Etliche Schäfer haben die Wolle vom vergangenen Jahr noch nicht verkauft. Bald werden sie ihre Schafe wieder scheren lassen. Auch die Lagerhallen mancher Wollhändler sind schon fast voll. Wohin mit der Wolle? Bis vor ein paar Jahren ist die meiste deutsche Wolle nach Asien, vor allem nach China verkauft worden. Doch schon vor der Corona-Pandemie war die Nachfrage aus Asien eingebrochen. Deswegen sind neue Verwertungswege dringend gesucht. Kleine, junge Unternehmen in der Provinz nehmen die Herausforderung an. Und auch einzelne etablierte Firmen.
Einheimische Wolle, die keiner kauft
In der Fläche ist die Aufbruchstimmung bislang allerdings noch nicht angekommen. Martin Seybold wäre bereit: Der Wollhändler aus Lauingen hat eine Wollpresse angeschafft. Jetzt kann er die Rohwolle so verdichten, dass künftig 24 statt neun Tonnen in einen Lkw passen. Und er hat eine neue Laderampe gebaut, damit er auch Container für die Verschiffung zügig füllen kann. Allerdings kaum jemand will derzeit einen Container Schafwolle.
Stattdessen sieht es ganz danach aus, dass sein Lager bald noch voller wird. Viele Schafhalter stallen demnächst ihre Schafe ein, weil die Ablammsaison beginnt, und lassen sie unmittelbar davor scheren. Manche haben noch die Wolle vom letzten Jahr auf Halde und daheim auch keinen Platz mehr. "Zurzeit macht's keinen Spaß", bringt der Wollhändler die Situation auf den Punkt.
Die Wiederentdeckung einer Hightech-Faser
Bei den Eigenschaften der Wolle müssen Baumwolle und Kunstfasern passen. Sie ist leicht, hat hervorragende Dämmeigenschaften und kann Feuchtigkeit aufnehmen, ohne sich nass anzufühlen. Sie wirkt antibakteriell und verhindert Geruchsbildung - das merken zum Beispiel verschwitzte Wintersportler. In Kunstfasern stinken sie viel schneller nach Schweiß als in Bekleidung aus Wolle.
Vielleicht der effizienteste Stoff der Welt
Wolle ist auch besonders nachhaltig: Im Gegensatz zu anderen natürlichen Fasern braucht die Erzeugung von Wolle keine Fläche. Für Baumwolle, Leinen oder Hanf braucht man zusätzliche Ackerflächen. Wo man Fasern anbaut, können keine Lebensmittel und keine Energiepflanzen wachsen. Wolle entsteht dagegen nebenbei, wenn Schafe Wiesen abgrasen.
Schafe grasen in aller Regel auf den Wiesen, die man nur zur Beweidung nutzen kann. Entweder weil die Wiesen zu nass oder zu steil sind für das Mähwerk und den Ladewagen. Oder aber die Flächen sind ökologisch so wertvoll, dass man sie nicht mähen sollte. Dann arbeiten die Schafe als Landschaftspfleger. Ihre Beweidung sichert die Artenvielfalt an Kräutern und Gräsern, die Schafbollen sind ein Hauptgewinn für viele Insekten- und Vogelarten. Während sie nebenher noch eine Hightech-Faser erzeugen. Jedes Jahr aufs Neue ganz automatisch.
Jacke, Schuhe, Kühltasche: Viele Möglichkeiten für bayerische Wolle
Mähdusa Bavarian Wool - unter diesem Markennamen vermarkten einige oberbayerische Schäfer ihre Wolle. Sie wird unter anderem zu Jankern der Firma Liebling, taucht in einzelnen Loden-Frey-Produkten auf oder in Monaco-Duck-Schuhen. Manomama, der Augsburger Bekleidungshersteller, hat eine Filz-Kühltasche aus Augsburger und österreichischer Wolle und einen Herren-Pulli aus einer Baumwoll-Mischung mit Augsburger Schafwolle im Sortiment. Schafwolle vom fränkischen Hesselberg nimmt der Kinderwagenbauer Angelcab aus der Nähe von Nürnberg inzwischen für die Matratzen in den Kinderwägen. Im Landkreis Heidenheim an der Grenze zu Bayern verkauft die Firma Filzsattel Reitsättel aus einheimischem Woll-Filz übers Internet.
Die Internetseite Wollaktion.de organisiert die gemeinsame Wollverwertung für Schafhalter mit kleinen Beständen. Gerade sie tun sich besonders schwer, ihre Wolle zu vermarkten. Wer zum Beispiel vier Kilogramm Rohwolle einschickt und die Verarbeitungskosten bezahlt, bekommt dafür eine Wolldecke. Zwei Kilo muss man liefern für eine ärmellose Weste, 300 Gramm für ein Paar Socken. Das sind nur einige Beispiele von vielen für eine neue klein strukturierte Wollverwertung. Düngepellets sollte man nur aus verschmutzter und minderwertiger Schafwolle machen, der Rohstoff ist eigentlich zu schade dafür.
China will kaum noch deutsche Wolle
Die deutsche Wolle ist jahrzehntelang nach Asien verkauft worden, vor allem nach China. Dort wurde sie gewaschen und weiterverarbeitet, zum Teil in feinere Wollen gemischt. Daraus wurden dann zum Beispiel Pullover und Jacken, Strickgarn, Teppiche und Matratzen. Doch China kauft seit ein paar Jahren kaum noch deutsche Wolle. Der Grund dafür ist nicht klar; die Nachfrage ist schon vor der Corona-Pandemie eingebrochen.
Die Firmen, die in Deutschland Wolle verarbeiten, beispielsweise Strickgarn spinnen, Wollstoffe herstellen und Filze produzieren, arbeiten meist mit Schafwolle aus Übersee. Die Schäfer bekommen für die Wolle derzeit verschiedenen Markbeobachtern zufolge rund 60 Cent für das Kilo Rohwolle - wenn sie überhaupt jemanden finden, der sie kauft. Vor ein paar Jahren lag der Wollpreis noch bei 1,80 Euro. Und ganz früher war der Wollabsatz die Haupteinnahmequelle für den Schäfer. Heute kostet allein das Scheren deutlich mehr, als die Wolle einbringt. Warum tut sich die deutsche Wolle so schwer auf dem Markt?
Die Wollqualität im Fokus
Neue Absatzwege für die einheimische Wolle. Das ist das Ziel eines Forschungsprojekts, finanziert vom Ministerium für den Ländlichen Raum in Stuttgart und dem Landwirtschaftsministerium in München. Prof. Wilhelm Pflanz von der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf leitet das Projekt. Unter locwool.de (für "lokale Wolle") betreibt er Imagepflege für die Wolle. Die Plattform soll einen Treffpunkt bilden für Schäfer, Verarbeiter und Konsumenten. Und die Vermarktung ankurbeln. Da gibt es noch einiges zu tun.
Einheimische Wolle ist nämlich nicht so fein wie Wollen aus Neuseeland, Australien und Südamerika zum Beispiel. Das liegt daran, dass viele Schäfer hierzulande bei der Zucht zu wenig auf die Wollqualität schauen. Nicht verwunderlich, denn für die Wolle gibt es ja kaum Geld. Mit dem Fleisch machen die Schäfer mehr Geschäft. Und mit den Zahlungen, die sie von staatlichen Stellen dafür bekommen, dass ihre Schafe die Landschaft pflegen und die Artenvielfalt fördern.
Ganz feine Wolle gibt's nur vom Schönwetterschaf
Die Schäfer sollten also mehr Augenmerk auf die Wollfeinheit richten - mit Augenmaß. Denn zu fein ist auch wieder nichts. Mit einer so feinen Wolle, wie sie die Merinoschafe in Neuseeland, Australien und Südamerika haben, müssten die einheimischen Schafe bei anhaltendem Regenwetter im Stall bleiben. Das wäre alles andere als artgerecht. Mit Schönwetterschafen könnte man darüber hinaus keine Landschaft pflegen und keine artenreichen Wiesen erhalten. Aus der deutschen Wolle kann man keine Unterwäsche und keinen feinen Schal machen, aber gröbere Pullis, Jacken, Socken, kuschelige Wolldecken, Betten, Matratzen, Teppiche und zum Beispiel Raumteiler.
Aber die Rauheit der Wolle ist nicht das Hauptproblem. Dass sie sich so schwer vermarkten lässt, liegt an einem gravierenderen Defizit. Es fehlt an größeren Mengen mit einheitlich guter Qualität. Saubere, also nicht mit Silage, Heu und Klettensamen verschmutzte Wolle, die farblich penibel sortiert worden ist. Und nicht vom Schäfer versaut. Kommt es doch immer wieder vor, dass Schafe mitten auf dem Rücken mit Signalfarbe markiert sind - dort, wo die wertvollste Wolle ist.
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