Um sieben Uhr am Morgen heißt es für die Grünen-Politikerin Jamila Schäfer: Erstmal umziehen. Im Kuhstall von Martin Stadler steigt sie in Gummistiefel, die nicht ihre sind, und wirft sich einen Arbeitskittel über. Auch der gehört ihr nicht. Nebenan warten schon 70 Milchkühe darauf, dass ihre Stallplätze gesäubert werden. Und das ausgerechnet von Jamila Schäfer, die doch eigentlich gerade für den Bundestag kandidiert. Was heute passiert, hat nichts mit dem Leben der 28-Jährigen aus München zu tun. Heute muss sie ihre politischen Absichten einem Reality-Check unterziehen.
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Politik an der Realität vorbei?
Wie gut kennen die bayerischen Bundestagskandidatinnen und –kandidaten die Realität der Menschen, die sie im Bundestag vertreten wollen wirklich und was taugen ihre Wahlversprechen? Für die sechsteilige Serie "Reality-Check" des BR-Politikmagazins Kontrovers stellen sich dieser Herausforderung bis zur Wahl pro Woche zwei Kandidaten der Parteien, die schon im Bundestag vertreten sind. In den ersten beiden Folgen werden Jamila Schäfer (B‘90/Die Grünen) und Anja Weisgerber (CSU) mit den täglichen Herausforderungen ihrer potentiellen Wähler und ihren Sorgen konfrontiert.
Die Grüne auf dem konventionellen Bauernhof
Die 28-jährige Jamila Schäfer ist stellvertretende Bundesvorsitzende der Grünen und kandidiert für den Bundestag. Für sie stellt die konventionelle Landwirtschaft einen Faktor dar, der wesentlich mit dem Artensterben verknüpft ist. "Natürlich ist es schon so, dass die industrielle Landwirtschaft - das haben sich die Grünen nicht ausgedacht, das ist physikalisch so, ein wesentlicher Faktor für das Artensterben ist," so Schäfer. "Da muss man schauen, wie bekommt man die Landwirtschaft gemeinsam so gestaltet, dass die Artenvielfalt nicht bedroht wird."
Grüne Politikerin auf konventionellem Bauernhof - geht das gut?
Was weiß die Städterin vom Land?
Aber ob gerade eine Politikerin aus der Stadt genug über das Leben als Landwirt weiß? Eher nicht, glaubt Landwirt Martin Stadler: "Da bekomme ich manchmal richtige Wut. Weil es viel schwieriger ist, alles umzustellen und alles anders zu machen, als die sich das vorstellen." Er befürchtet von der Politik der Grünen zu viel Aktionismus und neue Vorschriften.
Gemeinsam mit seiner Frau Monika führt er eine konventionelle Landwirtschaft und engagiert sich sowohl im Bauernverband als auch in der CSU. Am liebsten möchte er die Grünen-Politikerin davon überzeugen, dass die Landwirtschaft eben nicht alles falsch macht. Darum muss Schäfer einen Tag lang auf dem konventionellen Bauernhof von Familie Stadler mitarbeiten. Und die Landwirte sorgen dafür, dass ihr nichts erspart bleibt: Schäfer muss überall mit anpacken. Familie Stadler aus dem Münchner Süden lässt sie Kuhmist schaufeln und bei der Kartoffelernte helfen. Doch - wer kann am Ende wen überzeugen?
CSUlerin mit Corona-Regeln konfrontiert
Sie wird sportliche Kleidung brauchen - mehr weiß die CSU-Bundestagsabgeordnete Anja Weisgerber noch nicht, als sie das Tablet mit der Videobotschaft von Thomas Weinhold erhält. Einen Tag lang wird sie ein Praktikum machen in seinem Fitnessstudio in Zeil am Main.
Die Pandemie macht dem Studio-Chef noch immer zu schaffen. Über 200 Mitglieder hat er während der Pandemie und den insgesamt zehn Monaten Lockdown verloren. Jetzt dürfen seine Kunden zwar wieder Sport treiben, aber die Bürokratie der Kontaktnachverfolgung, ebenso wie die 3G-Regeln und erst die Hygienemaßnahmen sind aufwendig. Thomas ist von der CSU enttäuscht: "Wo ich damals aufgemacht hab', war ich auch CSUler. Aber ich bin von der Schiene leider weg, weil sie uns zu arg im Stich gelassen hat."
Gut, dass er heute tatkräftige Unterstützung der CSU-Bundestagsabgeordneten hat - die Corona-Politik, die Weisgerber mitgetragen hat, wird sie hier komplett umsetzen müssen. Dazu gehört natürlich auch: Alle Oberflächen zu desinfizieren und sich über Sinn und Unsinn so mancher Regel nochmal Gedanken machen zu müssen. Ob die Bundestagsabgeordnete es schafft, das Vertrauen von Thomas zurückzugewinnen?
Ein Tag im Fitnessstudio für die CSUlerin
So funktioniert das TV-Format
Einen Tag lang tauchen Vertreterinnen und Vertreter der Parteien CSU, B‘90/Grüne, SPD, AFD, FDP und Linke in die Welt ihrer potentiellen Wähler: Sie müssen mit anpacken oder den Job sogar gleich ganz übernehmen. Dabei werden sie unter anderem eine komplette Schicht als Pflegekraft arbeiten oder alle Aufgaben eines Landwirts erfüllen müssen. Und zwar bei Menschen, die sich von den jeweiligen Politikern überhaupt nicht verstanden oder vertreten fühlen.
Wohin und zu wem es sie genau verschlagen wird, erfahren sie erst während der Dreharbeiten. Kann eine Seite die andere überzeugen? Oder können vielleicht sogar gemeinsame Lösungen für die realen Probleme der potentiellen Wählerinnen und Wähler erarbeitet werden?
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