Das Bild, das sich Stefan Zöttl jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit bietet, ist kontrastreich: Die rauschende Isar, dazu Bäume und Felder - niederbayerische Natur, beinahe malerisch.
Jäh durchbrochen wird dieses Bild aber am Ende der Straße, die von der Gemeinde Niederaichbach eben zu genau jenem Arbeitsplatz führt, an dem Stefan Zöttl seit mehr als 30 Jahren tätig ist. Das Atomkraftwerk Isar 2 mit seinem 165 Meter hohen Kühlturm, dessen Wasserdampfwolke kilometerweit sichtbar ist.
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Ende der Atomenergie in Deutschland ist in Sicht
Jeden Morgen der Kontrollblick auf die Wasserdampfwolke. "Wenn die zu sehen ist, dann ist die Welt noch in Ordnung", sagt Zöttl. Die Wolke sagt unmissverständlich: Die Anlage läuft. In genau sechs Wochen wird damit Schluss sein. Am 15. April steigt Deutschland aus der Atomenergie aus, die letzten noch aktiven Kraftwerke Emsland in Niedersachsen, Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg und Isar 2 in Bayern werden heruntergefahren.
"Das wird ein komisches Bauchgefühl", ist sich Zöttl sicher. Damit steht er nicht alleine. Rund 450 Menschen arbeiten am Standort, der vom Energiedienstleister Preussen Elektra betrieben wird. Im Kraftwerk wird deutlich: Hier stehen sie hinter der Atomenergie und dem Block Isar 2. "Bayern braucht Kernenergie". Diese Aufschrift ist gleich an mehreren Wänden zu sehen. "Andere Länder wären froh, ein so gut gewartetes und modernes Kernkraftwerk zu haben", sagt Stefan Zöttl. "Und wir machen unseres kaputt."
Keine Vorfreude bei Isar-2-Mitarbeitern – im Gegenteil
Für den gelernten Industriemechaniker ist die Entscheidung, aus der Kernenergie auszusteigen, nicht nachvollziehbar. Seit 31 Jahren arbeitet er nun hier. Seither war es seine Aufgabe, in der Instandhaltung Maschinenteile zu warten und zu reparieren. Genau das Gegenteil erwartet ihn aber in Zukunft - mit dem Rückbau. Für ihn der schlimmste Begriff, wie er selbst sagt. Er will ihn nicht hören.
Ähnlich überzeugt von der Kernenergie ist auch Franz Jaeger. Seit 38 Jahren arbeitet er für den AKW-Standort auf dem Gebiet der Gemeinden Essenbach und Niederaichbach im Landkreis Landshut. Den Block Isar 2 kennt er seit dem ersten Tag. Jaeger war 1988 bei der Inbetriebnahme der Anlage dabei. "Und jetzt muss ich sie zerstören. Aber nicht, weil sie kaputt ist, sondern weil man es so will und es so bestimmt hat." Bei Jaeger löse das ein flaues Gefühl im Magen aus. Frust sei das nicht, eher eine Mischung aus Enttäuschung und Unverständnis.
Sein ganzes Berufsleben hat er hier verbracht. Er kümmert sich um die Reaktorleistungsleittechnik, überwacht auf der Warte die Stabstellungen der Steuerstäbe im Reaktor. Eine hohe Verantwortung, derer er sich immer bewusst sei, betont Jaeger. Das könne er hier über jeden sagen. Die Warte gilt als Herzstück der Anlage. Hier werden alle Vorgänge im Reaktor überwacht und gesteuert - das Kontrollzentrum mit Hunderten Knöpfen, Anzeigen, Kippschaltern und Monitoren. Schichtleiter und Reaktorfahrer sind rund um die Uhr hier.
Isar 2: Eines der leistungsstärksten AKWs weltweit
Am Eingang der Warte hängen Auszeichnungen. Zehn Mal wurde Isar 2 zum Weltmeister gekürt, als leistungsstärkstes Atomkraftwerk der Welt. Kein Block hat in diesen Jahren mehr Strom erzeugt. Darauf sind sie hier stolz.
Nicht die Stromerzeugung, sondern die Sicherheit der Anlage habe aber oberste Priorität. Dieser Satz fällt hier immer wieder, gebetsmühlenartig. "Wir müssen das so deutlich sagen", rechtfertigt Franz Jaeger. Viel zu oft seien meldepflichtige Ereignisse in der öffentlichen Darstellung überhöht worden, findet er.
Wenn Menschen Angst vor der Atomkraft haben, müsse man das ernst nehmen, so Jaeger. Diese Angst aus einem bestimmten Interesse heraus weiter zu schüren, sei aber falsch. "Wir alle leben hier in der Gegend. Denken unsere Kritiker ernsthaft, wir würden dann mit unserer Verantwortung leichtfertig umgehen? Es ist doch auch unsere Heimat. Wir sind es, die Isar 2 sicher betrieben haben."
Atomkraftgegner aufgeschreckt durch neue Atom-Debatte
Am ersten Wochenende im März, genau 42 Tage vor der Abschaltung, haben sich mehrere Atomkraftgegner um das Gelände von Isar 2 versammelt. Sie sprechen von einer "Risikotechnologie", wollen dagegen ein Zeichen setzen. Mit angekündigten Kundgebungen, aber auch mit "zivilem Ungehorsam", wie eine Aktivistin der Initiative "Runterfahren“ erklärt. Manchmal sei das eben notwendig.
Mehrere Gruppen versuchen also, Zufahrtswege zum Kraftwerk zu blockieren. Teils erfolgreich, vor allem wichtige Verbindungsstraßen werden aber von der Polizei abgesichert. Die spricht von einer weitgehend friedlichen Protestaktion, muss nur dann stärker eingreifen, als Aktivisten versuchen, mit Rohren eine Straßensperre zu errichten. Es folgen mehrere Anzeigen.
Seit mehr als zehn Jahren ist der Atomausstieg beschlossene Sache. 2011 hat die schwarz-gelbe Koalition unter Angela Merkel den schrittweisen Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen. Im Herbst 2022 dann eine letzte Gnadenfrist – dreieinhalb Monate Aufschub, wegen der Energiekrise. Die Protestbewegung hat das wachgerüttelt. Ich dachte, ich brauche meine Demo-Utensilien nie wieder", sagt eine Demonstrantin. Viele sind an diesem Samstag sicher: Sie werden noch einmal laut.
Mindestens bis zum Atomausstieg, vielleicht auch noch länger, sollten Forderungen aus der Opposition nicht abreißen, dem Ausstieg noch einen weiteren Aufschub zu gewähren. "Wenn tatsächlich Laufzeitverlängerungen beschlossen werden oder im Herbst über ein Wiederanfahren der Atommeiler nachgedacht werden sollte, werden wir mit noch viel mehr Menschen wiederkommen und entschlossenen zivilen Ungehorsam leisten", so Clara Tempel, Sprecherin der Initiative "Runterfahren".
Ein roter Knopf für den Ausstieg
Am 15. April wird hier auf der Warte ein langer und aufwendiger Prozess eingeleitet. Oft schon wurde Isar 2 für Revisionen heruntergefahren, um dann, Tage oder Wochen später, wieder ans Netz zu gehen. Diesmal ist es endgültig.
Am Ende besiegelt ein abschließender Druck auf einen roten Knopf den Atomausstieg. "ReSA" steht darauf - "Reaktorschnellabschaltung." Wer ihn drücken wird, ist noch offen. Klar ist: Es wird ein historischer Knopfdruck. Eine Zäsur in der Bundesrepublik, die auf den Ausbau der erneuerbaren Energien wie Solar- und Windkraft und den Ausstieg aus fossilen Quellen und der Kernkraft setzt. Aber auch für die Belegschaft der Kraftwerke.
Stefan Zöttl und Franz Jaeger werden auch in Zukunft hier arbeiten. Ihre Erfahrung wird beim Rückbau gebraucht, sagen sie. Wer nicht in Rente geht, wird von der Betreiberfirma Preussen Elektra weiter beschäftigt. Im Moment ist sie noch Energiedienstleister. In sechs Wochen dann ein reines Rückbauunternehmen.
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