Hände halten "Schönfelder Deutsche Gesetze"
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Die unter dem Namen "Schönfelder" bekannte Gesetzessammlung, auch "roter Ziegelstein" genannt, trägt inzwischen den Namen "Habersack".

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Zwei juristische Standardwerke: Autoren nicht nur NS-Mitläufer

"Palandt" und "Schönfelder": Das waren die Titel von zwei Standardwerken des deutschen Rechts. 2021 wurden sie jedoch umbenannt, denn die Namensgeber waren aktive Unterstützer des NS-Staats - wie sehr, hat ein neues Gutachten herausgearbeitet.

Über dieses Thema berichtet: radioWelt am .

Fragt man angehende Juristinnen und Juristen in München nach den Begriffen "Schönfelder" und "Palandt", verbinden damit fast alle sofort zwei Standardwerke des deutschen Rechts - die inzwischen eigentlich nicht mehr so heißen: Erstens eine der wichtigsten Gesetzessammlungen Deutschlands und zweitens einen der meist verwendeten Standard-Kommentare zum Bürgerlichen Gesetzbuch.

"Substanzielle Identifikation" mit NS-Ideologie

Beide Bücher sind, wie das Stethoskop beim Arzt oder das Maßband beim Schneider, alltägliche Werkzeuge für Juristinnen und Juristen. Hinter beiden Namen stecken aber Nationalsozialisten: Heinrich Schönfelder und Otto Palandt. Sie waren nicht nur Mitläufer, sondern tief in den NS-Unrechtsstaat verstrickt. Das hat jetzt ein neues Gutachten des "Instituts für Zeitgeschichte" ans Licht gebracht. Das bayerische Justizministerium, von dem der Auftrag kam, schreibt dazu: "Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass sich sowohl für Palandt als auch für Schönfelder eine substanzielle Identifikation mit der nationalsozialistischen Ideologie klar belegen lässt", und der Autor der Studie Lutz Kreller erläutert: "Beide waren natürlich sehr, sehr engagierte Protagonisten dieses NS-Unrechtsregimes und haben dort auch massiv dazu beigetragen, dass dieser NS-Unrechtscharakter fortgesetzt und beibehalten wurde. Die wollten auch nie Demokraten sein, sondern das waren Anti-Demokraten!"

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"Palandt hat (...) die Politik des NS-Regimes stets gefördert", urteilt das Gutachten. Der nach ihm benannte Kommentar heißt nun "Grüneberg".

Otto Palandt hat demnach maßgeblich an der Abschaffung der Weimarer Republik mitgewirkt, dem Nationalsozialismus "rückhaltlos gedient" und als Richter und Präsident des Reichs-Justizprüfungsamts die NS-Ideologie in der Jura-Ausbildung mit durchgesetzt.

Heinrich Schönfelder war bereits in der Schule ein glühender Nazi. Er erlangte seine Professur mit einer Arbeit darüber, warum der Faschismus die einzig richtige Staatsform sei. Er ist auch der Begründer einer Heftreihe für Jura-Studierende, um Fallbeispiele einzuüben. Noch bis in die 1960er-Jahre hinein waren diese eindeutig rassistisch und völkisch, sagt Kreller: "Über Gestalten wie den Händler Gerissen und den Isidor Silber. Die besaßen einen widernatürlichen Sexualtrieb und einen listigen, verschlagenen Charakter. Und die waren in seinen Fällen für einen Ritualmord quasi zuständig, für Hoch- und Landesverrat, Geschlechtsverkehr mit Minderjährigen."

Umbenennung 76 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges

Die Heftreihe "Prüfe dein Wissen" gibt es heute noch, aber freilich mit neuen Fällen. Heute ist inhaltlich in den Standardwerken nichts mehr von der NS-Ideologie zu finden, auch weil die Fallbeispiele oder Gesetzestexte längst in zig Auflagen überarbeitet wurden. Doch bis auch die Nazi-Namen aus den Buchtiteln gelöscht wurden, dauerte es länger. Vor zwei Jahren hat der zuständige Münchner Verlag C.H.Beck auf Initiative des bayerischen Justizministers Georg Eisenreich die Werke umbenannt. Sie tragen jetzt die Namen Grüneberg und Habersack.

Klaus Weber, Mitglied der Geschäftsleitung des Verlags C.H. Beck, ergänzte: "Der Verlag hatte sich in diesem Zusammenhang entschlossen, die Namen aller Werke zu ändern, deren Namensgeber in der NS-Zeit eine aktive Rolle gespielt hatten." Die neuen Forschungsergebnisse hätten das Bild von Palandt und Schönfelder nochmals abgerundet und bestätigten, dass der Verlag 2021 die richtige Entscheidung getroffen hätte.

Das geschah jedoch viel zu spät, findet Ghazzal Novid, Jura-Doktorand und Mitbegründer der "Initiative für eine kritische Erinnerungskultur in der Rechtswissenschaft". Denn dass die beiden Namensgeber Nazis waren, sei grundsätzlich schon seit Jahrzehnten bekannt gewesen: "Es ist doch absurd, dass der Beck-Verlag selbst erst 76 Jahre nach Ende des Weltkrieges einige Bände umbenannt hat. Das ist kein Zeichen von Überlegtheit oder gar Gedenk-Kultur, sondern eher ein Indiz einer gewissen Verharmlosung der Fakten."

Noch "viel zu tun" - weitere Aufarbeitungen angemahnt

Auch heute noch sind die Bücher über die alten Namen auf der Verlagsseite zu finden, dort kann man den "Grüneberg, vormals Palandt" sowie den "Habersack, vormals Schönfelder" kaufen. Die Juristinnen und Juristen in Deutschland werden vermutlich nicht nur deshalb die zwei alten und langjährigen Buchtitel so schnell nicht aus ihrem Gedächtnis verlieren.

Denn Schönfelder und Palandt sind bei Weitem nicht die einzigen Beispiele für die teilweise nur wenig aufgearbeitete Verstrickung der Justiz-Publizistik mit dem NS-Regime, sagt Ghazzal Novid: "Es ist unglaublich viel zu tun. Man nehme zum Beispiel den Stein-Jonas-Kommentar. Ein viel beachtetes Standardwerk - und dieses trägt immer noch den Namen von erheblich belasteten NS-Persönlichkeiten." Es ist bekannt, dass einer der beiden Herausgeber, der Richter Martin Jonas, NSDAP-Mitglied war und als Rassist und Vollstrecker des NS-Regimes galt. Dennoch trägt das Werk, herausgegeben vom Mohr Siebeck Verlag, bis heute auch seinen Namen.

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