Seit Frühjahr 2022 wurden in 35 Ländern mehr als 1.000 Fälle von Hepatitis bei Kindern festgestellt. Die meisten waren zwischen drei und fünf Jahre alt. Bei rund 50 Kindern war eine Lebertransplantation notwendig, mindestens 22 starben. Die ungewöhnliche Häufung der Krankheit stellte Experten weltweit vor Rätsel. Drei Studien, die diese Woche in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht wurden, legen nun nahe: Das Adeno-assoziierte Virus 2 (AAV2) scheint mit diesem Anstieg eng zusammenzuhängen.
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Hohe Konzentration von AAV2-Virus bei Kindern mit Hepatitis gefunden
Die drei Forschungsteams um Emma Thomson von der University of Glasgow, um Judith Breuer vom University College London und um Charles Chiu von der University of California fanden unabhängig voneinander eine hohe Konzentration des AAV2-Virus in 81 bis 96 Prozent der Blut- und Lebergewebeproben der an Hepatitis erkrankten Kinder. In den jeweiligen Kontrollgruppen lag die Quote derer, die das AAV2-Virus in sich trugen, lediglich bei vier bis 16 Prozent.
Grundsätzlich sind AAV2-Viren weit verbreitet und lassen sich bei etwa 80 Prozent der Erwachsenen nachweisen. Für sich allein sind sie nicht in der Lage, Zellen zu infizieren. Sie benötigen andere Viren, um sich zu vermehren. In der Regel nutzen sie Adenoviren, die bereits länger im Verdacht stehen, an den mysteriösen Hepatitis-Infektionen beteiligt zu sein. Das Team des University College London entdeckte tatsächlich geringe Mengen an humanen Adenoviren und Herpesviren neben AAV2. Diese Helferviren könnten die Vermehrung von AAV2 unterstützen und möglicherweise zu den Leberschäden beitragen. Die Forscher von der University of California stellten bei allen betroffenen Kindern Co-Infektionen mit dem Epstein-Barr-Virus oder einem Herpesvirus fest.
Genetische Varianten könnten Ursache für Leberentzündungen sein
Durch genetische Analysen fand die Forschungsgruppe aus Glasgow außerdem heraus, dass eine ungewöhnliche Immunreaktion aufgrund von spezifischen genetischen Varianten die Ursache für die Hepatitis sein könnte. Eine direkt schädigenden Wirkung von AAV2 auf die Leber sei hier nicht der Grund. Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass 93 Prozent der erkrankten Kinder Träger einer spezifischen Genvariante sind, die mit einer erhöhten Anfälligkeit für Autoimmunkrankheiten verbunden ist. Auch die Forschenden aus London fanden Anzeichen auf Fehlfunktionen des Immunsystems im Kontext der Erkrankung.
Die neuen Hepatitis-Studien: aussagekräftig oder problematisch?
Frank Tacke von der Berliner Charité hebt einerseits den wissenschaftlichen Wert der neuen Ergebnisse hervor: Die Studien seien mit einem ähnlichem Ergebnis auf verschiedenen Kontinenten durchgeführt worden. Andererseits hätten alle drei Untersuchungen nur wenige Fälle und eine geringe Zahl von verfügbaren Lebergewebeproben umfasst. Um potenzielle Faktoren oder Co-Faktoren für die Krankheitsentwicklung zu identifizieren, seien weitere klinische Informationen über die erkrankten Kinder erforderlich. Denn derzeit ist unklar, wie AAV2 genau bei der Entstehung der Leberentzündung wirkt.
Einfluss von SARS-CoV-2 auf die Hepatitis-Welle nicht ausgeschlossen
Dass auch SARS-CoV-2 eine Rolle bei der Hepatitis-Welle spielen könnte, schließt Frank Tacke nicht aus. Die Lockerungen im Frühjahr 2022 hätten Kinder plötzlich wieder einer Vielzahl von Viren ausgesetzt. Die wenig trainierten Immunsysteme der Kinder hätten sie möglicherweise anfälliger für ansonsten harmlose Viren gemacht und zur Ausbreitung der Hepatitis-Welle beigetragen.
Die meisten der an Hepatitis erkrankten Kinder waren vorher gesund gewesen. Zu Beginn der Erkrankung traten Bauchschmerzen, Durchfall, Erbrechen und Gelbsucht auf. Die Anzahl der akuten, schweren Hepatitis-Fälle sei mittlerweile wieder zurückgegangen, so Charles Chiu, der Hauptautor der US-Studie. Experten empfehlen Eltern, dringend einen Arzt aufzusuchen, wenn folgende Symptome bei ihrem Kind auftreten: Gelbfärbung der Augen, dunkler Urin oder grauer Stuhlgang.
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