Die Behauptungen aus der BR-Wahlarena im Faktencheck.
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Die Behauptungen aus der BR-Wahlarena im Faktencheck.

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Der Faktencheck zur BR-Wahlarena mit CSU, SPD und Grünen

In der zweiten BR-Wahlarena zur Bundestagswahl 2021 stellten sich die bayerischen Spitzenkandidaten von CSU, SPD und Grünen den Fragen der Zuschauer. Es ging unter anderem um die Vermögenssteuer, Leiharbeit und das 365-Euro-Ticket. Ein #Faktenfuchs.

Über dieses Thema berichtet: BR24 Wahlarena am .

Über den gesamten Bundestagswahlkampf hat der #Faktenfuchs bereits viele Behauptungen und Gerüchte überprüft - häufig solche, die über Politiker verbreitet wurden.

Nach dem Triell der Kanzlerkandidaten und dem Vierkampf im Ersten, bei denen wir die Aussagen der Spitzenkandidaten gecheckt haben, nimmt der #Faktenfuchs auch die Behauptungen der bayerischen Spitzenkandidaten Alexander Dobrindt (CSU), Uli Grötsch (SPD) und Claudia Roth (Grüne) nach ihrem Auftritt in der BR-Wahlarena unter die Lupe.

Den Faktencheck zur ersten BR-Wahlarena mit den Kandidierenden von FDP, AfD und Linken können Sie hier nachlesen.

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Konnte die Politik vor Corona nicht wissen, wie man mit Pandemien umgeht?

Behauptung: Auf die Beschwerde eines Bürgers über den generellen Umgang der Politik mit der Corona-Pandemie und die Forderung nach einer Entschuldigung der Politik antwortete die bayerische Spitzenkandidatin der Grünen, Claudia Roth: "Niemand von uns wusste, wie man mit so einer Pandemie umgeht. Das hoffe ich, dass Sie das auch verstehen."

Hintergrund: Die Aussage von Claudia Roth ist wohl als eine Art Entschuldigung gedacht: Eine solche Pandemie sei so unerwartet, dass man eben einiges dabei falsch mache. Roth lässt dabei aber einen wichtigen Punkt außer Acht: Dass eine Pandemie durch ein Virus wie SARS-CoV-2 möglich ist, das war bekannt. Teilweise war dieses Szenario sehr nah an der Realität schon für Deutschland modelliert worden.

In der sogenannten "Risikoanalyse Pandemie" hatten verschiedene Bundesministerien und Bundesbehörden 2012 eine solche Pandemie durchgespielt. In der Rückschau lesen sich manche Sätze darin geradezu prophetisch: "Der Erreger stammt aus Südostasien, wo der bei Wildtieren vorkommende Erreger über Märkte auf den Menschen übertragen wurde."

In dieser Risikoanalyse wurde eine solche Pandemie als "bedingt wahrscheinlich" eingestuft, das heißt, sie könne im Zeitraum von 100 bis 1000 Jahren einmal auftreten. Auch die Maßnahmen zur Seuchenbekämpfung wurden darin schon genau aufgelistet: Quarantäne Infizierter, Absagen von Großveranstaltungen, Schulschließungen - genau die Schritte, die die deutsche Politik 2020/21 ergriffen hatte. Die Politik wusste also durchaus, wie sie vorzugehen hatte. Und zwar schlicht deshalb, weil es bei nicht vorhandenen Medikamenten und Impfstoffen keine anderen Strategien gab.

Der Schwachpunkt in Claudia Roths Entschuldigung ist aber ein anderer: Denn gleichzeitig wurden von der Politik andere Maßnahmen versäumt, die schon vor Corona als wichtig für eine Pandemiebekämpfung erachtet wurden. Zum Beispiel empfiehlt der Nationale Pandemieplan von 2017, dass Krankenhäuser und Pflegeheime einen Vorrat an Produkten wie FFP2-Masken/FFP3-Masken für "risikoträchtige Tätigkeiten", "Schutzkleidung" und "Desinfektionsmittel" anlegen oder Beschaffungspläne für diese Produkte haben sollten. Im Frühjahr 2020 waren aber genau diese medizinischen Produkte nur schwer oder überteuert zu bekommen. Darauf hätte sich die Politik einstellen können, zum Beispiel mit einer nationalen Bevorratung.

Ein anderes Beispiel sind die deutschen Gesundheitsämter. In der Risikoanalyse wird klar benannt: "Die zuständigen Behörden, zunächst die Gesundheitsämter und dort vornehmlich die Amtsärzte, haben Maßnahmen zur Verhütung übertragbarer Krankheiten zu ergreifen." Dies könne die zuständigen Behörden im Fall des Falles vor "nicht mehr zu bewältigende Herausforderungen" stellen, heißt es in der Analyse. Dennoch wurde bei den Gesundheitsämtern und dem öffentlichen Gesundheitsdienst von der Politik über die Jahre hinweg mehr gespart als investiert, so die Meinung von Experten. Das zeigt sich zum Beispiel bei der Digitalisierung, die sich bundesweit als Flickenteppich mit unterschiedlichen IT-Systemen darstellt. Ein einheitliches System zur Kontaktnachverfolgung wurde zum Beispiel in Bayern erst während der Pandemie eingeführt. Dieses wiederum nutzen gar nicht alle Gesundheitsämter, weil sie nach eigener Darstellung mit anderen Systemen besser arbeiten können.

Fazit: Die Aussage ist falsch. Die deutsche Politik wusste zum Teil genau, wie mit einer solchen Pandemie umzugehen ist. Sie hatte sich aber nicht entsprechend darauf vorbereitet.

Wer ist von der Vermögenssteuer betroffen?

Bis 1996 wurde in Deutschland die Vermögenssteuer erhoben. Das Bundesverfassungsgericht erklärte sie 1995 für verfassungswidrig, weil sie gegen den Gleichheitsgrundsatz verstieß. Immobilienbesitz sei gegenüber Bargeld bevorzugt worden. Die Steuersätze lagen damals zwischen 0,5 Prozent für Betriebsvermögen und 1 Prozent für natürliche Personen. Seitdem wird immer wieder darüber diskutiert, die Vermögensteuer erneut einzuführen. Auch bei der BR-Wahlarena war sie Thema.

Behauptung: Auf die Frage eines Unternehmers im Publikum zu den Plänen von Grünen, SPD und Linke, die Vermögenssteuer wieder einzuführen, sagte Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen), dass maximal zwei Prozent der "Allerallerallerreichsten in diesem Land" von der Vermögenssteuer betroffen wären und die Einnahmen aus dieser Steuer den Ländern zugute kommen würden. Diese könnten das Geld dann "in Bildung und Klima" investieren.

Hintergrund: In ihrem Wahlprogramm fordern die Grünen eine jährliche Vermögenssteuer von 1 Prozent für Vermögen ab zwei Millionen Euro pro Person.

Laut einer aktuellen Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) machen Menschen mit einem Nettovermögen von mindestens einer Million Euro 1,5 Prozent der erwachsenen Bevölkerung aus. Claudia Roth liegt also mit ihrer Schätzung von "maximal zwei Prozent" höher, als es nach den Zahlen des DIW der Fall wäre. Wie Roth auf diese Zahl kommt, ist unklar.

Die Einnahmen aus der Vermögenssteuer würden in den Haushalt der Länder fließen, das ist im Grundgesetz so geregelt. Roth erwähnt, dass diese Einnahmen "in Bildung oder Klima" investiert werden könnten. Doch die Vermögenssteuer wäre nicht zweckgebunden, die Länder könnten die erzielten Einnahmen also nicht ausschließlich für Ausgaben im Bildungs- oder Klimabereich reservieren.

Das würde gegen das Nonaffektationsprinzip verstoßen. Das besagt, dass keine Ausgabeleistung von dem tatsächlichen Aufkommen einer Steuer abhängig gemacht werden darf. Es gibt zwar Ausnahmen, aber diese müssen explizit in den einzelnen Steuergesetzen festgeschrieben sein - bei der Mineralölsteuer ist das zum Beispiel der Fall.

Fazit: Claudia Roth sagt richtig, dass die Einnahmen aus der Vermögenssteuer in den Haushalt der Länder fließen würden. Diese Einnahmen dürfen jedoch nicht zweckgebunden sein, sie könnten also nicht ausschließlich für Klima- und Bildungs-Investitionen reserviert werden. Ungenau ist Roth bei dem Anteil der Bevölkerung, die von der Vermögensteuer betroffen wären. In Deutschland besitzt etwa 1,5 Prozent der erwachsenen Bevölkerung mindestens eine Million Euro. Die Grünen wollen aber erst ab einem Vermögen von zwei Millionen Euro besteuern, es dürften also etwas weniger Menschen in Deutschland von der Vermögenssteuer betroffen sein, als Roth behauptet.

Soll Betriebsvermögen besteuert werden?

Behauptung: In der Diskussion um die Vermögenssteuer behauptete der bayerische SPD-Spitzenkandidat Uli Grötsch, wenn die SPD über Vermögenssteuer spreche, spreche sie "nie über betriebliches Vermögen. Wir sprechen ausschließlich über privates Vermögen, das ist unser Ansatz". Claudia Roth (Die Grünen) sagte, die Grünen strebten "betriebliche Ausnahmen" an. Alexander Dobrindt (CSU), dessen Partei sich gegen eine Vermögenssteuer ausspricht, widersprach und entgegnete: "Die Vermögenssteuer, so wie sie geplant ist, betrifft natürlich auch das betriebliche Vermögen."

Hintergrund: Die Vermögenssteuer wird auf das Nettovermögen erhoben, also die steuerpflichtigen Vermögenswerte. Dazu zählt auch das Betriebsvermögen.

Wie Roth in der BR-Wahlarena erwähnte, fordern die Grünen in ihrem Wahlprogramm Begünstigungen für das Betriebsvermögen im "verfassungsrechtlich erlaubten und wirtschaftlich gebotenen Umfang", konkretisieren ihre Pläne aber nicht. Auch die SPD will das Betriebsvermögen von der Vermögenssteuer ausnehmen. Im Wahlprogramm heißt es: "Die Grundlage von Betrieben wird bei der Vermögenssteuer verschont."

Ökonomen und Forschungsinstitute ziehen unterschiedliche Schlüsse aus den Vermögenssteuer-Konzepten der Parteien. Großer Kritiker ist das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (ifo) in München. In einer Studie, die das ifo im Auftrag der Stiftung Familienunternehmen erstellt hat, warnen die Ökonomen: Die Vermögenssteuer würde großen wirtschaftlichen Schaden anrichten und dem Staat weniger Einnahmen bringen als erhofft.

Ifo-Chef Clemens Fuest sagte im Interview mit dem ARD-Magazin report München, dass kleinere und mittelständische Betriebe Privatvermögen auch betrieblich nutzen würden. Erleichterungen bei der betrieblichen Vermögensbesteuerung würden deshalb nicht greifen. Dass es sich um eine Nettovermögenssteuer handelt, würde außerdem zu Ausweichreaktionen und der Schwächung des Eigenkapitals von Firmen führen - denn Schulden dürften vom Vermögen abgezogen werden.

Die Ökonomen des DIW sehen die Auswirkungen der Vermögensteuer dagegen deutlich positiver. Das Konzept der SPD zur Vermögenssteuer könnte dem Staat laut Berechnungen des DIW für das Magazin "Capital" 15 bis 25 Milliarden Euro einbringen, ohne Arbeitsplätze zu gefährden.

Fazit: Es stimmt, dass auch das Betriebsvermögen unter eine Vermögenssteuer fällt. Es stimmt aber auch, dass Grüne und SPD in ihren Wahlprogrammen Betriebe verschonen wollen. Sie werden dabei aber nicht sehr konkret.

Vermögenssteuer: Steuerbelastung von 80 Prozent für Betriebe?

Behauptung: In der Diskussion um die Vermögenssteuer behauptete der CSU-Spitzenkandidat Alexander Dobrindt außerdem, eine Vermögenssteuer von 1 oder 2 Prozent würde beim Großteil des Mittelstands zu Steuerbelastungen von 80 Prozent des Ertrags und mehr führen.

Hintergrund: Dobrindt spielt hier auf die Tatsache an, dass die Vermögensteuer genau wie die Ertragsteuer auf das Nettovermögen erhoben wird. Das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln (IW Köln) errechnete in einer Studie, dass die Einführung einer Vermögensteuer von 1 Prozent bei einem mittelständischen Unternehmen wie eine Erhöhung der Ertragssteuer um 10 Prozentpunkte wirken würde, wenn der Gewinn im Unternehmen verbleibt.

Das ifo-Institut kam in einer Studie zu dem Schluss, die Einführung der Vermögensteuer könne sogar einer Verdopplung der Ertragsteuer nahekommen. Maximal komme es laut ifo-Institut jedoch zu einer Steuerbelastung von 65 Prozent. Wie Dobrindt auf eine Steuerbelastung von 80 Prozent oder mehr für einen Großteil des Mittelstands kommt, ist unklar.

Fazit: Stimmt teilweise. Ökonomen des ifo-Instituts und IW-Köln gehen davon aus, dass die Vermögensteuer auf Unternehmen wie eine Erhöhung der Ertragssteuer wirken würde. Mit dieser Einschätzung liegt Dobrindt also richtig. Wie hoch diese Erhöhung ausfällt, dazu kommen die Institute zu unterschiedlichen Ergebnissen. Das ifo-Institut gibt allerdings nur eine Steuerbelastung von maximal 65 Prozent an, nicht von "80 Prozent oder mehr", wie Dobrindt behauptet.

Wird bei den EU-Agrarsubventionen große Fläche statt guter Tierhaltung belohnt?

Behauptung: Beim Thema Landwirtschaft wollte eine Schweinezüchterin wissen, wie die Politik gewährleiste, dass Landwirtschaft im Familienbetrieb auch in Zukunft rentabel sein könne. Sie hätten viel Geld in das Tierwohl investiert. Claudia Roth von den Grünen kritisierte daraufhin die EU-Agrarpolitik, die die Rahmenbedingungen absteckt: "(...) die große Fläche (wird belohnt) und nicht die Tierhaltung, die ist deutlich schlechter gestellt."

Hintergrund: Claudia Roth bezieht sich hier auf die Gemeinsame Europäische Agrarpolitik (GAP), den größten Posten im Haushalt der Europäischen Union (EU). Die GAP gibt es schon seit den Anfängen der EU, damals sollte sie die Produktion von Nahrungsmitteln ankurbeln. Mittlerweile haben sich die Ziele gewandelt, sie sind viel diverser geworden. Sie lauten zum Beispiel Landschaftspflege, Bekämpfung des Klimawandels oder die Förderung der öffentlichen Gesundheit. De facto fördert die EU also die Landwirtschaft für die Aufgaben, die ihr am freien Markt kaum vergütet werden.

2014 bis 2020 standen für Deutschland laut Umweltbundesamt jährlich rund 6,2 Milliarden Euro zur Verfügung. Die meisten der Fördergelder richteten sich tatsächlich nach der Fläche des bewirtschafteten Landes. "Die EU knüpft die meisten Einkommensbeihilfen für Landwirte an die bewirtschafteten Hektare, und nicht an die erzeugten Mengen", erklärt die Europäische Kommission auf ihrer Webseite.

Um diese Gelder zu erhalten, müssen die Agrarbetriebe bestimmte Regeln einhalten, sogenannte Cross-Compliance-Regelungen. Darin werden auch Vorschriften für den Tierschutz aufgestellt. Zum Beispiel muss jedes Tier einmal pro Tag in Augenschein genommen werden, medizinische Behandlungen müssen dokumentiert werden und die Ställe müssen so gebaut sein, dass sie sich reinigen und desinfizieren lassen.

Die Strategie der flächengebundenen Zahlungen wird aber von verschiedener Seite immer wieder kritisiert. Sie führe zur Bevorteilung von wenigen großen Betrieben, brächte keinen Vorteil für den Umweltschutz oder mindere die Artenvielfalt, so einige der Vorwürfe. Eine Meta-Studie aus dem Jahr 2017 stellte der GAP ebenso ein schlechtes Zeugnis aus: Die GAP erreiche keine Nachhaltigkeit bei ihren sozialen, ökologischen und Umweltschutz-Zielen. Ab dem Jahr 2023 soll die GAP stärker auf Klima-, Umweltschutz und Tierwohl ausgerichtet werden, das haben alle Beteiligten in der EU miteinander vereinbart.

Fazit: Die Aussage von Roth ist im Großen und Ganzen richtig für die aktuelle Situation. Die EU-Fördermittel für landwirtschaftliche Betriebe sind größtenteils von der bewirtschafteten Fläche abhängig. Die Betriebe müssen zwar Vorgaben beim Tierschutz einhalten, dies wird aber nicht eigens subventioniert.

Kann Deutschland nicht genügend Pflegekräfte im eigenen Land ausbilden?

Behauptung: Bei der Diskussion um die Situation in der Pflege sagte Alexander Dobrindt (CSU): "Es fehlt schlichtweg an Menschen, an Personal." Man werde nicht genügend Personal selbst ausbilden können, sondern müsse in Europa und im Nicht-EU-Ausland Pflegekräfte in Zukunft anwerben müssen.

Hintergrund: Der derzeitige Pflegemangel in Deutschland ist unbestritten und auch für die Zukunft sehen die Prognosen düster aus. Da die Bevölkerung in Deutschland älter wird, steigt der Bedarf in der Altenpflege, aber auch in der Krankenpflege. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahr 2012 prognostizierte, dass 2030 zwischen 400.000 und 500.000 Vollzeitstellen in der Pflege fehlen. Das Institut der Deutschen Wirtschaft errechnete 2018 ebenfalls eine Lücke von knapp 500.000 Pflegekräften in allen Bereichen bis zum Jahr 2035.

Seit dem Jahr 2020 gibt es den neuen Ausbildungsberuf der Pflegefachfrau/-mann. Derzeit werden bundesweit gut 50.000 Personen ausgebildet. Allerdings kann man die Azubis nicht komplett als Zuwachs für die nächsten Jahre verbuchen.

Denn in der Pflege arbeiten immer noch viele Menschen in Teilzeit. 2019 waren zum Beispiel insgesamt 1,9 Millionen Menschen in Pflegeberufen tätig laut der Bundesagentur für Arbeit. Umgerechnet entsprach das aber nur 1,2 Millionen Vollzeitäquivalenten. Außerdem müssen die neu ausgebildeten Pflegekräfte aus dem Inland auch wieder die Personen ersetzen, die in Rente gehen oder den Beruf wechseln.

Zusammengefasst besteht wenig Zweifel daran, dass Deutschland seinen Bedarf an Pflegekräften im nächsten Jahrzehnt nicht durch Ausbildung im Inland wird decken können. Deswegen wirbt Deutschland bereits jetzt seit Jahren Personen aus der EU und dem Nicht-EU-Ausland an, um die Lücken auszugleichen oder nicht zu groß werden zu lassen.

Die Bundesagentur für Arbeit hat für die Anwerbung von Pflegekräften bereits seit 2013 ein eigenes Programm, genannt "Triple Win", mit dem Menschen mit einer bereits absolvierten Ausbildung oder Vorerfahrungen in der Pflege nach Deutschland kommen. Dieses Jahr wurde zum Beispiel ein entsprechendes Abkommen mit Indonesien geschlossen. Im Jahr 2020 kamen insgesamt 759 Pflegekräfte im Rahmen dieses Programms nach Deutschland. Und 2019 hat Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) die "Deutsche Fachkräfteagentur für Gesundheits- und Pflegeberufe" (DeFa) gegründet, die ebenfalls ausländische Pflegekräfte in die Bundesrepublik bringen soll.

Schon von 2015 bis 2020 stieg der Anteil der ausländischen Pflegekräfte in der Alten- und Krankenpflege jeweils an. Insgesamt haben elf Prozent der Pflegekräfte einen ausländischen Pass, die meisten kommen aus Polen, Bosnien und Herzegowina, Türkei, Kroatien und Rumänien (Stand 2021).

Fazit: Die Einschätzung von Alexander Dobrindt stimmt. Aufgrund der fehlenden Pflegekräfte, möglicherweise Hunderttausende in den nächsten zehn bis 15 Jahren, ist Deutschland gezwungen, in der Gegenwart und auch in Zukunft ausländische Beschäftigte anzuwerben.

Will die CSU ein bundesweites 365-Euro-Ticket?

Behauptung: Ein Zuschauer fragte, warum ein "Klimaticket" wie in Österreich nicht auch in Deutschland möglich sei. Mit dem "Klimaticket Now" kann von Ende Oktober 2021 an in sechs von neun Bundesländern das ganze Jahr über für rund 1.000 Euro jeder Linienverkehr (öffentlicher und privater Schienenverkehr, Stadtverkehr und Verkehrsverbünde) genutzt werden, regional, überregional und österreichweit.

CSU-Spitzenkandidat Alexander Dobrindt sagte dazu: "Ich glaube, dass wir das 365 Euro-Ticket brauchen, (…) das heißt letztlich, dass man das ganze Jahr über für 365 Euro in der Lage ist, diesen Verkehr im engeren Ballungsraum zu nutzen." Das bräuchten gerade Arbeitnehmer, Studenten, Schüler und Pendler. Dobrindt fügte hinzu: "Das ist das, (…) bei dem wir gerade dabei sind, das entsprechend einzuführen, wo wir langfristig den Plan haben, das auch überall in Deutschland entsprechend auch umzusetzen."

Hintergrund: In Deutschland – das ein größeres Bahnnetz hat als Österreich – gibt es die BahnCard 100, die pro Jahr rund 4.000 Euro kostet und die Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs einschließt.

Ein umfassendes 365-Euro-Ticket gibt es in einigen Städten Deutschlands, allerdings meist nur für Schülerinnen und Schüler sowie Auszubildende. In Bayern ist dies für Schüler und Auszubildende in den Verkehrsverbünden der Ballungszentren der Fall, etwa in Regensburg, Ingolstadt oder Augsburg; in Nürnberg soll – als erste deutsche Großstadt – zum 1. Januar 2023 ein solches 365-Euro-Ticket für alle eingeführt werden, ohne Beschränkung auf bestimmte Nutzergruppen.

Genau das fordern auch die Initiatoren eines Bürgerbegehrens in München; dort gibt es das 365-Euro-Ticket für Schüler und Auszubildende. Der rot-grüne Stadtrat hatte im Juni einen gemeinsamen Antrag von CSU, ÖDP/Freie Wähler und Linke abgelehnt, das Ticket für alle einzuführen. Grund war die Finanzierung. Grüne und SPD sprachen sich zwar für das 365-Euro-Ticket aus, pochten aber auf eine Mitfinanzierung des Freistaats.

Im Wahlkampf 2018 hatte Markus Söder (CSU) das 365-Euro-Ticket für alle im Landtags-Wahlkampf beworben. Im Koalitionsvertrag von CSU und Freien Wähler steht: "Für die großen Städte München, Nürnberg/Fürth/Erlangen, Augsburg, Regensburg, Ingolstadt und Würzburg wollen wir auf Dauer ein 365-Euro-Jahresticket einführen." Ein Zeitraum ist nicht genannt, auch von einer bayernweiten Ausdehnung oder dem Engagement für eine deutschlandweite Einführung ist nicht die Rede.

In seiner Regierungserklärung zur Klimapolitik sagte Söder im Juli: Bis 2030 wünsche er sich dieses Ticket für alle Bevölkerungsschichten, forderte dafür aber eine Beteiligung des Bundes mit 20 Prozent der Kosten, da es sich um eine klimapolitische Maßnahme handele.

Im Januar 2021 hat das CSU-geführte Bundesverkehrsministerium die Förderrichtlinie "Modellprojekte zur Stärkung des ÖPNV" veröffentlicht. In der Pressemitteilung heißt es: "Damit werden Konzepte zur Stärkung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) gefördert, die die CO2-Emissionen im Verkehrsbereich durch ein attraktiveres Angebot nachhaltig reduzieren. Der erste Förderaufruf richtet sich an Verkehrsunternehmen und -verbünde sowie an Städte, Kreise und Gemeinden."

Fazit: Dobrindt hat recht mit der Aussage, dass die CSU schon länger ein 365-Euro-Ticket für alle fordert; auf kommunaler und auf Landes-Ebene hat sich die Partei dafür eingesetzt. Dass eine Umsetzung "überall in Deutschland" angestrebt wird, ist nur insofern korrekt, dass dies in Form von Modellprojekten in einzelnen Städten und Regionen geschehen soll.

Einnahmeausfälle wegen Corona: Wie hilft der Staat Kulturschaffenden?

Behauptung: Zwei Musiker wollen von den Politikern wissen, ob und wann es eine Perspektive und Planungssicherheit für Kulturschaffende gibt. Der bayerische SPD-Spitzenkandidat Uli Grötsch verweist darauf, dass die Pandemie noch nicht zu Ende sei. Er sagt: "Ich bin der Meinung, dass wir mit der Kultur-Milliarde einen Schritt in die richtige Richtung machen und ich glaube, dass man Ihnen Ihre Einkommensausfälle, die Sie haben durch eine womöglich reduzierte Zuschauerzahl, einfach weiterhin erstatten muss (…)."

Hintergrund: Im Juli 2020 haben Bundestag und Bundesrat dem Programm "Neustart Kultur" zugestimmt, das eine Milliarde Euro Corona-Hilfen für Kulturschaffende und -einrichtungen vorsah. Knapp die Hälfte des Betrags war als Nothilfe für kleine und mittlere Kulturstätten gedacht, die andere Hälfte für die Förderung von Wiedereröffnungen, für alternative digitale Angebote sowie Hilfen für den privaten Rundfunk. 100 Millionen Euro gab es für regelmäßig geförderte Kultureinrichtungen, um coronabedingte Einnahmeausfälle und Mehrausgaben auszugleichen.

Im Februar 2021 hat die Bundesregierung das Programm ausgeweitet und eine weitere Milliarde Euro zur Verfügung gestellt. Der Schwerpunkt lag bei "Förderungen auf Hilfen für Künstlerinnen und Künstler sowie Stipendienprogrammen". 800 Millionen Euro waren im Bereich "Erhalt und Stärkung von Kulturproduktion und -vermittlung" vorgesehen - und somit für die individuelle Förderung von Künstlerinnen, Künstlern und Kreativen.

Im Mai 2021 hat die Bundesregierung außerdem einen Sonderfonds für Kulturveranstaltungen auf den Weg gebracht, mit einem Volumen in Höhe von 2,5 Milliarden Euro. Dieser sieht eine Wirtschaftlichkeitshilfe sowie eine Ausfallabsicherung für jene vor, die nicht oder nicht kostendeckend Kulturveranstaltungen durchführen können. Eine der Maßnahmen lautet: "Im Falle einer pandemiebedingten Absage, Teilabsage oder Reduzierung der Teilnehmendenzahl oder einer Verschiebung übernimmt der Ausfallfonds maximal 80 Prozent der dadurch entstandenen Kosten." Insgesamt sollen mit Hilfe des Fonds "Verluste bei den Veranstalterinnen und Veranstaltern ausgeglichen" werden.

Zunächst konnten die Hilfen aus dem Neustart-Programm kaum eingesetzt werden, da mit dem zweiten Lockdown viele Kultureinrichtungen wieder geschlossen waren. Dadurch konnten Projekte nicht verwirklicht werden, deren Anträge zwar bewilligt, aber mangels praktischer Umsetzungsmöglichkeiten noch nicht ausgezahlt wurden.

Im Juni zog Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) jedoch eine positive Bilanz: Mehr als 975 Millionen Euro der ersten "Kultur-Milliarde" seien verplant. Bewilligt seien zum 15. April 2021 mehr als 675 Millionen Euro gewesen, von denen rund 250 Millionen Euro zur Auszahlung abgerufen worden seien.

Trotz der Maßnahmen fühlen sich viele Kulturschaffende von der Politik im Stich gelassen: Staatliche Hilfen seien zu spät gekommen, die Maßnahmen für Kulturbetriebe im Vergleich zu Sportstätten oft nicht nachvollziehbar.

Fazit: Die Corona-Hilfen der Bundesregierung für Kulturschaffende waren sicherlich, wie Grötsch es sagt, "ein Schritt in die richtige Richtung". Allerdings kamen nach Ansicht der Betroffenen viele Hilfen zu spät. Der Sonderfonds für Kulturveranstaltungen sichert Kulturschaffenden Gelder im Falle von Einnahmeausfällen zu. Wie lang der Fonds ausreicht und ob er verlängert bzw. aufgestockt wird, ist offen.

Leiharbeit – waren strengere Regeln mit der Union "nicht machbar"?

Behauptung: Ein Zuschauer spricht in seiner Frage zum Thema Leiharbeit die ungleiche Bezahlung zwischen Leiharbeitern und Festangestellten an. Der bayerische SPD-Spitzenkandidat Uli Grötsch sagt dazu: "Der springende Punkt ist (…), dass Equal Pay, dass gleicher Lohn für gleiche Arbeit, ab dem ersten Tag gilt. (…) Dass es keine Zwei-Klassen-Gesellschaft in Betrieben gibt, zwischen Kolleginnen und Kollegen, die die gleiche Arbeit in der gleichen Halle, womöglich an der gleichen Maschine machen, nur dass der eine Leiharbeiter ist und die andere eine Festangestellte." Grötsch sagt in Richtung Dobrindt, da würden wohl Regelungen ausgenutzt, die "in manchen Gesetzgebungsverfahren in den letzten acht Jahren mit Ihnen einfach nicht anders machbar waren".

Hintergrund: Im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG), das die Große Koalition 2016 reformiert hat, ist geregelt, dass Leiharbeitnehmer nach neun Monaten ununterbrochener Einsatzdauer ein gleichwertiges Arbeitsentgelt erhalten wie Stammmitarbeiter. Gibt es einen (Branchen-)Zuschlagstarifvertrag kann davon abgewichen werden, nach den Vorgaben des Gesetzes.

Im Wahlprogramm 2013 hatte die SPD geschrieben: "Wir werden das Prinzip des gleichen Lohns für gleiche Arbeit und der gleichen Arbeitsbedingungen für Leiharbeitsbeschäftigte und Stammbelegschaften gesetzlich durchsetzen."

Es ist nicht die Rede davon, ab welchem Zeitraum dieser gleiche Lohn gezahlt werden soll, ob etwa vom ersten Tag an. Entsprechend findet sich dies auch nicht im Koalitionsvertrag von Union und SPD für die 18. Legislaturperiode (2013 - 2017): "Die Koalitionspartner sind sich darüber einig, dass Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer künftig spätestens nach neun Monaten hinsichtlich des Arbeitsentgelts mit den Stammarbeitnehmern gleichgestellt werden." Auf dieser Grundlage erfolgte die Reform des AÜG.

Anders war das vor der Bundestagswahl 2017: Im Wahlprogramm der SPD stand: "Unser Ziel ist, dass Leiharbeit vom ersten Tag an genauso vergütet wird, wie in der Stammbelegschaft. Davon darf nur durch repräsentative Tarifverträge abgewichen werden."

Im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD ist dies nicht mehr zu lesen. Darin heißt es zum Thema Leiharbeit: "Auf die Höchstdauer von fünf Jahren wird bzw. werden auch eine oder mehrere vorherige Entleihung(en) des nunmehr befristet eingestellten Arbeitnehmers durch ein oder mehrere Verleihunternehmen angerechnet. Ein erneutes befristetes Arbeitsverhältnis mit demselben Arbeitgeber ist erst nach Ablauf einer Karenzzeit von drei Jahren möglich."

Der Aspekt Equal Pay/gleiche Bezahlung wird im Koalitionsvertrag nicht erwähnt. Während der 19. Legislaturperiode (2017 - 2021) wurde das Gesetz nicht mehr reformiert.

Schon 2010 hatte die SPD-Bundestagsfraktion – damals in der Opposition – einen Antrag eingebracht, in dem in der Leiharbeit "gleicher Lohn für gleiche Arbeit" gefordert wurde. In einem Artikel dazu auf der Seite der SPD-Fraktion steht: "Dafür muss das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz so geändert werden, dass nach einer kurzen Einarbeitungszeit der Gleichbehandlungsgrundsatz – vor allem das Prinzip 'Gleiche Arbeit, gleiches Geld' – ohne Ausnahme gilt."

Fazit: Der Aspekt, der gleiche Lohn müsse "vom ersten Tag an" gelten, war so deutlich nicht immer Ziel der Partei. Vor der Reform des AÜG hatte die SPD dies nicht explizit als Ziel im Wahlprogramm 2013 formuliert und auch nicht in den Koalitionsvertrag hineinverhandelt. Inwiefern es den Versuch dazu gab, ist unklar; da es aber im Wahlprogramm nicht explizit erwähnt ist, war dies womöglich kein Verhandlungsthema - und wäre damit auch nicht, wie behauptet, an der Union gescheitert.

Im SPD-Wahlprogramm von 2017 und auch im aktuellen ist Equal Pay für Leiharbeiter vom ersten Tag an festgelegt. Im aktuellen Programm ist folgendes Ziel formuliert: "Leiharbeiter*innen werden ab dem ersten Tag den gleichen Lohn erhalten wie Festangestellte."

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