Josef Wiesheu erinnert sich noch gut an den Moment, als der Brief kam. In einem Schreiben vom Landratsamt Freising wurde dem Landwirt mitgeteilt, dass die Deutsche Bahn AG in den Besitz eines seiner Grundstücke eingewiesen worden sei. Etwa ein Jahr ist das her, seitdem fehlt dem 76-Jährigen eine seiner wichtigsten Flächen.
Enteignung: zum Wohl der Allgemeinheit erlaubt
Denn was auf Amtsdeutsch "vorzeitige Besitzeinweisung" heißt, bedeutet nichts anderes als Enteignung durch den Staat. Laut Grundgesetz ist diese erlaubt, wenn sie dem Wohl der Allgemeinheit dient. "Ich habe das erst für unmöglich gehalten", erzählt Wiesheu im BR-Politikmagazin "Kontrovers". "Aber nach Wochen oder Monaten dieser Geschichte wird mir immer mehr bewusst, dass ich ohnmächtig gegen diesen Beschluss bin."
Größte Bisonherde Deutschlands existenzbedroht?
Wiesheu ist Bisonzüchter. Seine Herde steht in Sickenhausen im Landkreis Freising und ist mit 60 Tieren die größte in ganz Deutschland. Auf dem Stück Land, das ihm genommen wurde, hat er kanadische Gräser mit wenig Eiweiß und Klee für seine Bisons angebaut.
"Wir haben da das beste Heu gemacht und für die Bisons ist das total notwendig", sagt er. Deshalb habe er die Fläche nicht verkaufen wollen. Doch nun bricht ihm ein Zehntel des Jahresfutters weg. Wiesheu fürchtet um seine Existenz.
Grundstück soll als Ausgleichsfläche verwendet werden
Warum er so schnell enteignet wurde, versteht der Landwirt bis heute nicht. Ihm wurde mitgeteilt, die Deutsche Bahn AG benötige sein Grundstück für ihr Bauvorhaben "Erdinger Ringschluss", welches die S-Bahn-Anbindung an den Münchner Flughafen verbessern soll. Doch das Stück Land liegt etwa 15 Kilometer davon entfernt, in der Umgebung gibt es weder Schienen noch Stellwerke.
Auf Nachfrage erfährt Wiesheu, dass die Bahn das Grundstück als Ausgleichsfläche braucht. Denn für jede Fläche, die das Unternehmen durch Baumaßnahmen versiegelt, ist sie verpflichtet, eine andere Fläche bereitzuhalten.
Bahn äußert sich nicht zu Hintergründen
Warum für dieses Vorhaben ausgerechnet Wiesheus Grundstück benötigt wird, beantwortet die Bahn auf Anfrage von "Kontrovers" nicht. "Wir waren in intensivem Austausch mit Herrn Wiesheu, um eine einvernehmliche Lösung zu finden. Leider ist dies nicht gelungen", schreibt das Unternehmen. "Wir bitten jedoch um Verständnis, dass wir Vertrags- oder Grundstücksangelegenheiten nicht öffentlich erörtern und äußern uns daher nicht weiter."
Bisonzüchter wird finanziell entschädigt
Für das enteignete Grundstück muss die Bahn den Landwirt finanziell entschädigen. Doch Wiesheu glaubt nicht, dass er ein geeignetes Ersatzland für den Anbau des benötigten Tierfutters findet. "Das geht nicht von heute auf morgen", sagt er. Deshalb hat der Züchter versucht, der Bahn eine andere Ersatzfläche anzubieten und Behörden, Rechtsanwälte und Politiker kontaktiert. Doch seine Anläufe blieben erfolglos.
Mittlerweile ist auf dem Grundstück die gesamte Wiese mitsamt Mutterboden entfernt worden. Sie soll einer Naturschutzmaßnahme weichen.
Dieser Artikel ist erstmals am 26.9.2024 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
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