Urteilsverkündung im Prozess um den Messerangriff in der Würzburger Innenstadt
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Das Gericht hat die dauerhafte Unterbringung des Täters in der Psychiatrie angeordnet. Bei der Urteilsverkündung war ein Angehöriger dabei.

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Angehöriger zu Messerattacken-Urteil: "Ist das gerecht?"

Das Urteil im Prozess zum Messerangriff ist gesprochen. Der Täter muss in die forensische Psychiatrie. Auch ein Angehöriger hat die Urteilsverkündung am Dienstag direkt mitverfolgt. Für seine Familie ist seit der Tat nichts mehr, wie es einmal war.

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Genau ein Jahr, ein Monat und ein Tag sind seit der schrecklichen Tat mitten in der Würzburger Innenstadt vergangen, als am Dienstag das Urteil verkündet wird. Direkt im Saal verfolgen zahlreiche Rechtsbeteiligte, Besucher und Journalisten die Verkündung mit – und ein Angehöriger.

Mutter tot, Schwester schwer verletzt

Er sei etwas aufgeregt, weil gleich das Urteil ausgesprochen werde, sagt Andras Hartmann-Pataki kurz vor der Urteilsverkündung auf Nachfrage von BR24. Als Angehöriger ist der 21-jährige Brasilianer gleich doppelt betroffen. Seine Mutter wurde am 25. Juni 2021 von dem Beschuldigten in einem Würzburger Kaufhaus erstochen, das sieht das Gericht als erwiesen an. Eigentlich wollte sie dort mit ihrer Tochter Turnschuhe kaufen.

Doch die damals Elfjährige muss die Ermordung ihrer Mutter mit ansehen. Kurz darauf wird sie vor dem Kaufhaus selbst attackiert. Dreimal sticht der Täter ihr in den Nacken, heißt es in der Urteilsbegründung. Schwer verletzt wird das Mädchen die nächsten zwölf Tage in einer Klinik verbringen. "Ich bin gerannt und gerannt und gerannt. Ich habe versucht, nach Hause zu kommen", erzählt sie später bei der Polizei.

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Familie wollte nach Deutschland auswandern

Andras lebt damals noch mit dem Vater in Brasilien. Die Familie will nach Deutschland auswandern, die Mutter ist eine Deutsche und schon mit Andras Schwester vorausgegangen. In Deutschland ist es sicherer, so glauben sie. Doch Andras und sein Vater erhalten furchtbare Nachrichten: "Die deutsche Behörde hat uns benachrichtigt, dass meine Mutter gestorben ist", erzählt er. Anschließend kommen die beiden nach Deutschland, damit die kleine Schwester weiter hier zur Schule gehen kann. Seit einem Jahr leben sie nun hier.

Prekäre Wohnsituation, komplizierte Integration

12 Jahre alt ist Andras Schwester jetzt. Er selbst und der Vater teilten sich ein Zimmer in der kleinen Einzimmerwohnung bei Würzburg, damit die kleine Schwester das Wohnzimmer als ihr Zimmer nutzen könne. "Wir leben in einer kleinen Wohnung in einer prekären Situation. Es ist tatsächlich so, dass wir keine bessere Wohnmöglichkeit haben, kein Auto und keine finanziellen Mittel, um hier leben zu können", erzählt Andras. Zwar habe ein Verein nach der Tat Spenden für seine kleine Schwester gesammelt, darauf dürfe sie aber größtenteils erst zugreifen, wenn sie 18 Jahre alt ist, so Andras.

Er selbst hat in Brasilien Informatik studiert. Das würde er nun gerne in Würzburg fortsetzen. Dafür müsse er aber mindestens noch ein Jahr lang seinen Sprachkurs fortsetzen. Sein Vater habe mittlerweile eine Stelle gefunden – wenn auch nicht in dem Bereich, in dem er in Brasilien gearbeitet habe. Finanzielle Unterstützung vom Staat bekomme die Familie aber nicht, so Andras. Der Integrationsprozess sei kompliziert.

Schizophrener Täter schuldunfähig

Die Pause am 15. Verhandlungstag in Estenfeld bei Würzburg ist vorbei, die Urteilsverkündung steht an. Andras würde am liebsten selbst etwas öffentlich vor Gericht sagen, erzählt sein Anwalt. Er tut sich schwer damit, dass offiziell niemand schuld sein soll an dem schrecklichen Verbrechen, das so viel Leid über seine Familie brachte. Es sind knapp vier Minuten an einem Sommertag im Juni 2021, die sich in Würzburg und weit darüber hinaus schmerzhaft ins kollektive Gedächtnis brennen werden. Ein 32-Jähriger aus Somalia tötet innerhalb dieser kurzen Zeitspanne mit einem Messer mitten in der Innenstadt drei Frauen, darunter Andras Mutter, und verletzt sechs Menschen schwer, darunter Andras Schwester.

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Nach allem, was das Gericht seit April aufgearbeitet hat, ist der Täter damals gefangen in seinen Wahnvorstellungen, hört Stimmen in seinem Kopf, die ihm die grausame Tat befehlen. Schuldunfähig also aufgrund seiner paranoiden Schizophrenie, da sind sich die beiden Gutachter sicher. "Soweit ich weiß: Alle Anwälte, alle Rechtsverteidiger, die in diesem Fall beteiligt waren – sie haben alle nach einem Schuldigen gesucht, aber leider gibt es keinen. Ich als Opfer und als Mensch habe meine Meinung dazu und sehe schon, dass es einen Beschuldigten gibt und eine Tat gab. Und jemandem muss die Schuld zugewiesen werden. Aber das kann ich leider nicht und muss damit leben", so Andras.

Urteil: Psychiatrie statt Gefängnis

Das Gericht ordnet am Dienstag die dauerhafte Unterbringung des Beschuldigten in der forensischen Psychiatrie an: Andras ringt noch mit dem Urteil und ist mit Blick auf die eigene Situation hier in Deutschland sichtlich irritiert: "Der Täter, wenn er in eine psychiatrische Klinik geht – er wird alles haben, was jemand träumt zu haben, hier in Deutschland. Er wird zu essen bekommen und er wird einen Platz haben zum Schlafen… Und die Frage, die ich stelle: Ist das gerecht? Sind die Konsequenzen gerecht?"

Die Antwort des Gerichts auf diese Frage ist eindeutig: Wenn jemand kein Unrechtsbewusstsein habe zum Tatzeitpunkt, dann könne er auch nicht dafür bestraft werden nach Auffassung des Rechtsstaats, so der Richter in seiner Urteilsbegründung. Zudem sei auch die Unterbringung in der forensischen Psychiatrie keine Wohltat, wie das Gericht und auch der Pflichtverteidiger betonen. Der Pflichtverteidiger des Beschuldigten, Tilman Michler, meint, das Urteil sei kein Geschenk, "dass er jetzt hier als schuldunfähig erkannt wurde, sondern dass hier die Unterbringung in der psychiatrischen Klinik nach Paragraf 63 StG wirklich, wie es auch der Vorsitzende zurecht gesagt hat, das schärfste Schwert des Strafrechts ist.“

Richter: "Trotz allem ein Mensch"

Auch nach den Ausführungen des vorsitzenden Richters Thomas Schuster ist die Unterbringung in der Psychiatrie "die schärfste Sanktion", da sie unbefristet sei. Ein Ende der Maßnahme sei unabsehbar, der Beschuldigte müsse vielleicht Jahrzehnte oder gar für immer dort bleiben. Es sei allgemein nicht viel anders als ein Gefängnis, nur eben mit zusätzlichen therapeutischen Angeboten. Und: Der Beschuldigte sei "trotz allem ein Mensch". Man könne den Zivilisierungsgrad einer Gesellschaft nicht nur an ihrem Umgang mit Gefangenen ablesen, sondern auch an ihrem Umgang mit psychisch Kranken, so Schuster weiter.

Das Leid der Angehörigen und Opfer wird das Urteil nicht heilen können, das weiß auch das Gericht. Die Dolmetscherin von Andras, Cyana Pompeo Schuster, die den ganzen Prozess mitverfolgt hat, würde sich wünschen, dass nun mit der Urteilsverkündigung nicht alles vorbei sei. Man müsse sich weiter um die Opfer kümmern, meint sie. Auch der jetzige Täter sei vielleicht einmal in seiner Heimat Somalia ein Opfer gewesen. Darüber wisse man auch heute wenig.

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