Eine Frau hält eine Computerspiel-Konsole.
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Immer mehr Jugendliche sind süchtig nach digitalen Medien oder Computerspielen.

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Gefangen vor dem Bildschirm: Neue Wege aus der Mediensucht

Gefangen vor dem Bildschirm: Neue Wege aus der Mediensucht

Immer mehr Jugendliche sind süchtig nach digitalen Medien oder Computerspielen. Vor allem bei Mädchen bleibt eine Social-Media-Sucht oft unentdeckt. Doch es entstehen zunehmend neue Therapie- und Beratungsangebote in Bayern. Auch im ländlichen Raum.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Keine Kontrolle mehr über den Social-Media-Konsum. Immer weiter auf TikTok oder Instagram – obwohl es negative Folgen für das eigene Leben hat. In den vergangenen fünf Jahren haben sich Eltern von Kindern mit problematischem Medienkonsum immer häufiger an die allgemeine Suchtberatungsstelle der Diakonie Rosenheim gewandt.

Wöchentliche Sprechstunde zum Thema Mediensucht

Deswegen hat der evangelische Wohlfahrtsverband nun reagiert. Und eine spezielle Sprechstunde eingerichtet: Jeden Donnerstagabend können sich Familien jetzt kostenlos und vertraulich zum Thema Mediensucht beraten lassen.

"Viele, die Hilfe suchend zu uns kommen, bemerken eine verminderte Kontrollfähigkeit. Also, dass sie gar nicht mehr steuern können: wann beginnen sie denn wirklich mit den Medien und wann beenden sie das?", erzählt die Leiterin der Beratungsstelle Lena Lorenz.

Viele betroffene Jugendliche kommen gar nicht mehr aus dem Kinderzimmer, geben bisher geliebte Sportarten auf oder vernachlässigen Kontakte und nicht-digitale Freizeitaktivitäten. Bis hin zur Schule. "Da sehen wir immer wieder Jugendliche, die Schule irgendwann schleifen lassen", erzählt auch der Psychologe Philipp Martzog vom Klinikum Nürnberg. Der Blick der Betroffenen sei immer darauf gerichtet, mehr Zeit für das digitale Suchtmittel zu schaffen.

Unerkannte Teilgruppe: Social-Media-süchtige Mädchen

Mehr als sechs Prozent der Minderjährigen sind abhängig von sozialen Medien und rund vier Prozent von Computerspielen, so das Ergebnis einer Studie der Krankenkasse DAK von 2023. Das seien insgesamt mehr als 600.000 Mädchen und Jungen.

"Das ist schon viel", so der Psychologe Philipp Martzog. Dazu käme, dass die Social-Media-Sucht vieler Mädchen lange unerkannt bleibt: "Man weiß aus Untersuchungen, dass betroffene Mädchen meistens Social-Media-süchtig sind. Die werden aber nicht so oft vorstellig."

Gründe für die Sucht: Einsamkeit, Anerkennung, schnelle Belohnung

Bei einer Social-Media-Sucht könne eine große Einsamkeit im Hintergrund stehen oder das Gefühl, Dinge zu verpassen: "Fear of missing out". Anders bei der digitalen Spielsucht, so Philipp Martzog.

"Digitale Spiele werden häufiger von Jungs gespielt. Zwar sind die auch manchmal einsam, aber denen geht es häufig zunächst um Herausforderung, Anerkennung und schnelle Belohnung." Computerspielsüchtige Jungen finden häufiger als Mädchen ihren Weg zu ihm in die Ambulanz.

Therapie bei Computerspielsucht und Mediensucht

Bei einer Vorstellung am Nürnberger Klinikum wird zunächst abgeklärt, ob noch andere psychische Erkrankungen zugrunde liegen. Etwa eine Depression, soziale Angststörung oder ein unerkanntes ADHS. Dann entscheiden Therapeuten wie Philipp Martzog, wo und mit wie vielen Stunden die Jugendlichen Unterstützung erhalten. In der Gruppe oder einzeln.

Die Jugendlichen sollen dann beispielsweise lernen, dass sie auch Erfolgserlebnisse außerhalb des Digitalen haben können. Außerdem wird in Kooperation mit dem lokalen Sportverein eine passende Sportart als Ersatz für Spiele und Social Media gesucht. Wichtig sei für die Familien zudem, eine Balance zu finden, so die Psychologin Lena Lorenz. "Zwischen einem Anreiz, etwas zu verändern und auch dem Signal: Ich unterstütze dich dabei!"

Prävention gegen Mediensucht: Was leben Eltern vor?

Betroffenen Familien rät die Psychologin Lena Lorenz darüber hinaus, klare Regeln zu etablieren, zum Beispiel zu Nutzungszeiten. Und sich an die eigene Nase zu fassen: "Zu überlegen, was lebe ich meinem Kind vor? Schaue ich zum Beispiel ständig aufs Handy oder nutze ich ganz viele Medien? Oder unterstützen wir zum Beispiel auch handyfreie Aktivitäten?" Wie Eltern sich verhalten, könne auch schon präventiv wirken.

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