Wenn die Mutter in der Schwangerschaft Alkohol trinkt, kann das für das ungeborene Kind schwerwiegende Folgen haben, ein Leben lang.
Bildrechte: picture alliance/imageBROKER

Wenn die Mutter in der Schwangerschaft Alkohol trinkt, kann das für das ungeborene Kind schwerwiegende Folgen haben, ein Leben lang.

Per Mail sharen
Artikel mit Audio-InhaltenAudiobeitrag

Alkohol in Schwangerschaft: Ausgrenzung erkrankter Kinder

Mehr als 25 Prozent der Pflegekinder in Deutschland haben eine Fetale Alkoholspektrumstörung. Verursacht wird die Krankheit durch Alkohol-Konsum in der Schwangerschaft. Warum eine betroffene Familie aus dem Raum Schweinfurt oft Ausgrenzung erlebt.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Mainfranken am .

"Die Kinder sehnen sich danach, dazuzugehören, und es klappt oft nicht", erzählt ein Pflegevater aus dem Raum Schweinfurt. Er hat drei Pflegekinder zwischen sechs und 16 Jahren und alle drei haben FASD. Das ist die Abkürzung für Fetale Alkoholspektrumstörung – dem Oberbegriff für alle Krankheiten des Kindes, die durch Alkohol-Konsum der Mutter während der Schwangerschaft entstehen. Viele Menschen, die durch FASD beeinträchtigt sind, werden aufgrund ihres Verhaltens immer wieder abgelehnt und ausgegrenzt.

"Gerade im Umgang mit Gleichaltrigen tun sie sich schwer und werden dann auch schnell ausgegrenzt, weil sie nicht in der Lage sind zu verstehen: So wie ich jetzt reagiere, kann es für andere Kinder unangenehm sein", sagt die Pflegemutter der drei Kinder aus dem Raum Schweinfurt. Ihre Kinder würden oft ausgelacht, nachgeäfft, beleidigt oder beschimpft. Der Familie ist es wichtig, anonym zu bleiben, um nicht stigmatisiert zu werden.

Viele Kinder mit FASD bei Pflegefamilien

Mit Ausgrenzung sind viele Familien konfrontiert, die Kinder mit FASD haben. Die Krankheit ist weit verbreitet: Knapp zwei Prozent der Neugeborenen haben FASD. Und von den Kindern, die bei Pflegeltern leben, haben sogar rund 25 Prozent FASD. Den hohen Prozentsatz begründet Gisela Bolbecher, Vorsitzende des FASD Netzwerks Nordbayern damit, dass die leiblichen Eltern oft selbst von FASD betroffen seien. Sie seien somit häufig nicht in der Lage, ihre Kinder entsprechend zu erziehen.

Bolbecher engagiert sich seit über 20 Jahren ehrenamtlich für das Thema FASD und hat vor über einem Jahr eine Selbsthilfegruppe in Schweinfurt mitgegründet. Diese richtet sich vor allem an Eltern beziehungsweise Pflegeeltern von Kindern und Jugendlichen mit FASD. Die unheilbare Krankheit ist die häufigste Ursache für Entwicklungsverzögerungen bei Kindern, betont Bolbecher.

FASD äußert sich auf unterschiedliche Weise. Betroffene vergessen beispielsweise schnell, können sich kaum an Regeln halten, sind impulsiv und risikobereit. Außerdem haben sie Schwierigkeiten beim Lesen und Rechnen. Zudem können Betroffene nicht aus Fehlern lernen. Manche sprechen auch jeden Fremden an und sind distanzlos. Überdies können sie auch im Verhalten unberechenbar sein und wirken oft unsozial. Bei der schwerwiegendsten Variante, dem Fetalen Alkoholsyndrom (FAS), sind sie sowohl körperlich als auch geistig beeinträchtigt.

FASD verursacht verschiedene Symptome

Bei den drei Pflegekindern aus dem Raum Schweinfurt verursacht die Spektrumstörung mehrere Symptome – bei jedem sind sie aber unterschiedlich stark ausgeprägt. "FASD bewirkt zum Beispiel, dass unsere Kinder sehr impulsiv sind. Sie können schnell aufbrausend sein – auch verbal, also mit Worten aggressiv werden", so der Pflegevater. Er berichtet davon, dass sich die Kinder schnell von etwas ablenken lassen und jeden Fremden ansprechen. Außerdem sei das Gedächtnis stark beeinträchtigt: "Vieles, was wir dem Kind erklären, was es lernt, vergisst es wieder", sagt der Vater. Doch das sind keine Erziehungsfehler, sondern Folgen der unheilbaren Krankheit.

Andere würden das Verhalten der Kinder oft als Provokation oder Absicht auffassen. Die Pflegeeltern erzählen, dass sie selbst schon oft schon kritisiert wurden: Sie seien nicht in der Lage die Kinder zu erziehen, hätten sie nicht im Griff. Viele an FASD erkrankte Kinder haben Probleme, Freunde zu finden.

Appell: Auf Alkohol in der Schwangerschaft verzichten

Es gibt keine verlässlichen Angaben, ab welcher Menge Alkohol tatsächlich FASD entstehen kann. Aber jeder Schluck schädigt das ungeborene Kind, denn Alkohol ist ein Zellgift, erklärt Gisela Bolbecher vom FASD Netzwerks Nordbayern weiter. Sie empfiehlt deshalb, dass ab dem Kinderwunsch auf Alkohol verzichtet wird.

Außerdem rät sie dazu, dass nicht nur die Frau auf Alkohol verzichtet, sondern auch deren Partner, damit die Verführung, doch ein Gläschen Sekt während der Schwangerschaft zu trinken, nicht gegeben sei. Und generell sollte sich eine Frau nicht rechtfertigen müssen, wenn sie keinen Alkohol beispielsweise bei einer Feier trinken möchte. Oft gelte sie dann als Spaßbremse. "Alkohol wird in unserer Gesellschaft leider noch zu sehr verharmlost", sagt sie.

FASD Netzwerk berät betroffene Familien

Die Spektrumstörung wird in der Regel in speziellen Zentren von Experten diagnostiziert. Das FASD Netzwerk Nordbayern berät Eltern, die ein betroffenes Kind haben. Zudem vermittelt das Netzwerk geeignete Anlaufstellen wie zum Beispiel Therapeutinnen und Therapeuten.

Auch, wenn die Familie aus dem Raum Schweinfurt viel Negatives durch die Krankheit erleiden muss, gibt es auch bereichernde Momente für die Familie, die die Krankheit mit sich bringt. "Weil meine Kinder auch viele Leute einfach so anquatschen, komme ich mit so vielen Leuten ins Gespräch. Und ich spüre, dass diese Offenheit auch für andere ein großes Geschenk sein kann", erzählt die Pflegemutter.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!