Alte Lebensmittel stehen in einer Messie-Wohnung. Fliegen krabbeln darauf herum.
Bildrechte: BR/Melina Eisemann
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Manche Messies sammeln auch Lebensmittel.

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"Beim fünften Toaster könnt' ich nachdenken" - Hilfe für Messies

"Beim fünften Toaster könnt' ich nachdenken" - Hilfe für Messies

Messies – da erscheinen sofort Bilder im Kopf. Vermüllte Wohnungen, Dreck, Verwahrlosung. "Pathologisches Horten" ist eine psychische Erkrankung. In Rosenheim gibt’s eine Fachberatung. Wer Hilfe braucht, kann sich jederzeit dort melden.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Oberbayern am .

Besuch bei Thomas Huber (Name wurde geändert, Anm. der Redaktion): Gemeinsam mit Robert Birk von der Fachstelle für pathologisches Horten bei der Diakonie Rosenheim darf ich die Wohnung betreten. Das ist ein großer Vertrauensbeweis. Denn Menschen mit der Erkrankung "pathologisches Horten" lassen quasi keinen in ihre Räume. Zu groß ist die Scham.

Die Wohnungstür geht gerade so auf. Es gibt einen schmalen Gehweg zum völlig zugebauten Bett in die eine Richtung, zur Nasszelle in die andere. Sonst steht alles voll. Bananenkisten stapeln sich bis zur Decke. Auf den Schränken liegen Bretter, Gebasteltes. Leere Pfandflaschen und Dosen stehen herum, es stinkt nach vergammelten Lebensmitteln. Kleine Fliegen und Wespen surren durch die Wohnung.

"Ich brauche einen Plan B"

In all diesen Kisten seien Dinge, die ihm wichtig sind, erklärt mir Thomas Huber. Die seinen Betrieb am Laufen halten, wie er es ausdrückt. Allerdings habe er eine Neigung zur Redundanz, er brauche einen Plan B. Die Angst davor, dass sein Toaster aus dem Sozialkaufhaus am Wochenende den Geist aufgibt, ist groß. Also findet er einen zweiten Toaster wichtig: "Beim drittem, vierten, fünften könnt' man vielleicht mal nachdenken", sagt er.

Geprägt von den Weltkriegen

Hubers Eltern waren beide von den Weltkriegen geprägt und haben ihrem Sohn eingebläut: Es gibt keinen Müll. Er war schon immer ein Sammler, erzählt er mir. Thomas Huber ist belesen und gebildet. Nach dem Abitur hat er ein Medizinstudium begonnen. Dann folgten mehrere Schicksalsschläge: Trennung von der Mutter seiner beiden Söhne, Tod der Eltern, Verlust des Elternhauses. Er hat immer mehr gesammelt, um weitere Verluste zu vermeiden.

Huber war arbeitslos, kurz vor der Obdachlosigkeit, in diversen Einrichtungen untergebracht, immer wieder in Therapie, um seine psychischen Probleme in den Griff zu bekommen. Jetzt unterstützt ihn neben anderen auch Robert Birk von der Fachstelle für Pathologisches Horten bei der Diakonie Rosenheim.

Huber ist bei weitem nicht der einzige Betroffene, so Birk. Er betreue Frauen und Männer, jedes Einkommen sei dabei. Er habe viele Klienten mit Vermögen, auch Immobilienvermögen. Das gemeinsame Problem aller Betroffenen sei die Desorganisation. Im Inneren und - nicht immer - auch im Äußeren. Sprich: Sie haben keine geregelten Tagesabläufe, fühlen sich schnell überfordert, wissen nicht, wie sie mit herausfordernden Situationen umgehen sollen, tun sich mit Entscheidungen schwer. Daraus folgend seien meist viele andere Probleme. Zu denen, die sie oft davor schon hatten.

Die Scham ist enorm

So auch bei – nennen wir sie – Annemarie Schuster. Ihre Erkrankung ist ihr so peinlich, dass sie mir auf keinen Fall ihr Haus zeigen möchte. Selbst im Interview gibt sie nur vage Dinge preis, zu groß ist die Scham. Bücher sammelt sie, Schriftstücke, Erinnerungen an ihre Eltern, Vasen, Tassen. Das ganze Elternhaus, in dem sie jetzt wohnt, ist voll.

Vor gut acht Monaten hat sie sich an Robert Birk gewandt. Sie wusste, dass sie Hilfe braucht. Seither geht’s in kleinen Schritten voran, sie arbeiten sich gemeinsam von Ecke zu Ecke, erzählt Birk. Nicht von Raum zu Raum. Denn Hauruck-Aktionen seien gefährlich und nicht zielführend. Viel wichtiger sei es, der Ursache für das pathologische Horten auf den Grund zu gehen. Zusätzlich zur Arbeit mit Robert Birk sei beispielsweise auch eine Psychotherapie für die Betroffenen im Angebot.

Ab wann ist es krankhaft?

Jeder, so Robert Birk, auch er, habe eine Gruschel-Schublade oder eine Abstellkammer oder Werkstatt, die nicht so toll aufgeräumt sind. Pathologisch, also krankhaft, wird das Sammeln dann, wenn man selbst und/oder Dritte darunter leiden. Also Vermieter, Nachbarinnen, Freunde, die Familie. Und: Wenn der oder die Betroffene das Gefühl hat, der Sache selbst nicht mehr Herr zu werden.

Wer Beobachtungen bei sich selbst oder anderen macht, kann sich jederzeit an die Fachstelle in Rosenheim wenden.

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