"Der Tag ist immer erfolgreich, wenn wir alle wieder gesund aus dem Tunnel kommen", sagt Darin Angelov. Er ist Bauleiter, spezialisiert auf Tunnelbau. Jahrelang war er im Bergbau in Bulgarien tätig. Seit einem Jahr arbeitet Angelov an der tiefsten Bahnstrecke Deutschlands: der zweiten Stammstrecke für die Münchner S-Bahn. Sie soll die bestehende Stammstrecke entlasten - fast alle S-Bahn-Linien und damit rund 800.000 Menschen täglich durchqueren auf ihr die Münchner Innenstadt. Seit Jahren verzögern sich die Bauarbeiten: Die realen Kosten haben das geplante Budget längst überholt. Doch warum? Kontrovers – Die Story begleitet Angelov und sein Team.
"Tauchen" unter der Landeshauptstadt
Angelov und seine Kollegen arbeiten in bis zu 34 Metern unter der Erde unter extremen Bedingungen. Bei einem Luftdruck von 0,8 bar - vergleichbar mit acht Metern Wassertiefe - muss die Lunge 80 Prozent mehr Kraft aufbringen als normal. "Das ist wie Tauchen. Tauchen auf der Baustelle – mit all den Gefahren, die dazugehören", erklärt Britta Reichardt, Fachärztin für Arbeitsmedizin.
Angelov hat großen Respekt vor der Arbeit: 20 Meter über den Köpfen der Arbeiter fahren tonnenschwere Züge über die bestehenden Gleise. "Man muss Vertrauen haben in die Statik und das Bauwerk, das man herstellt", sagt Angelov.
Tunnelbau: Ohne Vertrauen geht’s nicht
Für die Zweite Stammstrecke soll ein zehn Kilometer langer S-Bahn-Tunnel entstehen. Das Team arbeitet an einem Rettungsschacht für die Strecke. An guten Tagen kommen sie etwa zehn Meter voran. Denn immer wieder tritt Grundwasser ein. Bis das ausgepumpt ist, steht die Baustelle still.
Jeder Tag Verzug kostet rund 100.000 Euro. "Das ist natürlich schon ein Zeitdruck, den man täglich hat. Aber man muss cool bleiben, vor allem als Führungskraft", sagt Angelov.
Kontrovers – Die Story im Video: "Baustelle der Extreme"
Im Kampf gegen Grundwasser
Um Grundwasser abzuführen und einen Brunnen zu bohren, muss das Team durch das Gestein arbeiten. Der Worst Case: Infolge der Arbeiten könnte sich der Boden absenken, Züge könnten entgleisen und die Tunnelbaustelle könnte einstürzen. Deshalb überwacht Ingenieurgeologe Daniel Bimesmeier täglich die ständigen leichten Bodenbewegungen.
Herausfordernde Baubedingungen im Münchner Untergrund
Schon jetzt hängen die Bauarbeiten dem Zeitplan deutlich hinterher. Die zweite Stammstrecke soll 2035 fertig sein - mit sieben Jahren Verspätung: Tendenz steigend. Bimesmeier erklärt: "Der Münchner Baugrund ist aufgrund der Wassersituation hochkomplex." Um den Wasserspiegel am Hauptbahnhof abzusenken, hat die Bahn bereits 14 Brunnen gebohrt: Rund um die Uhr wird Wasser mit Pumpen in umliegende Flüsse geleitet.
Schon Reibung kann zu Explosion führen
Doch immer wieder stellen die Bauarbeiter an der zweiten Stammstrecke fest: Es braucht mehr Brunnen, um die Baugrube trocken zu halten. Das allerdings kommt mit eigenen Herausforderungen, wie Angelov und sein Team heute wieder sehen: Die Rohre passen nicht durch das gebohrte Loch, möglicherweise wegen der Beschaffenheit des Gesteins. Der Brunnenschacht ist blockiert, Wasser kann nicht abfließen.
Angelov wägt ab – und trifft eine Entscheidung: Er kriecht selbst in den kaum 50 Zentimeter breiten Schacht und versucht, das Problem zu lösen.
Plötzlich steigendes Grundwasser ist dabei nicht das einzige Risiko. Auch der erhöhte Luftdruck birgt Gefahren, denn verdichteter Sauerstoff wirkt wie ein Brandbeschleuniger. "Da reicht ein winziger Funke, manchmal sogar nur Reibung, um zu einem Brand, sogar zu einer Explosion zu führen", weiß Britta Reichardt, Fachärztin für Arbeitsmedizin.
Einfach raus aus dem Tunnel - das geht nicht
Solche Unwägbarkeiten und kaum zu berechnende Dauern machen Planungen unterirdischer Großbaustellen schwierig: "Das dauert alles", sagt Angelov. Erst nach Stunden und zwei Versuchen gelingt es dem Team, die Rohre einzubauen: Das Grundwasser kann wieder abfließen. An der Baustelle kann bald weitergebaut werden.
Die heutige Aufgabe haben die Mineure zwar bewältigt, doch nach Hause können sie noch nicht. Erst müssen ihre Körper in der Schleuse wieder an den Luftdruck der Erdoberfläche gewöhnt werden. Zu schneller Druckabfall kann im schlimmsten Fall Schlaganfälle oder Lähmungen verursachen.
"Jetzt war der Tag erfolgreich", fasst ein erschöpfter Angelov den Tag in der Kontrovers-Story zusammen. Denn heute haben alle Arbeiter den Tunnel gesund verlassen.
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