzes Leben verändern wird. Sie bekommt K.-o.-Tropfen in ihr Getränk. "Ich hatte einen sehr langen Filmriss. Meine ersten Erinnerungsfetzen setzen erst in der Mitte der Vergewaltigung wieder ein. Es waren zwei fremde Männer bei mir, bei denen ich bis heute nicht weiß, wie der Kontakt zustande gekommen ist", erzählt sie BR24. Nina Fuchs geht deswegen am nächsten Tag zur Polizei und erstattet Anzeige. Doch die K.-o.-Tropfen sind nicht mehr nachweisbar. Und: Obwohl einer der Täter aufgrund von DNA-Spuren Jahre später identifiziert werden konnte, wird ihr Fall eingestellt.
Im Video: Sinnvoller Schutz? "K.o.-Tropfen"-Testbänder
Auch Nina Fuchs hat schon öfter von den sogenannten "K.-o.-Tropfen-Schutzarmbändern" gehört, die online oder in Drogerien verkauft werden. Die Teststreifen können wie ein Eintrittsband für Konzerte oder Festivals um das Handgelenk gebunden werden. Auf zwei Testfeldern kann man aus dem eigenen Drink Flüssigkeit auf das Papp-Armband träufeln. Wenn die Testfelder die Farbe von Grün zu Blau wechseln, sind K.-o.-Tropfen im Getränk. Das Versprechen: Mit dem Band könne man sich schnell und einfach vor K.-o.-Tropfen schützen.
Toxikologe: "Man wiegt sich in falscher Sicherheit"
Der Toxikologe Florian Eyer von der Technischen Universität München ist jedoch skeptisch, ob die Armbänder sinnvoll sind. Denn sie funktionieren nur für den chemischen Stoff GHB (Gammahydroxybuttersäure). Andere Medikamente, die auch Getränken beigefügt werden können, könnten mit den Bändern nicht getestet werden. "Deswegen kann es sein, dass man sich in falscher Sicherheit wiegt. Wenn der Test nämlich negativ verläuft, heißt es noch nicht zwangsläufig, dass kein K.-o.-Mittel an Bord ist", erklärt der Toxikologe. Bei über 100 anderen Substanzen, die auch eine K.-o.-Wirkung haben können, würde das Band nicht die Farbe wechseln. Das Testband bietet also keine wirkliche Sicherheit.
Testarmbänder verschieben Verantwortung auf potenzielle Opfer
Außerdem zweifelt der Toxikologe an der Praktikabilität der Armbänder. Wenn man ein farbiges Getränk testet – zum Beispiel Rotwein oder einen bunten Cocktail – dann könne der Farbtest vielleicht verfälscht sein. Außerdem habe man nur zwei Testfelder pro Armband zur Verfügung. Die Münchnerin Nina Fuchs sieht die Bänder noch kritischer. Sie findet sie sogar schädlich, denn die Verantwortung werde dadurch auf Betroffene verschoben und nicht auf die Täter. "Potenziell Betroffene sollen dafür sorgen, dass sie nicht vergiftet und vergewaltigt werden – das ist aber nicht deren Aufgabe", argumentiert sie. In ihren Augen werde sogar mit der Angst von potenziellen Opfern Geld verdient.
Nachweis von K.-o.-Tropfen innerhalb von wenigen Stunden nötig
Der Toxikologie Florian Eyer rät, falls man den Verdacht hat, K.-o.-Tropfen getrunken zu haben, immer gleich den Notarzt zu rufen oder ins Krankenhaus zu gehen. Dort kann dann auch eine Urin- oder Blutprobe genommen werden. Denn das muss – auch für den Nachweis vor Gericht – sehr schnell gehen: "Wir haben da so ein Zeitfenster von sechs bis vielleicht maximal zwölf Stunden, in dem man im Labor in einer Urinprobe diese Substanz noch nachweisen kann", weiß der Toxikologe. Nach dieser Zeit ist GHB auch mit professionellen Tests nicht mehr unbedingt nachweisbar, weil der Körper die Substanz dann schon verstoffwechselt hat.
Was hilft, um sich vor K.-o.-Tropfen zu schützen?
Nina Fuchs hat aufgrund ihrer negativen Erfahrungen mit Polizei und Justiz einen Verein gegründet: "KO - kein Opfer" (externer Link). Mit dem Verein möchte sie auf die gesellschaftlichen Strukturen aufmerksam machen, die dafür verantwortlich sind, dass Opfer von sexualisierter Gewalt oft nicht ernst genommen werden. Sie organisiert Konsens-Workshops an Schulen und leistet Öffentlichkeitsarbeit zum Thema.
Nina Fuchs rät: Um sich vor K.-o.-Tropfen zu schützen, hilft, das eigene Getränk nicht aus den Augen zu lassen – und vor allem beim Feiern in der Freundesgruppe immer aufeinander aufzupassen. Denn selbst wenn jemand unwissentlich K.-o.-Tropfen trinkt, bemerken Freunde im Bestfall, dass etwas nicht stimmt. Und können vielleicht helfen, bevor Täter Folgestraftaten wie Raub oder sexuelle Gewalt begehen.
Im Video: Sinnvoller Schutz? "K.o.-Tropfen"-Testbänder
Im Video: Selbstversuch mit K.-o.-Tropfen
Dieser Artikel ist erstmals am 29. Februar auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
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