Ein Wahlkreis weniger in Sachsen-Anhalt, einer mehr in Bayern. So steht es in der neuen Version des Bundeswahlgesetzes, über das der Bundestag am Donnerstagnachmittag abstimmt. Dieser Neuzuschnitt ergibt sich aus der Bevölkerungsentwicklung: In Sachsen-Anhalt leben weniger Menschen, in Bayern mehr.
- Zum Artikel: Ampel-Reform - Ein neuer Wahlkreis für Bayern
Wahlkreise sollten immer einigermaßen gleich groß sein, also gleich viele Wählerinnen und Wähler repräsentieren. Nur so ist sichergestellt, dass jede Stimme gleich viel wert ist. Abweichungen um bis zu 15 Prozent von der durchschnittlichen Bevölkerungszahl in einem Wahlkreis werden momentan toleriert. Das Bundeswahlgesetz sieht aber vor, Wahlkreise neu zuzuschneiden, wenn die Bevölkerungszahl um mehr als 25 Prozent abweicht. Und genau das passiert jetzt.
Neuer Wahlkreis Memmingen-Unterallgäu
In Schwaben soll der neue Wahlkreis "Memmingen-Unterallgäu" entstehen. Er setzt sich aus Teilen der bisherigen Wahlkreise Augsburg-Land, Neu-Ulm und Ostallgäu zusammen. Vorbereitet werden solche Vorschläge von der Wahlkreiskommission. Sie erstellt regelmäßig Berichte, unter anderem zur Größe der Wahlkreise, macht aber keine konkreten Vorschläge zum Zuschnitt.
Die Kommission ist ein unabhängiges Sachverständigengremium, das die Wahlkreise für die nächste Bundestagswahl vorbereitet. Die sieben Fachleute werden vom Bundespräsidenten eingesetzt. Vorsitzende ist die Bundeswahlleiterin Ruth Brand. Sie ist die Präsidentin des Statistischen Bundesamts in Wiesbaden. Weitere Mitglieder sind unter anderem ein Richter des Bundesverwaltungsgerichts und ein Ministerialrat des bayerischen Innenministeriums.
Die Wahlkreiskommission trifft keine Entscheidungen, das macht der Bundestag. Es ist ein übliches Verfahren, das vor jeder Bundestagswahl so stattfindet. Es ist gesetzlich vorgeschrieben und läuft meist geräuschlos ab. Nur dieses Mal nicht.
Merz spricht von "Wahlrechtsmanipulation"
Denn CDU-Chef Friedrich Merz zieht dieses eingeübte Verfahren jetzt in Zweifel. Beim Kurznachrichtendienst "X" (früher Twitter) verbreitet er folgendes Statement: "Wahlrechtsmanipulation hat dazu geführt, dass die Demokratie in Amerika nicht mehr richtig funktioniert. Die Ampel-Koalition macht jetzt in Deutschland genau dasselbe. Damit wird unserer Demokratie großer Schaden zugefügt. Ich bedauere das sehr."
Wahlkreisschiebungen wie in den USA?
Merz spielt auf das "Gerrymandering" in den USA an. Politikwissenschaftler meinen damit die Verschiebung von Wahlkreisgrenzen aus parteitaktischem Kalkül, um die eigenen Erfolgsaussichten bei einer Wahl zu erhöhen.
Was Merz bei seiner Kritik vergisst: In einem Mehrheitswahlsystem wie in den USA, wo der Gewinner alle Stimmen erhält und der Verlierer leer ausgeht, kann das deutliche Konsequenzen haben. Im deutschen Wahlsystem mit seiner Kombination aus Direktkandidaturen und Landeslisten wären die Effekte insgesamt begrenzt.
Aber auch CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt spricht von einem "Gipfel der Dreistigkeit". Nach seinen Worten geht es nicht um eine fachliche Betrachtung, sondern um den "Machterhalt der Ampel". Belege dafür haben Merz und Dobrindt bisher nicht vorgelegt.
Empörung bei der Ampel
Dass Merz von "Wahlrechtsmanipulation" spricht, löst bei Politikern der Ampelkoalition Empörung aus. FDP-Parlamentsgeschäftsführer Johannes Vogel schreibt bei X: "Das Vertrauen in Wahlen zu beschädigen, ist Gift für unsere Demokratie." Vogel weist den Vorwurf zurück, aus parteitaktischem Kalkül die Wahlkreise neu zuzuschneiden. Die Ampel setze allein die Vorschläge der Bundeswahlleiterin um.
Wahlkreis für Claudia Roth?
Der Grünen-Wahlrechtsexperte Till Steffen kontert einen weiteren Vorwurf der Union. Die Union befürchtet offenbar, dass sich die Chancen der CSU durch den Neuzuschnitt verschlechtern, und dass Kulturstaatsministerin Claudia Roth diesen Wahlkreis gewinnen könnte. Roths Parteifreund Steffen weist darauf hin, dass die Grünen-Politikerin über die Landesliste in den Bundestag eingezogen ist und damit gar keinen eigenen Wahlkreis hat. Bei der Bundestagswahl 2021 holte der CSU-Abgeordnete Volker Ullrich das Direktmandat im Wahlkreis Augsburg-Stadt. Die Union befürchtet offenbar, dass sich ihre Chancen durch den Neuzuschnitt verschlechtern.
Wie Steffen bei X weiter schreibt, hat die Ampel die Union zu Gesprächen über den Neuzuschnitt der Wahlkreise eingeladen. Die CSU habe aber alle Vorschläge abgelehnt. "Es ist also alles ein durchsichtiges Manöver", so der Grünen-Bundestagsabgeordnete.
Änderung zielt auf langfristige Lösung ab
Bisher ist nicht zu erkennen, dass sich die Bundeswahlleiterin beim Neuzuschnitt der Wahlkreise von Parteipolitik leiten ließ. Im Gesetzentwurf ist der Neuzuschnitt in Schwaben so begründet: "Die nun vorgesehene Lösung vermeidet eine Aufteilung des Landkreises Augsburg auf eine größere Zahl an Wahlkreisen als bisher." Die Größe der Wahlkreise weicht demnach nur geringfügig von der Durchschnittsgröße ab. So müsse der Zuschnitt nicht schon wieder geändert werden, wenn sich die Bevölkerungszahl verändert.
Bisher war die Diskussion über das Wahlrecht überwiegend von solchen fachlichen Argumenten geprägt. Mit Blick auf die Bundestagswahl 2025 könnte sich das ändern.
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