Zeitgleich durchsuchten am 6. August 2024 Polizisten mehrere Gebäude an den RoMed-Standorten in Wasserburg und Rosenheim. Sie sicherten offenbar Patientenakten von Kindern, die zwischen Oktober 2020 und Januar 2023 in Wasserburg geboren wurden und im Anschluss in andere Krankenhäuser verlegt werden mussten – unter anderem nach Rosenheim.
Die Staatsanwaltschaft Traunstein hat ein Ermittlungsverfahren gegen eine Medizinerin eingeleitet, die früher in der Wasserburger Geburtshilfe gearbeitet hat. Der Anfangsverdacht lautet auf eine fahrlässige Tötung und elf Fälle von fahrlässiger Körperverletzung. Das hat die Staatsanwaltschaft auf BR-Anfrage mitgeteilt. Circa 200 Patientenakten werden derzeit gesichtet. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Anonyme Anzeige als Ausgangspunkt der Ermittlungen
Laut Staatsanwaltschaft Traunstein stand am Anfang der Vorermittlungen eine anonyme Anzeige bei der Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg, in der "Vorwürfe hinsichtlich Behandlungsfehlern in Zusammenhang mit Entbindungen in der RoMed Klinik Wasserburg" erhoben wurden.
Mehrere Zeugenvernehmungen bestätigten laut Staatsanwaltschaft die Vorwürfe aus der anonymen Anzeige. Unter anderem habe sich eine ehemalige Mitarbeiterin an die Staatsanwaltschaft gewendet. Nach den Vorermittlungen habe man einen Anfangsverdacht gesehen, ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und die Durchsuchungen durchgeführt. Die Verantwortlichen der Klinik hätten sich äußerst kooperativ verhalten.
Krankenhaus und Träger: Keine Ermittlungen gegen RoMed Kliniken
Auch der Geschäftsführung des RoMed-Klinikverbundes, dem Rosenheimer Oberbürgermeister Andreas März (CSU) sowie dem Landrat des Landkreises Rosenheim, Otto Lederer (CSU), hat BR Recherche etliche Fragen zur Wasserburger Geburtshilfe gestellt. In einer gemeinsamen Antwort heißt es, man habe "verschiedene Behandlungsunterlagen herausgegeben, welche die Geburtshilfe in Wasserburg betreffen".
In dem Statement wird betont, dass sich das laufende Ermittlungsverfahren zu Behandlungsfehlervorwürfen nicht gegen die RoMed Kliniken richte, sondern eine Ärztin betreffe, die die Klinik bereits verlassen habe. Weitere Antworten geben Klinikverbund, Stadt und Landkreis nicht, inhaltliche Auskünfte zu Ermittlungen seien der Staatsanwaltschaft vorbehalten.
BR Recherche hat auch die Medizinerin kontaktiert. Sie will sich auf Anraten ihrer Anwältin vorerst nicht äußern.
Probleme in der Geburtshilfe schon länger ein Thema?
Ehemalige RoMed-Mitarbeitende, die anonym bleiben wollen, sagten im Gespräch mit BR Recherche, sie hätten bereits 2022 klinikintern auf womöglich riskante Geburtshilfe und geschädigte Kinder hingewiesen.
Darüber hinaus fertigten einige Mitarbeitende nach eigenen Angaben Gedächtnisprotokolle zu Geburten in Wasserburg an. Andere sagen, sie hätten ihre Sorgen mit einzelnen Aufsichtsräten der RoMed Kliniken besprochen.
Sondersitzung des Aufsichtsrats zu Wasserburger Geburtshilfe
Am 1. Februar 2023 kam es zu einer außerordentlichen Aufsichtsratssitzung mit der Thematik "Aktuelle Situation der Geburtshilfe in Wasserburg". In der Folge beauftragte die RoMed-Geschäftsführung einen externen Gutachter.
Der damalige Geschäftsführer Dr. Jens Deerberg-Wittram äußerte sich damals in regionalen Medien: Der Gutachter habe Fälle untersucht, bei denen es zu unterschiedlichen Auffassungen bezüglich des geeigneten medizinischen Vorgehens gekommen sei. Das Gutachten habe keinerlei medizinische Fehlentscheidungen festgestellt. Das Dokument liegt BR Recherche vor. Nach dem Gutachten, so erinnert sich eine Person im Aufsichtsrat, "war das Thema Babys dann nicht mehr vorhanden."
Viele Fragen bleiben offen
Mehrere Aufsichtsräte haben BR Recherche unabhängig voneinander erklärt, dass ihnen das Gutachten nie vorlag und sie dessen Inhalt nicht kennen würden. Fragen zu dem Gutachten und dessen Inhalt beantworteten weder der Klinikverbund noch Stadt oder Landkreis Rosenheim.
Die RoMed Kliniken äußerten sich auch nicht zu der Frage, ob man Geburten der Medizinerin systematisch überprüft habe. Ebenfalls unbeantwortet blieben Fragen danach, wann die verschiedenen Akteure erstmals von etwaigen Behandlungsfehlern in der Wasserburger Geburtshilfe erfuhren und welche Konsequenzen sie zogen.
Forderung nach Aufklärung
Der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Rosenheimer Stadtrat, Abuzar Erdogan, fordert vom Aufsichtsrat, insbesondere von den beiden Vorsitzenden, Oberbürgermeister Andreas März und Landrat Otto Lederer, "uneingeschränkte Mitwirkung bei der Aufklärung". Erdogan schreibt dem BR: "Es muss auf den Tisch, wer wann was gewusst hat."
Die Staatsanwaltschaft Traunstein geht von langwierigen Ermittlungen aus. Auf BR-Anfrage heißt es: "Nach derzeitiger Sachlage ist zudem davon auszugehen, dass umfangreiche medizinische Sachverständigengutachten erforderlich sind." Man ermittle in alle Richtungen.
Wenn Sie Missstände melden wollen, können Sie sich per Mail an das Investigativteam des Bayerischen Rundfunks wenden: brrecherche@br.de
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