München, Olching, Nürnberg, Vaterstetten – das sind nur einige Kommunen, die derzeit über die Einführung des Klimanotstandes diskutieren. In anderen Kommunen, vor allem in Nordrhein-Westfalen, gilt der "Notstand" bereits. Das führt zu Fragen und Skepsis bei BR24-Nutzern.
So fragt Clara: "Gibt's dann Fahrverbot, müssen Fabriken die Produktion einstellen?" Und Claus schreibt: "Soll das heißen, dass dann Notstandsverordnungen erlassen werden dürfen, Grundrechte ausgesetzt und demokratische Regelungen umgangen werden dürfen?"
Klimanotstand: Vorbild "Climate Emergency"
Der Ursprung des Begriffes Klimanotstand liegt im Englischen. Von dort ist "Climate Emergency" ins Deutsche gewandert. Der ehemalige US-Vizepräsident und Klimaaktivist Al Gore verwendete den Begriff bereits in den frühen 2000er-Jahren. Gore wollte nicht nur von einer Klimakrise sprechen, sondern einen Begriff prägen, der eine bis dahin "unbekannte Dringlichkeit" vermittle. Deshalb das Wort "Emergency", also Notfall oder Notstand.
Begriff "Notstand" soll Dringlichkeit des Klimawandels zeigen
In Melbourne fand im Juni 2009 eine Demonstration mit dem Titel "Climate Emergency" statt. Seither verbreitete sich der Begriff in mehreren englischsprachigen Ländern. Es war also von Anfang an ein Begriff, den Aktivisten prägten. Auch nachdem zahlreiche internationale Städte seit 2018 den "Klimanotstand" ausgerufen hatten – vorwiegend Kommunen in Großbritannien, später in den USA, Kanada und weiteren europäischen Staaten, hatte der Begriff keine rechtliche Anbindung an die Notstandsgesetze der jeweiligen Staaten.
Konstanz erste deutsche Stadt mit "Klimanotstand"
In Deutschland war Konstanz am Bodensee die erste Kommune, die den Klimanotstand im Stadtrat beschloss. In Bayern war es Erlangen. In beiden Städten handelten die Verantwortlichen auf Betreiben der Fridays-for-Future-Bewegung den "Notstand" aus.
Was bedeutet Klimanotstand?
Der Begriff "Klimanotstand" ist in Deutschland rechtlich nicht verankert. Auch der Begriff "Notstand" taucht im Grundgesetz - im Gegensatz zur Weimarer Republik - nicht mehr auf. Für den Katastrophenfall sowie für den Verteidigungsfall gibt es jedoch Szenarien, die einer Notstandsgesetzgebung gleichkommen. Ist das der Fall, können beispielsweise Grundrechte eingeschränkt, die Gewaltenteilung teilweise aufgehoben oder demokratische Prozesse verkürzt werden. (im GG u.a. Art. 35, 81, 91, 135, 115)
Im rechtlichen und politologischen Sinne bedeutet ein Notstand eine Ausnahmesituation, die nicht mehr auf normalem, also auf einem von der Verfassung vorgesehenen Weg, beseitigt werden kann. Im Grundgesetz sind Naturkatastrophen oder der militärische Verteidigungsfall Voraussetzungen dafür. Für den Klimanotstand gilt das nicht.
Wer ruft Klimanotstand aus?
Bisher riefen in Deutschland Städte und Gemeinden den Klimanotstand aus. In der Regel in Stadt- oder Gemeinderatsbeschlüssen. In Großbritannien erkannte, neben zahlreichen Kommunen, auch das Unterhaus den "climate emegency" an. Weltweit war es das erste Parlament, das sich entsprechend äußerte. Die britische Regierung wollte jedoch keinen Klimanotstand ausrufen.
Derzeit berufen sich Städte und Gemeinden, die den Klimanotstand erklären, auch nicht auf ein übereinstimmendes Paket an Forderungen. Jedoch erwähnen die meisten Kommunen, dass sie den menschengemachten Klimawandel und dessen Drastik anerkennen. Entsprechend verschreiben sich die entsprechenden Kommunen dem Ziel des Weltklimarats IPCC, den Klimawandel auf 1,5 Grad Celsius zu deckeln. Diese beiden Punkte sind sozusagen der kleinste gemeinsame Nenner im Klimanotstand.
Rechtlich Bindend?
Die Frage, wie Landesregierungen den Klimanotstand werten, zeigte Anfang Juli eine kleine Anfrage der AfD in Nordrhein-Westfalen. Auf die Frage, ob sich aus dem Klimanotstand Sonderrechte für Kommunen ergeben, antwortete die Regierung: "Durch die Ausrufung des 'Klimanotstandes' als symbolische Maßnahme im Rahmen kommunaler Selbstverwaltung erwachsen einer Kommune keine besonderen Rechte."
Die Regierung betonte jedoch auch, dass der Begriff "Klimanotstand" rechtlich nicht missbräuchlich verwendet wird.
Klimanotstand Thema im Bundestag
Im Bundestag läuft noch bis zum 23. Juli eine Petition, die die Ausrufung des Klimanotstandes noch in diesem Jahr von der Bundesregierung fordert. Mehr als 50.000 Personen unterschrieben bereits. Dadurch sind die Chancen, dass sie im Petitionsausschuss des Bundestages diskutiert wird, hoch. Einen Antrag der Fraktion Die Linke, den Klimanotstand anzuerkennen und sofortige Maßnahmen zum Klimaschutz zu verabschieden, hatte der Bundestag Ende Juni abgelehnt.
Klimanotstand als Symbolpolitik?
Der Bayerische Gemeindebund nennt den Klimanotstand Symbolpolitik und lehnt den Begriff daher ab. Zugleich fordert der Städte- und Gemeindebund auf der Bundesebene die Erarbeitung eines Masterplans Klimaschutz.
Klimanotstand – von Kommune zu Kommune unterschiedlich
Gemeinden und Städte behandeln den Klimanotstand durchaus unterschiedlich. So ist Köln die erste Millionenstadt in Deutschland, die den Notstand ausrief. In ihrem Stadtratsbeschluss von Anfang Juli wiederholt die Stadt jedoch bereits getroffene Verpflichtungen, beispielsweise den CO2-Ausstoß entsprechend der Bundesvorgabe bis zum Jahr 2030 auf 50 Prozent im Vergleich zu 1990 zu reduzieren. Darüber hinaus schreibt die Stadt fest, dass städtische Maßnahmen auf ihre Auswirkungen auf das Klima hin beurteilt werden sollen. Inwiefern eine potenziell negative Auswirkung zum Beispiel zu einem Baustopp führen würde, legt der Beschluss nicht fest.
Ähnliches gilt für Erlangen. Auch hier ist eine Einordnung nach Klimaschutzaspekten vorgesehen. Im Gegensatz zu Köln, das keine finanziellen Mittel zusätzlich aufwenden möchte, plant die Stadt Erlangen, für 100.000 Euro eine Studie in Auftrag zu geben. Sie soll erarbeiten, in welchen Bereichen die Stadt klimapolitisch nachbessern kann, um das 1,5-Grad-Ziel für das Stadtgebiet zu erreichen.
Der Konstanzer Stadtrat wiederum beschloss konkrete Schritte, zum Beispiel Klimaneutralität bei Neubauten, Verminderung des Individualverkehrs oder Verzicht auf städtisches Feuerwerk.
Fazit: Der Klimanotstand ist kein rechtlich bindendes oder verfassungsrechtlich festgeschriebenes Handlungspaket, sondern eine Art Selbstverpflichtung, die sich Gemeinden in Anbetracht des menschengemachten Klimawandels selbst auferlegen. Ob es sich bei den bisher ausgesprochenen Klimanotständen um Symbolpolitik handelt, wird sich erst noch zeigen. Denn bei Symbolpolitik handelt es sich um politische Entscheidungen, deren Wirkung nicht messbar ist. Ob das Ausrufen eines Klimanotstandes eine tatsächliche Änderung im CO2-Ausstoß über die schon beschlossenen Verpflichtungen hinaus nach sich zieht, wird sich frühestens nach einigen Jahren zeigen.
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