Eine Frau sitzt alleine in einem Zimmer und blickt aus dem Fenster.
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Eine Frau sitzt einsam in einem Wohnraum (Symbolbild).

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Aktionswoche: Einsamkeit soll nicht länger Tabu-Thema bleiben

Millionen Menschen in Deutschland fühlen sich einsam, aber wenige sprechen darüber. Ein "Einsamkeits-Experte" aus Landshut betont, wie wichtig Hilfsangebote sind. Eine bundesweite Aktionswoche will auf das Tabu-Thema aufmerksam machen.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Niederbayern und Oberpfalz am .

Kurz vor Schichtbeginn im Café "Kuchentratsch": Zwei Frauen begrüßen sich ausgelassen, ehe sie das Café betreten. Beide sind bereits im Rentenalter. Sie sind aber nicht als Gäste hier, sondern als Kolleginnen. Das Café ist ihr Arbeitgeber, sie backen hier. Damit können sie sich etwas zu ihrer Rente dazuverdienen. Das ist aber nicht der Hauptgrund, weswegen sie in dem Café arbeiten. Viel wichtiger ist ihnen der soziale Gedanke – sie wollen unter Leuten sein, eine Aufgabe haben.

Aktuellen Studien zufolge fühlt sich fast die Hälfte aller Erwachsenen in Deutschland einsam. Ende 2023 hat die Bundesregierung deswegen eine Strategie gegen Einsamkeit ins Leben gerufen. Aktuell läuft eine Aktionswoche: "Gemeinsam aus der Einsamkeit".

Einsamkeit als Tabu-Thema

Sensibilisieren und Unterstützungsangebote sichtbar machen – das sei dringend notwendig, sagt der Landshuter Einsamkeits-Experte Klaus Siedenhans: "Wer sagt denn schon gerne über sich selbst: Ich bin einsam. Wenn ich das sage, könnte ja irgendetwas mit mir nicht in Ordnung sein. Vielleicht möchten dann sogar noch weniger Menschen mit mir zu tun haben. Es ergibt dann natürlich Sinn, sich dessen bewusst zu werden."

Einsamkeit kann krank machen

Als Autor hat Siedenhans mehrere Bücher zum Thema verfasst. Über Einsamkeit sprechen und sich ihr entgegenzustellen bedeute auch, möglichen Erkrankungen vorzubeugen. Sich einsam fühlen – wird das zum Dauerzustand, drohen nämlich schwere Folgen für die psychische und körperliche Gesundheit: "Starke Einsamkeit erzeugt in uns einen Stresslevel wie der Angriff durch einen fremden Menschen. Und wenn das über einen längeren Zeitraum geht, können Bluthochdruck oder andere Dinge folgen. Und das macht uns tatsächlich krank."

Klaus Siedenhans hatte ursprünglich ein IT-Unternehmen, beschäftigt sich laut seinem Verlag aber seit über dreißig Jahren intensiv mit Persönlichkeitsentwicklung. Als Mutmacher-Coach unterstütze er Menschen dabei, Lebenszufriedenheit, positive Gestimmtheit und Wohlbefinden zu erlangen und damit leichter ihre Ziele zu erreichen, heißt es.

Ein Phänomen in Industriestaaten?

Zum Auftakt der Aktionswoche gegen Einsamkeit erklärte Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Bündnis 90/Grüne), dass Einsamkeit vor allem in Industriestaaten weiter zunehme. Mit schwerwiegenden Folgen für individuell betroffene Menschen – aber auch für die Gesellschaft. Menschen würden in Einsamkeit krank, verbittert und misstrauisch.

Wer das Vertrauen in die Gesellschaft verliere, verliere auch das Vertrauen in die Demokratie. Auch die politische Teilhabe nehme weiter ab, so Paus. Als mögliche Gegenmaßnahmen sollen Ursachen und Folgen von Einsamkeit weiter untersucht werden. Die Aktionswoche soll auch auf gezielte Hilfsangebote aufmerksam machen.

Es gibt auch "gemeinsam einsam"

Junge Menschen seien gleichermaßen von Einsamkeit betroffen wie Ältere, erklärt der Experte aus Landshut. Besonders dann, wenn es an tiefen sozialen Beziehungen und persönlichem Austausch fehlt. Das könne auch die Kommunikation auf Social Media nicht ersetzen. Zwar könnten Likes, Kommentare oder Nachrichten über Messengerdienste für ein kurzzeitiges Gefühl der Bestätigung sorgen, entscheidend sei aber die persönliche Begegnung:

"Wenn wir im Gespräch sind, nebeneinandersitzen, uns über irgendein Thema unterhalten, uns dabei in die Augen sehen, dann hat das eine ganz andere Qualität von Interaktion", sagt Siedenhans. Wichtig sei die Verbindung zum Gegenüber: "Sonst kann ich mich sogar auf einer Party, umgeben von vielen Menschen, einsam fühlen. Es geht um tiefen, vertrauensvollen Austausch."

Projekt gegen Einsamkeit in München

Helfen könne dabei eine gemeinsame Aufgabe. So wie in der Backstube des Cafés. Hier, direkt an der Statue der Bavaria an der Münchner Theresienwiese, backen Omas und Opas - so nennen sie sich hier selbst - für die Auslage des Cafés namens "Kuchentratsch".

Eine soziale Backstube, die nach Angaben der Betreiber das Leben lebenswerter machen soll. Häufig hätten Senioren nach Renteneintritt das Gefühl, nicht mehr gebraucht zu werden und isoliert zu sein. Die Arbeit im "Kuchentratsch" solle dabei helfen, weiterhin Teil einer Gemeinschaft zu sein. Die meisten kommen ein- bis zweimal pro Woche für einen Vormittag in die Backstube.

Teilhabe im Leben statt Einsamkeit

Für viele sei das ein wesentlicher Bestandteil ihres Lebens geworden, sagt Antonia Hausner von "Kuchentratsch": "Es zeigt sich, dass es wichtig ist, gebraucht zu werden und sich sinnvoll einzubringen in einem Arbeitsumfeld, das ihnen zugleich auch entgegenkommt, wenn sie beispielsweise mal spontan absagen müssen. "Diese Rücksichtnahme gibt es bei vielen anderen ausübbaren Minijobs für sie nicht und das versuchen wir hier bewusst zu leben."

Für die Seniorinnen und Senioren bedeute das Teilhabe am Leben statt drohender Einsamkeit. Dabei können sie sich in allen Bereichen der Backstube engagieren: Backen, Einpacken oder Ausliefern. Und dabei Freundschaften schließen.

Im Video: Einsamkeit soll nicht länger Tabu-Thema bleiben

Einsamkeit, zeigen Studien, kann seelisch und auch körperlich krank machen, je länger sie andauert.
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Einsamkeit, zeigen Studien, kann seelisch und auch körperlich krank machen, je länger sie andauert.

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