Am 28. Oktober 2022 hat eine Gruppe von rund 20 Aktivisten der "Scientist Rebellion" gegen Mittag ("100 Sekunden vor 12") eine Fahrbahn vor dem Münchner Justizpalast blockiert. Drei der Protestierenden hielten mit Hilfe eines Megafons kurze sogenannte Vorlesungen, um ihre Botschaft zu verbreiten. Nach rund eineinhalb Stunden beendete die Polizei den gewaltfreien Protest und trug die Aktivisten von der Straße.
Nun mussten sich die drei Protestierenden, die in diesem Rahmen eine "Vorlesung" gehalten haben, wegen des Vorwurfs der Nötigung vor Gericht verantworten. Einer von ihnen ist der Ordenspriester Jörg Alt aus Nürnberg. Die anderen beiden kommen aus Bayreuth: der 21 Jahre alte Student Luca Thomas und die Wissenschaftlerin Cornelia Huth.
Wissenschaftlerin: "Klima-Notstand sollte Widerstand rechtfertigen"
Cornelia Huth ist eine 45 Jahre alte Epidemiologin, Ökotrophologin und Medical Science Managerin und Mutter zweier Teenager. Sie hat sich vor rund einem Jahr der Gruppe "Scientist Rebellion" angeschlossen. "Mein Sohn hat sich als erster in der Familie mit Klimathemen befasst und war sehr besorgt. Ich wollte ihn beruhigen, begann zu recherchieren und merkte schnell: Er hat recht." Aktionen wie die Blockade am Stachus gehen ihr eigentlich "gegen den Strich", sagt Huth im Gespräch mit BR24.
Trotzdem überwindet sie sich regelmäßig, um ihre Botschaft zu transportieren: "Die enorm bedrohliche Erderhitzung, auf die wir gegenwärtig zusteuern, wird mit unserer Zivilisation nicht vereinbar sein. Wir befinden uns in einem Klima-Notstand, der von den Gerichten als Rechtfertigung für gewaltfreien Widerstand anerkannt werden könnte."
Bayreuther Klimaaktivist: "Andere Aktionsformen reichen nicht aus"
Mit 21 Jahren zählt der Bayreuther Geoökologie-Student Luca Thomas zu den jüngeren Klimaaktivisten. Er war zum Protest nach München gekommen, um "Scientist Rebellion" zu unterstützen, er selbst ist unter anderem Mitglied der "Letzten Generation". Für ihn gibt es keine Alternativen zu friedlichen, Aufsehen erregenden Protestaktionen wie der Straßenblockade vom 28. Oktober. "Da andere Aktionsformen nicht ausgereicht haben, habe ich mich aus Verzweiflung an der Aktion beteiligt", betont der Student und spricht auch von seiner Zukunftsangst: "Ich weiß, dass ich mein Leben in den nächsten 50, 60 Jahren nicht so leben kann, wie ich es gerne würde", sagt er im BR24-Interview.
Dass er eine Gefängnisstrafe riskiert, die mit einer Vorstrafe einhergehen würde, nimmt er in Kauf. "Gefängnis ist eine Option, die ich in Betracht ziehe, wenn ich eine mögliche Geldstrafe nicht bezahlen kann", so Luca Thomas, der schon einmal wegen einer ähnlichen Aktion vor Gericht stand. Damals kam er mit einer kleinen Geldstrafe davon. Das Urteil des Gerichts erwarte er mit Spannung.
Jesuitenpater Jörg Alt: "Ziviler Widerstand ist alternativlos"
Der prominenteste Unterstützer der Straßenblockade am 28. Oktober 2022 ist der Jesuitenpriester Jörg Alt aus Nürnberg. Der 61-Jährige hat bereits für Schlagzeilen gesorgt, als er öffentlichkeitswirksam containern ging und ein Buch über die "Letzte Generation" schrieb. Seine Motivation für die Teilnahme an der Stachusblockade verbreitet er vor dem Gerichtstermin in einer Mitteilung an die Medien: "Wir blockieren Straßen, weil uns die politischen Blockaden beim Klimaschutz dazu nötigen. Jesuiten aus dem Globalen Süden alarmieren uns seit Jahren, dass die Klimakatastrophe dort bereits in vollem Gang ist, Menschen sterben, leiden und heimatlos werden. Diese Entwicklungen werden mit 99,9-prozentiger Sicherheit dramatisch zunehmen."
Mit herkömmlichen Mitteln sei es ihm nicht gelungen, Wissen über die Handlungsnotwendigkeit und Dringlichkeit in Gesellschaft und Politik zu verankern. Für ihn sei aus diesem Grund die Teilnahme an "angekündigten und friedlichen, aber nicht ignorierbaren Aktionen zivilen Ungehorsams und Widerstands moralisch geboten, gerechtfertigt und in vielerlei Hinsicht alternativlos".
Prozess in München: "Mehr Aktivisten verhaftet als Windräder errichtet"
Beim Prozessauftakt gegen die drei fränkischen Klimaaktivisten vor dem Amtsgericht München erklärten die drei in ausführlichen Statements noch einmal ihre Motive. Jörg Alt zum Beispiel betonte, man habe nur noch ein kurzes Zeitfenster, um in Sachen Klimawandel das Schlimmste zu verhindern: "Wenn wir die Auswirkungen schon spüren, ist es zu spät." Widerstand sei nötig, weil die Regierung ihren Amtseid breche, wonach Schaden vom Volk fern zu halten sei. Doch zuletzt seien mehr Aktivisten verhaftet als Windräder errichtet worden, sagte Alt unter dem Gelächter der zahlreichen Unterstützer auf den Zuschauerplätzen.
Cornelia Huth schilderte zum Teil unter Tränen ihre Ängste und betonte, dass der Klimanotstand ungewöhnliche Protestaktionen für den Schutz des Lebensraums rechtfertige. Die bisherigen Klimaschutz-Maßnahmen würden nicht ausreichen, erläuterte auch Thomas Luca: "Wir sind auf politischer Ebene nicht dabei, die Klimakrise so anzugehen wie es notwendig wäre." Es gehe nun darum, Druck auf den Gesetzgeber auszuüben, "sich mal mit der Sache auseinanderzusetzen", so einer der drei Verteidiger. Auch Lobbyisten würden versuchen, entsprechend Druck auszuüben. Die Aktionen der Klimaaktivisten würden "meines Erachtens nicht aus dem demokratischen Rahmen fallen."
Prozess wird wegen Beweisanträgen fortgesetzt
Das Amtsgericht München hat am ersten Prozesstag einen weiteren Verhandlungstag angesetzt. Der Prozess wird wegen Beweisanträgen der Verteidigung am Dienstag, 16. Mai, fortgesetzt.
Die Gruppe "Scientist Rebellion" setzt sich aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Akademikerinnen und Akademikern aus 32 Ländern zusammen. Deutschland ist seit dem vergangenen Jahr ein Teil davon.
Bei Protestaktionen tragen sie weiße Kittel, um ihre fachliche Expertise zu verdeutlichen. Den Wissenschaftlern zufolge reichen ihre bisherigen Bemühungen, ob Veröffentlichungen oder die Beratung von Politikern, nicht für ein Umdenken aus. Um die Menschen wachzurütteln, würde "Scientist Rebellion" zu Mitteln des zivilen Ungehorsams und Widerstands greifen.
Die "Weltuntergangsuhr" rückt vor
Als die Aktivisten am 28. Oktober 2022 die Straße vor dem Justizpalast in München blockierten, war es exakt 100 Sekunden vor 12 Uhr. Die Uhrzeit war nicht zufällig gewählt, sondern orientierte sich an der "Weltuntergangsuhr" oder "Atmokriegsuhr". Sie verdeutlicht symbolisch das derzeitige Risiko einer globalen Katastrophe oder eines Atomkriegs. Mittlerweile ist sie auf 90 Sekunden vor Mitternacht vorgerückt, so weit wie noch nie zuvor.
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