Es wäre das absolute Worst-Case-Szenario: Ein russisches Energieembargo gegen Europa. Bei der Europäischen Union in Brüssel bereitet man sich auf diesen Ernstfall vor, der dort auch "Gas-Armageddon" genannt wird. Es laufen Gespräche mit Katar, Aserbaidschan und Ägypten, um sich neue Energiequellen zu erschließen.
Worst-Case-Szenario bei Eskalation des Ukraine-Konflikts
Theoretisch könnten bei einer Eskalation des Ukraine-Konflikts die USA und Europa Strafmaßnahmen gegen Russland verhängen, und als Reaktion daraufhin könnte Russland die Gaslieferungen nach Deutschland und in die EU einstellen. Es wäre wohl die schlimmste Energiekrise seit den 1970er Jahren. Gut darauf vorbereitet wäre Deutschland nicht, attestiert Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung im neuen "Possoch klärt" (Video unten). Kurzfristig wären russische Gaslieferungen nicht zu kompensieren.
Vor den Niederlanden und Norwegen ist Russland der mit Abstand bedeutendste Gaslieferant: Mehr als 55 Prozent der deutschen Erdgasbezugsquellen sind russischen Ursprungs.
Gaslieferungen sind eine gegenseitige Abhängigkeit
Allerdings: Selbst in den heißesten Tagen des Kalten Krieges hat Russland, damals noch die Sowjetunion, Gas geliefert. Außerdem verdient Russland viel Geld mit Energieexporten: Sie machen zwei Drittel der Gesamteinnahmen des Lands aus. Von diesen Energie-Exporten gehen rund zwei Drittel nach Europa, so berichtet etwa das Handelsblatt. Deshalb ist Russland also auch von Deutschland bzw. Europa finanziell abhängig. Aber Moskau erschließt sich allmählich China als Absatzmarkt für sein Gas und Öl.
Im Video: Dreht uns Putin das Gas ab? Possoch klärt!
Gas als politische Waffe Russlands?
Aktuell liefert die russische Firma Gazprom nur vertraglich festgelegte Mindestmengen an Gas nach Deutschland. Gazprom wird faktisch vom Kreml kontrolliert, denn dem russischen Staat gehört die Mehrheit der Aktiengesellschaft. Das kann ein mögliches Zeichen sein, dass Russland bereit wäre, bewusst auf wirtschaftliche Gewinne zu verzichten, um etwaige geopolitische Interessen im Ukraine-Konflikt den Vorrang einzuräumen: "Gas wird schon lange als politische Waffe eingesetzt", erklärt Energieexpertin Claudia Kemfert. Auch deshalb rät sie dazu, dass Deutschland eigene strategische Gasreserve aufbaut. Ähnlich wie es beim Erdöl der Fall ist.
Beim Erdgas besitzt Deutschland keine Not-Reserven, aber Erdgasspeicher. Allerdings: Einige davon, unter anderem der größte im niedersächsischen Rehden, gehören Gazprom. Der Tank in Rehden ist aktuell nur zu etwa 4 Prozent gefüllt. Normalerweise kann dort Gas gespeichert werden, das für rund 2 Millionen Haushalte etwa ein Jahr reichen würde.
Gasknappheit hat Auswirkungen auf alle
Dass Russland lediglich die vertraglich festgelegten Mindestmengen Gas nach Europa schickt, wirkt sich auf den gesamten Energiemarkt in Deutschland aus. Das erklärt Karen Pittel, Leiterin des Zentrums für Energie, Klima und Ressourcen am ifo-Institut für Wirtschaftsforschung: "Gas ist einerseits natürlich für Heizungen relevant, aber andererseits auch ein Teil unserer Stromversorgung." Dass die Strompreise ansteigen, sei auch auf den Anstieg der Gaspreise zurückzuführen. Somit hätte eine Gasknappheit Auswirkungen auf alle Haushalte in Deutschland. Zumal in der Industrie die Produktion gedrosselt werden müsse. Das würde als Folge wiederum die Produktpreise steigen lassen.
Zudem droht mit Nord Stream 2 ein großes wirtschaftliches Bindeglied zwischen Russland und Deutschland zu scheitern. Besonders die USA sehen die Gaspipeline, die direkt von Russland durch die Ostsee nach Deutschland führt, äußerst kritisch. Beim Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz machte US-Präsident Joe Biden klar, dass eine russische Invasion in die Ukraine das Ende von Nord Stream 2 bedeuten werde. Olaf Scholz vermied jedoch eine allzu klare Aussage zur möglichen Zukunft der deutsch-russischem Gas-Pipeline. Beim Ende der Pipeline wären andere Transportwege vergleichsweise teurer, und als Folge könnten Gaskosten teuer bleiben oder steigen.
Alles, was Sie zu den Auswirkungen des Ukraine-Konflikts auf die deutsche Energiewirtschaft wissen sollten, finden Sie im Video oben. Diskutieren Sie gerne in den Kommentaren mit.
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