Josef Troidl begrüßt die Gäste persönlich, die in die Regensburger Obdachlosenhilfe "Strohhalm" kommen, weil sie sich ein Essen nicht leisten können. "Bist du satt? Wenn du Hunger hast, kriegst du noch mal was. Ist doch klar." Obdachlose, Rentner, Flüchtlinge – in den zwei Räumen mit je zwei Tischen sitzen sie eng an eng. Zwischendrin auch Kinderaugen, die von den leeren Tellern aufblicken. "Wir merken täglich, dass es mehr sind. Bis zu 80 Essen." Vorher habe man vielleicht für 30, höchstens mal für 50 Bedürftige gekocht, sagt Troidl, der auch erster Vorsitzender des Vereins ist. "Jetzt müssen wir schauen, dass die Leute fertig werden, so dass die nächsten kommen können."
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Zahl der Wohnungslosen steigt
Die Entwicklung im Regensburger "Strohhalm" ist kein Einzelfall. Auch die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) geht davon aus, dass in den letzten Jahren immer mehr Menschen ihre Wohnung verloren haben. Waren es 2018 noch 237.000 Menschen ohne Wohnung, stieg die Zahl 2020 auf 256.000, so die BAGW. Erst im Dezember 2022 hat auch die Bundesregierung einen Bericht über die Zahl der Wohnungslosen in Deutschland vorgelegt. Demnach sind in Deutschland aktuell 263.000 Menschen ohne Wohnung. Darunter 37.000 Obdachlose, die weder in Einrichtungen noch bei Freunden unterkommen, sondern auf der Straße leben. Meistens würde es sich dabei um Männer handeln, so der Bericht. Aber auch 6.000 Kinder würden in verdeckter Wohnungslosigkeit leben. BAGW und das Bundesamt für Statistik gehen davon aus, dass die Zahlen deutlich größer sein könnten.
Steigende Kosten setzen Helfern zu
An einem Tisch in der Regensburger Begegnungsstätte "Strohhalm" sitzt Jozef Lesniak und isst eine Kürbissuppe. Seit eineinhalb Jahren hat der 65-Jährige keine Wohnung mehr. Sein "Luxus" beschränkt sich auf kleine Dinge, die aber inzwischen auch unbezahlbar geworden sind. Einmal einen Schokoriegel, einen Kaffee oder eine Torte kaufen, gibt der Geldbeutel nicht mehr her.
Die ehrenamtlichen Helfer im "Strohhalm" schnippeln, kochen, packen Tüten, damit es den Obdachlosen zumindest nicht an der Grundversorgung mangelt. Doch eine Küche ist auch ein Stromfresser, wie Franz Lindl erklärt. Die Gaskosten für die Heizung und die Stromkosten für Kühlschränke und Küche werden mehr, so der pensionierte Banker. Wegen der Mehrzahl an Leuten, die in den Strohhalm kommen, muss Lindl auch mehr zukaufen – neben den Spenden der Supermärkte. "Früher hat man vielleicht einen Reissack gebraucht. Wenn es jetzt auf 80 Essen täglich steigt, braucht man schon zwei Säcke. Und auch die kosten deutlich mehr als früher."
Wohnungsmarkt: Zu teuer für Bedürftige
Durch die rot-weiß-lackierte Eingangstür betritt ein junger Mann die Essensküche. Alexander Mützenich ist zum ersten Mal hier. Das fällt sofort auf. Eine der ehrenamtlichen Helferinnen erklärt ihm, dass er sich hinsetzen kann. Im "Strohhalm" wird er bedient. Der 26-Jährige ist einer der wenigen, der seine Geschichte erzählt. Obdachlos sei er, weil er nach langer Krankheit sich keine Wohnung mehr leisten konnte. "Aber jeder, der eine Wohnung sucht, weiß: Ab 700 Euro aufwärts, Ein-Zimmer-Wohnung, das ist viel zu teuer. Das zahlt kein Amt der Welt oder ein Arbeitgeber, der sagt: Du brauchst eine Wohnung." Auch ein Wohnberechtigungsschein habe Mützenich bisher nicht geholfen. Er plant daher nach Kassel zu ziehen, zu einem Freund. "Für einen Neuanfang."
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Ohne Wohnung, keine Arbeit
Für Josef Troidl kommt es einem Teufelskreis gleich. Daher hat der Verein jahrelang gespart, um zwei Häuser zu kaufen. Dort sollen Obdachlose vorübergehend wohnen, um wieder in ein "geregeltes Leben" finden zu können. Troidl ist selbst Unternehmer und weiß, was Arbeitgeber erwarten: "Wenn einer kommt und bewirbt sich und hat keine Wohnung – den nimmst du nicht, weil er nicht pünktlich sein kann, weil er nicht sauber sein kann, weil einfach das Umfeld nicht passt." Dem Verein kostet das Vorhaben inzwischen rund eine Million Euro. Aber der "Strohhalm" lässt sich von steigenden Kosten nicht unterkriegen. Denn nur wer eine Wohnung hat, bekommt Arbeit. Nur wer eine Arbeit hat, kann sich eine eigene Wohnung leisten.
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