So wie Alfred Gerlach geht es vielen, die aktuell ein Fahrrad kaufen wollen, speziell bei E-Bikes. Im ersten Halbjahr wurden deutschlandweit 1,2 Millionen davon verkauft (plus 9,1 Prozent), wie der Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) in dieser Woche bekannt gegeben hat. Wären mehr Räder verfügbar gewesen, hätten laut ZIV auch mehr verkauft werden können. Doch die Hersteller kommen kaum hinterher.
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Branchenexperte erwartet Preissteigerungen von 15 bis 25 Prozent
Egal ob Rahmen, Bremsen oder Mikrochips – die vorwiegend in Asien produzierten Bauteile sind knapp. "Ein Fahrrad besteht aber aus rund 1.000 Einzelteilen", erklärt Ernst Brust, Technischer Geschäftsführer des ZIV. Der Schweinfurter ist seit 40 Jahren in der Fahrradbranche aktiv. Angesichts der angespannten Lage bei Rohstoffen wie Stahl oder Aluminium sowie generell von Komponenten und Teilen rechnet er damit, dass sich die Situation im nächsten Jahr noch weiter zuspitzt. Dazu kommen die gestiegenen Preise bei Schiffscontainern, die sich laut Brust teilweise verzehnfacht haben. "Also werden sich auch die Endverbraucherpreise erhöhen. Man schätzt zwischen 15 und 25 Prozent", so Brust.
Langfristige Produktionsplanung
Dass der Markt für Elektrofahrräder noch lange nicht gesättigt ist, glaubt auch Winora-Chef Christoph Mannel. Die Fahrrad-Traditionsfirma mit Sitz in Sennfeld bei Schweinfurt hat mit ihrer sportlichen Marke Haibike als erste in der Branche aufs E-Mountainbike gesetzt. Sie planen schon jetzt drei Jahre im Voraus für das Modelljahr 2024. Das liege weniger an Corona als an langfristigen gesellschaftlichen Trends wie Nachhaltigkeit, Urbanisierung und Gesundheit.
Keine zuverlässigen Lieferzeiten
So wie Winora konzentrieren sich die meisten deutschen Fahrrad-Hersteller, darunter viele bayerische Firmen wie Cube aus der Oberpfalz oder Pexco aus Unterfranken, auf die Produktion der höherpreisigen und besonders gefragten E-Bikes. Haben die Händler sonst im Herbst die Ware für das nächste Frühjahr geordert, werden jetzt schon die Bestellungen für 2023 aufgegeben. "Ohne wirklich zu wissen, wie die Modelle aussehen", beschreibt Jürgen Schneider, Fahrradhändler aus Schweinfurt die Situation. Gleichzeitig wartet er wie viele seiner Kollegen noch immer auf bereits im vergangenen Jahr bestellte Ware: "Es gibt momentan quasi keine Lieferzeiten mehr."
Kunden müssen sich an Lieferzeiten gewöhnen
Einfach so ein Fahrrad beim Händler des Vertrauens kaufen, wie man es noch "vor Corona" gewöhnt war, funktioniere nicht mehr, bestätigt auch Uwe Wöll, Geschäftsführer des Fahrradfachverband Verbund Service und Fahrrad (VSF). "In vielen anderen Branchen wie bei Möbeln oder Neuwagen sind Wartezeiten akzeptiert. Die Kunden werden sich auch bei Fahrrädern an Lieferzeiten gewöhnen müssen", so Wöll. Oder das nehmen, was noch in den Läden steht. Denn die Lager von Produzenten und Händlern wurden im letzten Jahr leergekauft.
Dienstrad-Leasing befeuert E-Bike-Geschäft
Die früher üblichen Rabattaktionen im Herbst wird es bei Fahrradhändler Jürgen Schneider deshalb auch nicht geben. Etwa 3.000 Räder verkauft er pro Jahr in seinem Fahrradfachmarkt Schauer, mehr als die Hälfte davon sind E-Bikes. Neben Corona hat bei ihm vor allem auch das Dienstrad-Leasing das Geschäft mit den E-Bikes angekurbelt. Das belegen auch Zahlen des Bundesverbands Zukunft Fahrrad (BVZF): Demnach haben sich in den vergangenen Jahren die Verträge dazu jedes Jahr etwa verdoppelt. Rund 700.000 seien in diesem Jahr abgeschlossen worden und fast 90 Prozent der geleasten Räder seien mit Elektroantrieb. Somit macht das Dienstrad-Leasing laut BVZF gut 20 Prozent des E-Bike-Absatzes aus.
Gestiegene Nachfrage bei Lastenrädern
Ebenfalls auf dem Vormarsch sind Lastenräder – dank Kaufprämien und Elektroantrieb. Rund 103.000 Cargobikes wurden im Jahr 2020 in Deutschland verkauft, gut drei Viertel davon mit einem Elektroantrieb, schätzt der Zweirad-Industrie-Verband. Das entspricht einem Wachstum von rund 35 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Bei der Eurobike in Friedrichshafen sind sie in einer Sonderausstellungsfläche vorgestellt worden, vom einklappbaren City-Cargobike bis zum ergonomischen Kindertransporter.
Gerade bei Kurzstrecken sieht die Branche noch große Wachstumschancen für E-Lastenräder. "70 Prozent aller Fahrten mit dem Auto sind eigentlich relativ kurz und eigentlich rational nicht wirklich zu rechtfertigen", sagt ZIV-Geschäftsführer Burkhard Stork. Bundesweite Kaufprämien für Privatleute, wie zuletzt von den Grünen im Wahlkampf gefordert, könnten dabei helfen: "Wir wollen eine Umsteigerprämie."
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Alfred Gerlach ist nach einem Jahr Suche übrigens doch noch bei Fahrradhändler Jürgen Schneider in Schweinfurt fündig geworden: Zwar ist es nicht sein Wunschmodell, aber ein E-Bike, das seinen Anforderungen hinsichtlich Akku, Drehmoment und Reifen am nächsten kommt. Flexibel sein, Kompromisse eingehen und mehrere Vertriebshändler anfragen – genau das raten auch Handel und Industrie den Verbrauchern.
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