Kleine Kätzchen kommen nicht mehr vom Baum, Rehkitze sitzen verloren in einer Wiese, Vogelküken fallen bei ihren ersten Flugversuchen aus dem Nest. Jetzt im Frühsommer sind junge Tiere besonders aktiv.
Wenn ein Kätzchen beim ersten Klettern zu übermütig war, hilft meist die Feuerwehr und holt es wieder vom Baum herunter. Und junge Rehe sollte man ohnehin nicht anfassen und auf der Wiese lassen, weil sie dort von ihren Müttern wieder abgeholt werden. Doch was macht man mit einem Vogelküken, das plötzlich ganz alleine im Schupfen auftaucht oder hilflos auf der Wiese liegt? Darf man das Tier anfassen? Und wohin kann man den Vogel bringen, wenn er verletzt ist?
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LBV: Nur eingreifen, wenn das Vogelküken verletzt oder hilflos ist
Wir haben einmal nachgefragt bei der Vogelstation Regenstauf in der Oberpfalz. Die Station wird vom Landesbund für Vogelschutz (LBV) betrieben. Ferdinand Baer ist dort der fachliche Leiter und selbst Falkner. Der Vogelexperte weiß: "Das Thema ist recht komplex, mit vielen 'Wenn' und 'Abers'".
Grundsätzlich gelte jedoch, so Baer: Man sollte bei jungen Vögeln nur dann eingreifen, wenn das Tier tatsächlich hilflos oder verletzt ist. Denn: Nicht alle Vögel, die piepend am Boden hüpfen, seien auf menschliche Hilfe angewiesen.
Wichtig: Erst Informationen einholen, dann reagieren
Doch in welchen Fällen sind Vögel überhaupt als "hilfsbedürftig" einzuschätzen? Da die Unterscheidung nicht immer leicht fällt und sich viele Gartenbesitzer auch nicht gut genug mit Vögeln auskennen, rät Baer, sich bei Unsicherheiten vorab immer zu informieren.
Eine Möglichkeit dafür ist das ehrenamtliche Vogelnotruftelefon für verletzte Wildvögel. Da es aber nicht durchgängig besetzt ist, bieten sich für eine Ersteinschätzung auch Facebook-Gruppen wie die "Wildvogelhilfe-Notfälle" an.
Federlose Nestlinge aufheben und wärmen
Wann aber sind Vögel nun hilfsbedürftig und brauchen Hilfe von Menschenhand? "Auf jeden Fall sogenannte Nestlinge", erklärt der LBV-Vogelexperte. Das sind Jungvögel, die noch nicht vollständig befiedert sind und deshalb im Nest sein sollten. Liegen sie am Boden, dann meist aufgrund eines Angriffs auf das Nest oder durch einen Sturm, so Baer.
In diesen Fällen sollte man das Vogelküken aufheben und wärmen, zum Beispiel mit einer umwickelten Wärmflasche. Wichtig ist jedoch: Den Nestling nicht füttern, das sollte man den Profis in der Auffangstation überlassen. Vor allem, wenn die Vogelart nicht selbst bestimmt werden kann.
Erste Hilfe für kranke oder verletzte Vögel leisten
Ist der gefundene Vogel krank - erkennbar daran, weil er beispielsweise lethargisch reagiert oder die Gliedmaßen abstehen - dann sollte Erste Hilfe geleistet werden, in dem das Tier beruhigt wird. Das gilt auch bei verletzten, blutenden Vögeln.
Ferdinand Baer rät in solchen Fällen: Den Vogel auf ein Handtuch in einen dunklen Karton legen und diesen an einen ruhigen Ort stellen. So kann etwas Stress von dem Vogel genommen werden. Nach dieser ersten Hilfsmaßnahme sollte dann aber schnellstmöglich professionelle Hilfe geholt werden.
Flugunfähige, hüpfende Ästlinge brauchen meist keine Hilfe
Nicht unbedingt hilfsbedürftig sind jedoch sogenannte Ästlinge, erklärt Ferdinand Baer weiter. Dabei handelt es sich um Jungvögel, die das Nest bereits verlassen haben. Sie sind schon vollständig befiedert, können auf Ästen sitzen - sind aber noch nicht flugfähig. Deshalb sitzen sie oft am Boden und bewegen sich hüpfend.
Das werde dann oft als "verletzt" interpretiert, erläutert der Falkner. "Dabei hilft man solchen Tieren am besten, indem man sie an Ort und Stelle belässt." Sollten sich die Ästlinge an einem unsicheren Ort aufhalten, wie beispielsweise an einer Straße, dann könne man das Tier aufheben und sie in ein Versteck (Hecke, hohes Gras etc.) setzen.
"Man darf junge Vögel anfassen! Der Geruch spielt bei Vögeln keine Rolle, im Gegensatz zu Säugetieren wie Rehen oder Hasen." Ferdinand Baer, Landesbund für Vogelschutz
Vögel nur in Notfällen in Auffangstationen geben
Wichtig sei außerdem zu wissen, so der Vogelexperte, dass die potenzielle Anwesenheit von Beutegreifern, also Habichten, Sperbern, Mardern, Füchsen oder Rabenvögeln, kein Grund dafür sei, ein gesundes Tier einfach einzusammeln. "Beutegreifer sind immer anwesend und Vögel haben durchaus Methoden, sich zu schützen". Deshalb müsse man bei natürlichen Beutegreifern auch Verständnis dafür haben, dass diese selbst Jungtiere haben, die ernährt werden müssen. Hauskatzen sollten jedoch laut Ferdinand Baer optimalerweise in der Jungvogelzeit im Haus gehalten werden.
Generell gelte, so Baer: Vögel sollten nur in Notfällen in Auffangstationen gegeben werden, denn die natürliche Aufzucht in der Familie funktioniere besser als in einer Päppelstation. Hinzu komme der Stress für die Vögel, wenn sie aus ihrem natürlichen Umfeld entnommen werden.
Welche Anlaufstellen sind die richtigen?
Offizielle Auffangstationen sind rar in Bayern. Oft sind es Privatleute, die kranke oder verletzte Vögel aufnehmen und aufpäppeln. Ohne die Hilfe der vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer würde es also auch in diesem Bereich nicht gehen.
Ein Problem ist jedoch, auch für den Vogelexperten beim LBV: Es ist nur schwer ersichtlich, ob eine Auffangstation eine offizielle Genehmigung hat und ob die Tiere dort artgerecht untergebracht und versorgt werden. Dafür sei eine Wohnung nicht geeignet, so Ferdinand Baer. "Wildtiere sollten nicht vermenschlicht werden, es bedarf eines sachlichen Umgangs."
"Wer einen Vogel oder ein anderes verletztes Tier abgeben will, sollte deshalb unbedingt darauf achten, dass Wildtiere auch als solche behandelt werden", sagt Baer. Das bedeute: Kein zu intensiver Kontakt mit den Menschen. Jungtiere sollten nach Möglichkeit auch nicht alleine aufgezogen werden.
"Grundsätzlich wäre es wünschenswert, wenn es mehr gute Auffangstationen und Päppelstellen in Bayern gäbe, die einheitlichen Standards entsprechen und auch kontrolliert würden. Leider unterliegt Tierschutz oft sehr individuellen Ansichten, sowohl seitens der Päppler als auch der Ämter." Ferdinand Baer, Landesbund für Vogelschutz
LBV: Ziel sollte immer die Auswilderung sein
Wenn ein aus dem Nest gefallenes Vogelküken in einer Auffangstation wieder aufgepäppelt oder ein Vogel von seinen Verletzungen geheilt ist, dann muss das Ziel immer die Auswilderung sein, betont Baer. Wildvögel dürften nicht einfach einbehalten werden. "Jedes geschützte Tier in Menschenhand muss bei längerem Aufenthalt den Behörden gemeldet werden, bei dauerhafter Haltung muss eine Genehmigung vorliegen."
Nicht nur Vogelküken sind ab und an auf menschliche Hilfe angewiesen. Der LBV gibt hier Tipps, wie Sie mit anderen aufgefundenen Tieren - etwa Igeln, Eichhörnchen oder Fledermäusen - umgehen können.
Im Video: Wildvogelhilfe Unterfranken
Dieser Artikel ist erstmals am 6.6.2022 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel aktualisiert und erneut publiziert.
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