Er hat lange gebraucht, bis er über das sprechen konnte, was er unter den Nazis erlitten hatte. Dafür tat er es später umso intensiver. Ab den 1980er-Jahren, als seine Erinnerungen in den "Dachauer Heften" veröffentlicht wurden, begann er mit Führungen durch das frühere Konzentrationslager, berichtete Schülern über das, was er in der NS-Zeit erlebt hatte. Das Gymnasium Grafing im Landkreis Ebersberg, das er mehr als dreißig Mal besucht hatte, trägt deshalb seit dem 1. Januar 2020 seinen Namen.
Das Schicksal der Familie Mannheimer
Die auf seinem Arm tätowierte Zahl 99728 sei eine Telefonnummer, erzählt er über viele Jahre seinen Enkeln. Erst spät sollten sie die wahre Bedeutung der Nummer erfahren.
Nachts plagten Max Mannheimer seit jeher Albträume über das, was er in der Nazi-Zeit erlebt hatte: Seine jüdische Familie, die – aus Neutitschein, einer Stadt im heutigen Tschechien stammend – trotz Flucht in die Hände der Nazis gerät, dann zuerst ins Konzentrationslager Theresienstadt gebracht wird und von dort nach Auschwitz-Birkenau.
Von acht Mitgliedern der Familie sterben sechs: Ein Bruder wird schon 1942 verhaftet. Auf der Rampe von Auschwitz-Birkenau sieht Max Mannheimer 1943 zum letzten Mal seine Eltern, seine Schwester und seine Frau, die er wenige Monate zuvor geheiratet hatte. Die Angehörigen werden vergast. Mit zwei Brüdern wird er zur Arbeit ausgewählt – einer von ihnen wird krank und deshalb ebenfalls ermordet.
Nur Max Mannheimer und ein Bruder überleben
Nur Mannheimer und sein jüngerer Bruder Edgar überleben den Holocaust. Über Warschau kommen die Brüder in das KZ nach Dachau, werden 1945 in das Außenkommando Mühldorf verlegt und auf einem Evakuierungstransport am 30. April 1945 von den Amerikanern befreit. "Als ich bei Tutzing befreit wurde, war ich eine halbe Leiche. Damals habe ich gesagt: Wenn ich 40 Jahre alt werde, bin ich zufrieden – und jetzt bin ich 90!", sagte Mannheimer vor dreizehn Jahren.
Rückkehr nach Deutschland – der Liebe wegen
Nach seiner Befreiung kehrte Mannheimer in seine nordmährische Heimat nach Neutitschein zurück. Er war sich sicher, nie wieder nach Deutschland zurückzukehren. Doch das Schicksal wollte es anders: Er verliebte sich ausgerechnet in eine deutsche Widerstandskämpferin und Tochter einer sozialdemokratischen Familie. Elfriede Eiselt wurde seine zweite Frau. Schon Ende 1946 war Mannheimer dann also doch zurück in dem Land, "dessen Boden ich nie wieder betreten wollte", wie er sagte.
Späte Aufarbeitung der NS-Zeit
Über seine Erlebnisse in der NS-Zeit konnte Mannheimer lange Zeit nicht sprechen. Erst Mitte der 1960er-Jahre, als seine Frau Elfriede an Krebs starb und er selbst glaubte, krank zu sein, begann er, seine Erinnerungen aufzuschreiben – für seine Tochter Eva. Und erst Mitte der 1980er-Jahre wurden seine Aufzeichnungen in den "Dachauer Heften" veröffentlicht. Von da an führte Mannheimer Besuchergruppen durch das ehemalige KZ in Dachau. Teils war das für ihn nur mithilfe von Medikamenten möglich – und dank der Malerei, der er sich schon in den 1950er-Jahren widmete. Geholfen habe "das Malen, das Erzählen – und die Tabletten", sagte er einmal. Wirklich vergessen konnte er nie. "Das ist unmöglich."
Max Mannheimer starb am 23. September 2016 im Alter von 96 Jahren in seiner Wahlheimat München. Nach ihm ist unter anderem der Platz vor dem NS-Dokumentationszentrum in der Münchener Brienner Straße benannt.
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