Drei Tage lang hatte die ermüdende Zugfahrt aus Istanbul gedauert und dann das: Als Dursun Düzer im Winter 1963 in Füssen aus der Bahn klettert, da liegt im Allgäu mehr als ein Meter hoher Schnee. Das hatte der junge Mann bis dahin noch nie gesehen.
Zimmer mit kaputter Heizung und Löchern an der Decke
Zum Wundern aber bleibt kaum Zeit, denn Dursun Düzer ist zum Arbeiten nach Füssen gekommen, hat als gelernter Textilfacharbeiter eine Anstellung in der örtlichen Hanffabrik bekommen. Und so wird der erste türkische Gastarbeiter in Füssen auch vom Firmenleiter persönlich am Bahnhof empfangen und in einem kleinen, spärlich eingerichteten Zimmer untergebracht. "Heizung und Kühlschrank waren zwar vorhanden, funktionierten aber nicht. Und an der Zimmerdecke waren Löcher", erinnert sich Dursun Düzer.
Geld sicher unter dem Teppich aufbewahrt
Etwa 157 DM waren in seiner ersten Lohntüte, das war weniger Geld, als es der junge Mann von der Türkei kannte. Aber das sollte sich bald ändern. Und weil Dursun Düzer noch kein eigenes Bankkonto hatte, da versteckte er dieses Geld unter dem Teppich. "So machten es auch später noch viele Gastarbeiter in Deutschland", erzählt Düzer.
Bild einer Kuh bringt Ärger mit Frau ein
Die ersten Jahre tut er sich schwer mit der deutschen Sprache. Da es keinen Sprachkurs gibt, behilft sich der 23-Jährige mit mitgebrachten Bildern im Hosentaschenformat. Einer Frau zum Beispiel zeigt er das Foto einer Kuh, die daraufhin verärgert reagiert, dachte sie doch an eine Beleidigung. Dursun Düzer aber wollte lediglich wissen, ob das Fleisch auf seiner Semmel von einem Rind oder von einem Schwein stammt. Darüber amüsiert er sich bis heute.
Gastarbeiter wird Dolmetscher der Community
Als Monate später weitere Gastarbeiter aus der Türkei in Füssen eintreffen, wird Dursun Düzer für sie zum Vorsteher - ein sogenannter "Baskan". Er dolmetscht bei Ämtern, bei Ärzten und bei der Polizei. Für seine Landleute prüft er Kreditverträge. Wenn Kinder geboren werden, macht er die benötigten Übersetzungen für die Geburtsurkunden.
Heute hat Dursun Düzer drei erwachsene Kinder und ist dreifacher Opa. Und noch immer fühlt sich der inzwischen 83-Jährige in Füssen zuhause. "Kaum bin ich in Istanbul, wo ich die Winterzeit verbringe, da vermisse ich es schon wieder. Füssen ist meine zweite Heimat."
Dieser Artikel ist erstmals am 18. Dezember 2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
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