Im vorigen Jahr gab es rund 79.000 Wildunfälle in Bayern. Solche Ereignisse nehmen die meisten Betroffenen emotional stark mit. Verletzte Rehe schreien oft "wie kleine Kinder", erzählt Polizist Christian Pongratz. Polizei und Jäger müssen dann oft Menschen beruhigen, die großes Mitleid mit den schwerverletzten Tieren haben und sich schuldig fühlen.
Auch jetzt im Juni hohe Wildunfall-Gefahr
Die meisten glauben, dass Wildunfälle nur in der Balzzeit der Tiere passieren, also im Frühjahr und Herbst. Doch auch im Sommer sind sie häufig, sagt Thomas Hausladen, Vorsitzender der Jägerkameradschaft Cham. Grund sind zum Beispiel die jetzt im Juni abgemähten Wiesen: "Dann fehlen den Tieren plötzlich Einstands- und Äsungsflächen und sie suchen sich neue. Außerdem haben viele Tiere momentan Junge und sind auf der Suche nach Nahrung viel stärker unterwegs", erklärt der Jäger.
Ähnlich ist die Lage in der Erntezeit der Felder. Dazu kommt der erhöhte "Freizeitdruck": Spaziergänger und freilaufende Hunde können Wildtiere aufschrecken und panikartige Fluchten auslösen, beobachtet Thomas Hausladen: "Sonntagabend gibt es bei uns immer besonders viele Wildunfälle." Generell passieren die meisten Wildunfälle in der Morgen- und Abenddämmerung. Aber auch darauf ist nicht immer Verlass.
Was tun bei einem Wildunfall?
Am häufigsten kracht es, wenn Reh-, Rot- oder Damwild über die Fahrbahn läuft. Aber auch andere Wildtiere kommen unter die Räder: zum Beispiel Füchse, Dachse, Hasen, Wildschweine oder Greifvögel.
Wenn plötzlich ein Wildtier auf die Fahrbahn läuft, ist der Schrecken groß. Viele Verkehrsteilnehmer versuchen dann, dem Tier noch auszuweichen. Doch das ist falsch, erklärt Christian Pongratz, Leiter der Polizeiinspektion Bad Kötzting: "Man soll das Lenkrad mit beiden Händen festhalten und keine Ausweichbewegungen machen, weder zur Fahrbahnmitte noch zum Straßenrand. Denn dann ist die Gefahr noch größer, dass man schwerer verunglückt."
Wichtig ist, "auf der Fahrbahn zu bleiben und nur kontinuierlich ruhig runter zu bremsen", sagt der erfahrene Polizeibeamte, dem vor Kurzem selbst ein Damhirsch aus dem hohen Gras vor das Auto gesprungen ist. Wer bei solchen Unfällen hektisch ausweicht, vielleicht noch bei hoher Geschwindigkeit, der kann am nächsten Baum oder im Gegenverkehr landen.
Unfallmeldung ist Pflicht
Wer einen Wildunfall hat, muss ihn bei der Polizei melden. Das hat auch den Vorteil, dass man eine Wildunfall-Bescheinigung bekommt. Die Teilkaskoversicherung zahlt Unfallschäden mit Haarwild. Der Anruf bei der Polizei ist außerdem wichtig, weil das tote Wildtier von der Fahrbahn entfernt werden muss. Denn auch kleinere Tiere wie ein überfahrener Hase können zum Beispiel für Motorradfahrer lebensgefährlich werden. Das Tier einfach mitnehmen, ist Jagdwilderei und damit eine Straftat.
Besonders wichtig ist es, der Polizei die genaue Unfallstelle zu nennen, am besten mit den GPS-Daten aus dem Handy. Polizei und Jäger raten, die Stelle zu markieren, bevor man wegfährt, zum Beispiel mit einem gut sichtbaren Gegenstand aus dem Erste-Hilfe-Kasten. Grund ist die oft mühsame "Nachsuche", die nach einem Wildunfall der zuständige Jagdpächter übernimmt. Er kümmert sich, wenn ein Tier schwerverletzt geflüchtet ist. Er muss es dann im Gelände suchen und gegebenenfalls waidgerecht töten.
Verletzten Tieren selbst helfen zu wollen, kann gefährlich werden, weil die Tiere sich bedroht fühlen und sich dann oft wehren. Der Polizeibeamte Christian Pongratz, selbst Jäger, rät bei verletzten Wildschweinen, die sehr aggressiv werden können, keinesfalls auszusteigen.
Helfen Wildwarn-Apps und Schilder?
Apps, die Wildwechsel mit einem Warnton auf dem Handy oder dem Navi anzeigen, sind sinnvoll, ebenso Verkehrszeichen, die vor Wildwechsel warnen. Aber man wird schnell "betriebsblind" dafür. Eine andere Möglichkeit: das Wild vor der Straße zu warnen, mit Duftzäunen zum Beispiel. Auch das Ausmähen der Seitenstreifen kann die Zahl von Wildunfällen senken, so das bayerische Innenministerium.
Thomas Hausladen hält einiges von blauen Wildwarnreflektoren, wie sie zum Beispiel im Landkreis Cham Jäger auf eigene Kosten an Leitplanken montieren. Auf einem Abschnitt der Bundesstraße 20 haben sich die Wildunfälle im ersten Jahr nach der Montage halbiert, sagt er. Aber ob der Erfolg dauerhaft ist oder sich das Wild daran gewöhnt, müsse man abwarten.
Wildzäune helfen nur bedingt
Am meisten Schutz bieten durchgehende Wildzäune, wie es sie zum Beispiel an Autobahnen gibt. Aber sie sind teuer und auch kein Allheilmittel. Erstens müssen sie an Ein- und Ausfahrten unterbrochen werden. Zweitens gefährden panische Wildtiere, die zufällig auf die andere Zaunseite gelangen, den Verkehr noch stärker, weil sie nicht mehr rauskommen.
Würde es Wildzäune überall geben, könnten die Tiere außerdem nicht mehr wandern und sich genetisch austauschen. Man bräuchte dann also genügend Wildbrücken zum Überqueren der Straßen für die Tiere. Das kostet viel Geld.
Mehr Bewusstsein für Wildunfälle beim Fahren
Ebenso wichtig wie alle Wildschutzmaßnahmen ist es, so Polizei, Jäger und Behörden, dass Verkehrsteilnehmer immer mal wieder an die Möglichkeit eines Wildunfalls denken. Das ist im Alltag und vor allem auf gewohnten Strecken schwierig. Aber bei Wildwechsel-Schildern oder in Situationen, in denen sich die Warn-App meldet, muss man tatsächlich runter vom Gas und die Straßenränder beobachten.
Polizist Christian Pongratz erklärt: "Wenn man ein Wildtier am Straßenrand sieht, sollte man auch dran denken, dass meistens mehrere unterwegs sind. Also bremsbereit sein, langsam fahren, das Licht abblenden, eventuell auch hupen, um die Tiere zu warnen."
Zahl der Wildunfälle ist nach wie vor hoch
2023 ist die Zahl der Wildunfälle in Bayern leicht gesunken – um 0,9 Prozent. Aber sie machen immer noch mehr als 20 Prozent aller Verkehrsunfälle aus, in manchen Regionen sogar noch mehr: in der Oberpfalz 30 Prozent und in Niederbayern 38 Prozent.
Im Jahr 2023 gab es 78.768 Wildunfälle in Bayern. Das ist zwar etwas weniger als im Vorjahr, aber deutlich mehr als vor gut zehn Jahren: 2013 gab es in Bayern knapp 63.000 Wildunfälle.
Die Gründe, warum ländliche Regionen wie die Oberpfalz im vorigen Jahr 30 Prozent Wildunfälle und Niederbayern sogar mehr als 38 Prozent Wildunfälle hatten, sind vielfältig. Mehr Pendler in den frühen Morgenstunden und eventuell auch mehr Wild könnten mögliche Ursachen sein. Außerdem sagen die Prozentzahlen nicht alles aus. Niederbayern hatte insgesamt rund 16.000 Wildunfälle. Oberbayern hatte viel mehr, nämlich mit mehr als 18.000 Wildunfällen den bayernweit höchsten Wert, so das bayerische Innenministerium. Aber der Anteil an den Gesamtunfällen lag dort nur bei rund 13 Prozent. Der Grund: Die Großstadt München ließ wie alle Städte die Gesamtzahl der Verkehrsunfälle ansteigen und damit den prozentualen Anteil der Wildunfälle sinken.
Wiesenreiche Gebiete oft stärker betroffen als Waldgebiete
Bei Wildunfällen denken die meisten an Landstraßen, die durch den Wald führen. Doch Regionen mit vielen Wiesen und Feldern sind oft noch stärker betroffen. In Niederbayern zum Beispiel gab es 2023 besonders viele Wildunfälle, nämlich 2.520, im wiesen- und feldreichen Landkreis Rottal-Inn. Im waldreichen Landkreis Regen zählte man dagegen nicht einmal halb so viele und besonders wenige, nämlich nur 797, im Landkreis Freyung-Grafenau im Bayerischen Wald. Selbst in den Städten passieren Wildunfälle, in Landshut, Passau und Straubing zum Beispiel jedes Jahr jeweils rund 100. Denn "Kulturfolger" wie Wildschweine oder Füchse streifen längst auch dort herum.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht's zur Anmeldung!