In einer Baulücke mitten in München Haidhausen steht er: Ein Secondhand-Container – fast vollständig aus alten Materialen gebaut – von den beiden Architektur-Absolventen Johannes Daiberl und Lukas Vallentin. Auf dem Boden: Eichenparkett. "Das ist aus einem Gebäude mit Baujahr 1926, das heißt, der Boden feiert bald Hundertjähriges." Den hat Daiberl auf Ebay-Kleinanzeigen gefunden. "Ein Akademikerpärchen in München hat eine Wohnung gekauft. Und das erste, was rausgeflogen ist, war das knarzende Eichenparkett."
Stühle aus Feuerwehrschläuchen
Das Wellblech an der Außenwand war mal Teil einer Filmkulisse. Die Tür ist aus einer Garage. Die Fenster hat Johannes Daiberl von Freunden geschenkt bekommen. Die Stühle hat er mit seinen Brüdern selbst gebaut – die Sitzflächen sind aus Feuerwehrschläuchen von der Feuerwehr München. "Ich habe die gegen eine Spende in die Kaffeekasse mehr oder weniger geschenkt bekommen." Die Stuhl-Gestelle hat Daiberl in einem Altmetall-Container gefunden, sie stammen aus einem Biergarten.
13 Tonnen C02 gespart
Etwa 5.000 bis 6.000 Euro hat der Recycling-Container gekostet. Das Spannende ist die CO2-Bilanz. Johannes Daiberl blättert durch seinen Katalog, in dem er dokumentiert hat, wie viel die Herstellung aller einzelnen Bestandteile gekostet hätte, wenn er sie neu gekauft hätte. "Durch die Wiederverwendung konnte ich 6.041 Kilogramm CO2 einsparen. Wenn man das Holz hinzurechnet, das ich in der Fassade verbaut habe, kommt man auf zusätzliche 7.000 Kilogramm, sodass insgesamt eine Einsparung von 13 Tonnen entstanden ist." 13 Tonnen CO2 ist so viel wie etwa 13 Flüge von Frankfurt am Main nach Lissabon und zurück. 13 Tonnen sind mehr als der durchschnittliche deutsche Pro-Kopf-Verbrauch pro Jahr, der je nach Berechnung bei etwa acht bis elf Tonnen liegt.
Ganzes Recycling-Haus soll entstehen
Was im Kleinformat erprobt wurde, soll genau hier an der Stelle bald im Großformat entstehen. Die Genossenschaft "Kooperative Großstadt" will ein Haus bauen, das möglichst wenig Rohstoffe verbrauchen soll. "Zirkuläres Bauen" nennt man das. Oder auch "Urban Mining", also "Bergbau in der Stadt". Alte Bauteile sollen nicht minderwertig downgecycelt oder deponiert werden, sondern wiederverwendet. Die beiden Architekten Johannes Daiberl und Lukas Vallentin haben auch dafür bereits Baustoffe gesammelt – von Dachziegeln über Marmorfließen bis zu Fassadenklinker. Sogar Photovoltaik-Module. Gefunden haben sie die Materialien über verschiedene Bauteilbörsen, Baustellen oder Bekannte.
Entwürfe orientieren sich an Materialien
Die Materialien sind also schon da, obwohl es bis dato noch nicht einmal architektonische Entwürfe gibt. Die entstehen gerade erst in einem partizipativen Prozess von über hundert Architekten, Ingenieurinnen, zukünftigen Bewohnerinnen und anderen Leuten. Der Clou: Johannes Daiberl und Lukas Vallentin haben die Baustoffe bislang nur reserviert. Geholt werden sie erst direkt vor dem Einbau, damit vermeiden sie ein Zwischenlager.
Kompromisse eingehen müsse man vielleicht ein wenig bei der Ästhetik, sagt Johannes Daiberl: "Das heißt, ich habe vielleicht nicht in allen Wohnräumen den gleichen Boden. Da gibt es aber Beispiele von realisierten Projekten und da hat noch niemand gesagt: Oh Gott, wie sieht dieser Boden aus."
Antrag im Stadtrat, um Recycling zu fördern
Damit Daiberls und Vallentins Erkenntnisse nicht in den Schubladen landen, haben sie sie an die Politik weitergegeben. Gemeinsam mit mehreren Parteien haben sie einen Antrag in den Münchner Stadtrat eingebracht. Der sieht vor, dass Bauprojekte, die viel recyceln, von der Stadt gefördert werden. So wie Holz-Bauprojekte in München bereits gefördert werden. Damit für Bauherren ein Anreiz entsteht, Rohstoffe wiederzuverwenden. Es soll das weltweit erste Förderprojekt dieser Art sein. Noch ist über den Antrag nicht abgestimmt worden, aber Johannes Daiberl ist optimistisch, dass das was wird.
Baubranche muss dringend CO2 sparen
Um Recycling kommt die Baubranche in der Zukunft nicht mehr herum, denn sie muss dringend jede Menge CO2 einsparen. Der Gebäudesektor verursacht ungefähr 40 Prozent aller CO2-Emissionen. Er verbraucht etwa 40 Prozent aller weltweiten Rohstoffe. Und er erzeugt viel Müll: In Deutschland ist die Bauwirtschaft für über die Hälfte des Abfallaufkommens verantwortlich.
Kurzum: Der Bausektor ist ein enorm wichtiger Hebel, um die Emissionen runterzubringen. Doch davon ist wenig erkennbar. "Insgesamt hat sich der Gebäude- und Bausektor nicht in Richtung der Klimaziele bewegt", heißt es in einem Bericht des UNO-Umweltprogramms von 2020. Der Sektor entferne sich sogar von den Vorgaben.
Zielkonflikt der Bundesregierung
Die Bundesregierung ist sich des Problems bewusst, gleichzeitig will sie aber auch 400.000 Wohnungen pro Jahr bauen – ein Widerspruch. Ein Plan, um Ressourcen zu sparen und Emissionen herunterzubringen ist der sogenannte "digitale Gebäuderessourcenpass". Damit will die Ampelkoalition "den Einsatz grauer Energie sowie die Lebenszykluskosten verstärkt betrachten". So steht es im Koalitionsvertrag.
Das Start-up Concular, das eine Online-Datenbank für Baumaterialien entwickelt hat, hat einen solchen Produktpass schon einmal ausgearbeitet. Annabelle von Reutern von Concular beschreibt es so: "Im Endeffekt ist es eine Art Steckbrief. Also ist es eine Tür: Was für eine Tür, welche ist es aus Holz? Welches Material ist da verbaut, wie es ist verbaut? In welcher Menge kommt es im Gebäude vor?"
Form folgt der Verfügbarkeit
In Architektur und Design galt lange Zeit der Spruch "Form follows function", also die Form folgt der Funktion. In Zeiten von knappen Ressourcen und steigenden Preisen erlebt Annebelle von Reutern, wie sich das Motto ändert, in: Die Form folgt der Verfügbarkeit.
"Wir kommen eigentlich wieder zurück zu dem, wo die Architektur mal war. Nämlich, dass mit dem gebaut wird, was vor Ort zu finden ist - weshalb Regionen auch unterschiedlich aussehen. " Annabelle von Reutern
Die letzten Jahrzehnte habe es durch die Globalisierung kein Halten mehr gegeben, was unterschiedliche Materialien angeht, die von Südamerika nach Deutschland beispielsweise gebracht worden sind, um sie zu verbauen. Jetzt gehe es wieder darum zu schauen: Was ist denn schon da?
Aus Bauschutt soll neuer Beton entstehen
Riesenbaustelle mitten in München: Auf dem Gelände der ehemaligen Bayernkaserne soll ein komplett neues Wohnviertel entstehen – für 15.000 Menschen. Möglichst ökologisch: Mit reduzierten Wohnflächen, begrünten Dachterrassen, Gemeinschaftsräumen – und recyceltem Beton aus dem Bauschutt der Altbauten, die auf dem Gelände standen. Das zumindest ist die Idee von Andrea Kustermann, Professorin für Bauingenieurswesen an der Hochschule München.
Mit ihren Studenten hat Kustermann Möbel aus Recycling-Beton – kurz R-Beton - gebaut. Sie wollte ihnen zeigen, was man alles damit machen kann und Hemmungen vor dem Baustoff abbauen. "Wir haben das Ziel, hundert Prozent der Körnung zu ersetzen, mit der Idee, alles was anfällt, wiederzuverwenden, damit die Transportkilometer geringgehalten werden", sagt Kustermann. Und, um den Rohstoff Sand zu sparen, er wird weltweit immer knapper.
Problem klimaschädlicher Zement
Andere Länder, zum Beispiel die Schweiz, recyceln bereits mehr Beton. Bei öffentlichen Bauten etwa sollen mindestens 50 Prozent aller Betonteile aus wiederverwertetem Material erstellt werden. In Deutschland findet R-Beton noch selten Einsatz in Gebäuden. Und er löst gewiss nicht alle Probleme: Zwar spart er Sand, aber der Zement, der Klebstoff im Beton, ist auch beim R-Beton noch enorm CO2-intensiv.
Allein die Herstellung von Zement sorgt für bis zu acht Prozent des globalen Kohlenstoffdioxidausstoßes. Außerdem ist die Qualität von R-Beton laut Expertinnen teilweise nicht so gut wie beim Beton aus Primär-Rohstoffen, wenn man ihn mechanisch zerkleinert.
Bauphysik: Blitze sprengen Beton in Primärrohstoffe
Dagegen hat sich der Wissenschaftler Volker Thome etwas überlegt - mit Blitzen. Der Mineraloge vom Fraunhofer Institut für Bauphysik öffnet das Tor zu seiner Erfindung. Sie steht in einem kleinen Schuppen auf einem weitläufigen Gelände in Valley, südlich von München. In der Maschine kann er mit kurzen Blitzen unter Wasser alten Bauschutt mittels Elektrodynamik so sprengen, dass er in seine ursprünglichen Bestandteile zerfällt.
Forschungsideen noch in der Entwicklung
Damit soll es gelingen, die Rohstoffe Sand, Kies, Ziegel, Kalk und Zementstein präzise zu trennen. Der Kalk kann auch zur Zementherstellung wiederverwendet werden – das spart Rohstoffe und CO2. Und auch ein Dünger für die Landwirtschaft soll dabei entstehen. Allerdings braucht das Verfahren wieder neue Energie. Und noch sind diese und auch ein paar andere Ideen von Thome und seinem Team in der Entwicklung. Ob sie jemals auf dem Markt landen, ist ungewiss. Aber der Wissenschaftler erlebt, wie gefragt Forschungsideen für nachhaltiges Bauen sind. "Normalerweise müssen wir fünf Anträge schreiben, damit einer genehmigt wird. Und zurzeit haben wir eine überdurchschnittlich hohe Erfolgsquote mit unseren Anträgen", erzählt Thome.
Bauen verbieten?
Doch reichen nachhaltige Bau-Ideen aus, um die Emissionen wirklich herunterzubringen? Nein, sagt Daniel Fuhrhop. Aus seiner Sicht sollte gar nicht mehr gebaut werden. Der Wissenschaftler, Autor und Grünen-Politiker hat das Buch "Verbietet das Bauen!" geschrieben. Er weiß zwar, dass Wohnraum gebraucht wird. "Leider bedeutet das, dass wir einen großen Klimaschaden erzeugen. Denn diese zusätzlich gebauten Wohnungen verursachen acht Millionen Tonnen CO2, obwohl wir gerade im Gebäudebereich und Industriebereich jeweils vier Millionen Tonnen einsparen sollen", sagt er in der BR-Doku "Gut zu wissen".
Zu viel Abriss, zu viel Neubau
Trotz der steigenden Materialpreise wird immer noch in den meisten Fällen ein Altbau abgerissen und ein Neubau hingestellt. Weil es häufiger günstiger ist. "Es ist ein Trugschluss, wenn man glaubt, dass ein Neubau Energie sparen könnte. Denn erstmal verbraucht zu bauen Energie. Selbst das tollste Passivhaus muss erstellt werden und das bedeutet einen hohen Energieaufwand", so Fuhrhop. Wenn man das mit einberechnet, sei es besser, vorhandene Gebäude zu sanieren anstatt sie abzureißen.
Zukunft des Bauens liegt im Bestand
Dieser Forderung haben sich auch "Architects for Future" angeschlossen. Die Bewegung steht solidarisch mit "Fridays for Future" und setzt sich für eine nachhaltige Bauwende ein. "Die Zukunft des Bauens liegt im Bestand. Wir müssen mehr umbauen, anbauen, aufbauen", so Architekt Michael Wicke im Deutschlandfunk. "Denn alles, was wir nicht bauen müssen, spart CO2." Aus der Bauordnung soll eine Umbauordnung werden, fordern "Architects for Future".
Wohnfläche seit den Siebziger Jahren verdoppelt
Noch ist von weniger Baustellen nichts zu sehen, im Gegenteil: Die durchschnittliche Wohnfläche hat sich in Deutschland seit den 19070ern verdoppelt. Heute lebt ein Mensch in unserem Land auf durchschnittlich knapp 48 Quadratmeter. 16 Millionen Einfamilienhäuser stehen in Deutschland. Sie allein wären genug Wohnraum, wenn in jedem dieser Häuser fünf Menschen wohnen würden.
Bauboom krisenbedingt eingebremst
Erst die Corona-Krise, der Ukraine-Krieg und die damit verbundenen gestiegenen Preise und Materialengpässe haben den Bauboom eingebremst. Doch selbst wenn Deutschland und der Westen ab jetzt weniger bauen, könnte der weltweite Bedarf nach Beton, Zement und anderen Materialien steigen – wenn China, Indien und andere aufstrebende Nationen erst richtig loslegen.
Zimmerei bekommt Secondhand-Ausstattung
Am Stadtrand von Augsburg lebt Rainer Basan. Auf seinem Grundstück steht ein uralter Schuppen, den sein Sohn als Zimmerei nutzen möchte. Die Ausstattung dafür hat er nicht nur im Baumarkt gekauft, sondern auch in der Alten Stadtbibliothek Augsburg, bevor sie abgerissen wurde.
Seine Fundstücke: Zwei meterlange Heizkörper, 50 Meter Kabelkanäle, Steckdosen, ein Gartentor, eine Toilette, drei Waschbecken und noch mehr. Gezahlt hat er dafür etwa 1.200 Euro, deutlich weniger als im Baumarkt. Initiiert hat die Aktion Kathrin Fändrich, Leiterin des Bereichs Hochbau vom Staatlichen Bauamt Augsburg.
- Zum Artikel: Wie klimaschädlich ist Bayern? Die CO2-Bilanz im Vergleich
Günstiges Recyceln statt teurer Neukauf: Win-Win-Situation
Rainer Basan geht in den Schuppen und zeigt, wo die Heizkörper demnächst angeschlossen werden. Dabei hat er nicht nur gespart. Vielmehr gefällt ihm, dass Baustoff-Recycling eine Win-Win-Situation ist: "Wenn ich in den Laden gehe und nachhaltig einkaufe, kostet es mich viel Geld. Und hier ist es so, dass ich mich nachhaltig verhalten kann und wirklich etwas Nützliches für die Umwelt tue und dabei noch Geld spare. Dieser Konflikt, den wir sonst haben, ob es mir das eigentlich wert ist, den haben wir hier nicht. Da gibt es überhaupt keinen Verlierer."
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