Nach BR-Berichten zu mutmaßlichen Missständen in der Justizvollzugsanstalt Kaisheim will die Politik nun die Vorwürfe aufarbeiten. Die CSU-Landtagsabgeordnete Tanja Schorer-Dremel, die dem Anstaltsbeirat vorsitzt, hat für nächste Woche eine außerordentliche Beiratssitzung bei der Anstaltsleitung eingefordert. Ihr sei es sehr wichtig, dass diese schwerwiegenden Vorwürfe genau geprüft und restlos aufgeklärt würden. Das fordert auch der Donau-Rieser Anstaltsbeirat und CSU-Landrat Stefan Rößle. Dass in der JVA immer wieder Drogen gefunden werden, wisse er. Dennoch müsse man hier wohl mehr tun, in Sachen Therapie oder Beratung.
Landrat: Beamtinnen und Beamten machen "knallharten Job"
Unterdessen stellt sich der Landrat ganz klar hinter die Justizvollzugsbeamtinnen und -beamten: Sie hätten einen knallharten Job, der "wichtig und schwierig" sei. Schließlich seien in der JVA Straftäter mit langjährigen Haftstrafen untergebracht. Die bayerische Grünen-Chefin Eva Lettenbauer, die ebenfalls im Anstaltsbeirat sitzt, fordert ein Umdenken in der JVA Kaisheim. Der Fokus müsse mehr auf Resozialisierung, also Ausbildungsmöglichkeiten, Beschäftigung und Sozialarbeit liegen als auf Verwahrung. Alle Gefangenen kämen wieder raus, zurück in die Gesellschaft. Darauf müssten sie vorbereitet werden, das diene auch der inneren Sicherheit in Bayern. Wenn das in Kaisheim gelebt und kommuniziert würde, dann könnte sich auch schon viel bessern, sagt Lettenbauer.
Der Anstaltsbeirat hat die Aufgabe, die Anstaltsleitung zu beraten und Anregungen zu geben. Entscheiden kann der Beirat nichts. Er betreut die Justizvollzugsanstalten in Kaisheim, Neuburg a.d. Donau, Ingolstadt und Eichstätt und besteht aus 20 Personen. Vertreten sind Mitarbeitende der jeweiligen Haftanstalten, Vertreter der Politik, der Polizei, aber auch der Agentur für Arbeit oder des Bayerischen Roten Kreuzes. Normalerweise tagt der Beirat ein oder zwei Mal im Jahr.
Ministerium: Drogen- und Handyschmuggel nicht zu verhindern
Das Ministerium schreibt in einer Stellungnahme, trotz umfangreicher Maßnahmen lasse es sich nicht verhindern, dass Handys oder Drogen in die bayerischen Gefängnisse geschmuggelt würden. Ein moderner, behandlungsorientierter Strafvollzug lasse eine hermetisch abgeschlossene Unterbringung der Gefangenen ohne jeden Kontakt zur Außenwelt aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht zu. So gebe es Lieferverkehr, außerdem hätten Besucherinnen und Besucher sowie Anwältinnen und Anwälte Kontakt zu den Insassen. Auch gebe es Schriftverkehr. Ein neues Verfahren, Häftlinge mit Drogen zu versorgen, sei es, Papier mit synthetischen Drogen zu tränken, das dann geraucht werde. Bei Kontakten zur Außenwelt bestehe die Möglichkeit, dass diese dazu missbraucht würden, Mobiltelefone und Drogen in die Justizvollzugsanstalten zu schmuggeln.
Dies könne auch durch Bedienstete der JVAen erfolgen: "Bei rund 6.000 Bediensteten kann leider nicht vollständig verhindert werden, dass ein einzelner Mitarbeiter kriminelle Energie aufwendet, um die Vorschriften und Sicherheitsvorkehrungen zu umgehen", heißt es in einer Stellungnahme des Ministeriums. Es handle sich dabei aber um Einzelfälle und kein strukturelles Problem. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verrichteten ihren herausfordernden Dienst zuverlässig und loyal. Durchsuchungen der Bediensteten fänden in Bayern nicht statt. Dies würde ein "in keiner Weise gerechtfertigtes Klima des Misstrauens" schaffen, so das Ministerium.
50 externe Drogenberater für 36 Justizvollzugsanstalten in Bayern
Häftlinge hatten außerdem kritisiert, in Kaisheim sei es schwierig, in das Substitutionsprogramm aufgenommen zu werden, also Drogenersatzstoffe zu bekommen. Das Ministerium hat hier keine Anhaltspunkte, dass die Entscheidung, wer substituiert werde und wer nicht, in der JVA Kaisheim nicht nach den geltenden Regelungen getroffen werde. Anwälte und Häftlinge hatten kritisiert, dass zu wenige Gefangene mit Drogenersatzstoffen versorgt würden. Auch deshalb floriere in Kaisheim der Drogenhandel besonders, so die Meinung von Häftlingen.
Bayernweit finanziere der Freistaat 50 externe Mitarbeiter, die Süchtige in den Gefängnissen beraten. In Bayern gibt es 36 Haftanstalten und sechs Jugendarreste, in denen etwa 8.600 Gefangene untergebracht sind, von denen Statistiken zufolge gut die Hälfte ein Drogenproblem hat.
Nur gut die Hälfte der Gefangenen in Bayern arbeitet in Haft
Nur etwa die Hälfte der bayerischen Gefangenen arbeitet in Haft. Dabei sieht das Bayerische Strafvollzugsgesetz eigentlich vor, dass Gefangene arbeiten sollen. Kaisheim liegt laut Ministerium mit 48,6 Prozent arbeitenden Gefangenen noch leicht unter dem bayernweiten Schnitt von 54,6 Prozent. Wie viele Gefangene einer Arbeit nachgingen, hänge auch von der "Gefangenenstruktur" in den jeweiligen Haftanstalten ab – also welche Straftäter wie lange dort einsäßen.
Dem Anstaltsleiter in Kaisheim zufolge sind dort nicht alle Stellen besetzt. Denn immer weniger Häftlinge seien geeignet zu arbeiten, weil sie keine Ausbildung hätten, weil sie drogenabhängig oder psychisch nicht dazu in der Lage seien. Das bayerische Justizministerium betont des Weiteren, die Resozialisierung von Gefangenen sei zentrale Aufgabe des bayerischen Justizvollzugs, man unternehme hier große Anstrengungen und tätige hohe Investitionen. Allerdings sitzt Zahlen des Ministeriums zufolge etwa jeder dritte Straftäter mehrfach hinter Gittern.
Ex-Häftlinge bestätigen Vorwürfe
Auf die Berichterstattung hin meldeten sich auch mehrere Ex-Häftlinge beim Bayerischen Rundfunk und bestätigten die Vorwürfe. Auch sie berichteten von dem Problem, dass Entscheidungen in der JVA oft nicht nachvollziehbar seien, und es oft sehr lange dauere, bis Anträge bearbeitet würden. Damit werde die Vorbereitung auf die Zeit nach der Haftentlassung oft erschwert. Der Vollzugsabteilung des Staatsministeriums der Justiz liegen hierzu laut Mitteilung keine Anhaltspunkte vor.
Auch online wurde über die Vorwürfe kontrovers diskutiert: Von "Wer mehrmals gegen Gesetze verstoßen hat, muss halt mal dafür büßen" bis hin zu Forderungen nach mehr Resozialisierungsmaßnahmen. Es gehe darum, ob eine solche Behandlung geeignet sei, zukünftige Straftaten zu verhüten. "Denn das ist doch das Interesse von uns allen", schreibt ein User. Auch mehr Arbeits- und Bildungsmöglichkeiten werden in den Kommentaren gefordert, außerdem mehr Hilfe für Drogensüchtige: "Ja, das Gefängnis soll durch Freiheitsbeschränkungen strafend wirken. Aber wenn die Menschen drogensüchtig entlassen werden, gehen die Probleme doch danach weiter", so ein Kommentator.
Zum Artikel: Freiheit nach langer Haft: Wie gelingt die Rückkehr ins Leben?
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!