Ihr kleiner Korbinian hat von Geburt an eine Hirnschädigung und kämpft mit lebensbedrohlichen epileptischen Anfällen. Rund um die Uhr braucht der Bub fachgerechte Betreuung und zahlreiche Geräte wie zum Beispiel einen speziellen Stuhl. Die Familie erlebt das Bemühen um solche Hilfsmittel als zermürbenden Kampf. Vor allem mit den Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherungen (MDK) sind die Lechleuthners oft nicht einverstanden.
MDK-Gutachten bereiten Entscheidungen vor
Gezahlt werden derartige Hilfsmittel von der Krankenkasse, teils auch von der Pflegeversicherung. Bevor die Leistungsträger entscheiden, holen sie in komplexen Fällen Gutachten des Medizinischen Dienstes ein. Denn der MDK ist der sozialmedizinische Beratungs- und Begutachtungsdienst der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung. Organisatorisch ist der MDK seit einigen Jahren eine eigenständige Körperschaft des öffentlichen Rechts. Der MDK soll dafür sorgen, dass die Leistungen der Kranken- und der Pflegeversicherung nach objektiven medizinischen Kriterien allen Versicherten zu gleichen Bedingungen zugutekommen.
In der Praxis hat es deshalb oft weitreichende Folgen, wenn der MDK die Notwendigkeit von Hilfsmitteln verneint.
Über 37.000 Menschen unterstützen die Petition
Mittlerweile haben über 37.000 Menschen die Petition von Carmen und Thomas Lechleuthner unterschrieben. Viele tausende Behinderte und ihre Angehörigen, aber auch Ärzte berichten von ähnlichen Erlebnissen wie sie die Lechleuthners machen. Sie schildern, wie schwierig für sie die Versorgung mit Hilfsmitteln ist und wie sehr ihr alltägliches Leben dadurch belastet wird.
Viele Debatten mit Kasse und MDK
Der Fachbegriff für Korbinians Krankheit lautet schwere Cerebralparese mit neurogener Dysphagie. Dazu leidet er an Epilepsie. Der Vierjährige kann weder sprechen noch stehen. Auch seinen Kopf kann der Bub nicht alleine halten. Er braucht deshalb sehr viele Hilfsmittel. Für seine Eltern bedeutet das zu viele Schriftwechsel mit der Krankenkasse und dem Medizinischen Dienst, Vater Thomas Lechleuthner schildert ein Beispiel:
„Wir haben einen Autositz beantragt. Den braucht er. Korbinian hat keine Rumpfkontrolle. Er braucht eine Stütze, aber der entsprechende Gutachter vom MDK, ein Allgemeinmediziner, hat gemeint, das braucht er nicht. Wir machen ja eh nur Fahrten zum Arzt. Wir haben dann Widerspruch eingelegt. Und haben den Autositz letztendlich bekommen. Aber das war ein längerer Kampf“ Thomas Lechleuthner, Vater von Korbinian
Erst nach Widerspruch positives Gutachten
Den beantragten speziellen Autositz hat der MDK im Gutachten anfangs abgelehnt. Auch für die außerklinische Intensiv-Pflege von Korbinian sah der MDK erstmal keine Notwendigkeit, hat sie nach Widerspruch der Eltern letztendlich aber doch genehmigt. Denn auch wenn Thomas und Carmen Lechleuthner beide Ärzte sind, schaffen sie die rund-um-die-Uhr-Betreuung ihres Sohnes nicht ohne Unterstützung. Das sieht mittlerweile auch der MDK so.
Fast alle Gutachten nach Aktenlage
Darüber sind die Lechleuthners froh. Doch sie zermürbt der ständige Kampf um all die Dinge, die für Korbinian teils überlebensnotwendig sind. Denn die Ablehnung ihrer Anträge prägt ihren Alltag, versichert Carmen Lechleuthner. Sie kritisiert, dass der MDK häufig nach Aktenlage entscheidet.
„Wir haben 36 Gutachten und es war nur einmal ein Arzt für Hilfsmittel bei uns zuhause. Korbinian hat generell einmal einen Arzt vom MDK gesehen. Und das auch nur auf massiven Druck unsererseits. Also von sich aus hat sich der MDK bei uns ärztlicherseits nicht gemeldet. Wir hatten zwei Pflegegutachten, die sind personell durch Pflegekräfte passiert. Und es gab zwei Telefonate. Beide auch auf unsere Forderung hin.“ Carmen Lechleuthner, Mutter von Korbinian
Aktenlage nicht immer der richtige Weg
Auch Barbara Schachtschneider hat häufig mit dem MDK zu tun und täglich mit den Eltern schwerstkranker Kinder. Frau Schachtschneider leitet die Beratung beim AKH, der Stiftung Ambulantes Kinderhospiz München. Sie kennt ungezählte Entscheidungen nach Aktenlage und hält diese grundsätzlich für gangbar. Allerdings erinnert sie daran, die Aktenlage die Situation vor Ort nicht immer widerspiegelt. In solchen Fällen plädiert sie dafür, dass die MDK-Ärzte die Kinder direkt begutachten.
„Wir hatten schon Eltern, die mit ihren Kindern in die Kasse gefahren sind und wenn die Mitarbeiter die Kinder sehen, dann hat sich alles geändert.“ Barbara Schachtschneider, Stiftung Ambulantes Kinderhospiz München
Der Bayerische Rundfunk hat nachgefragt, ob über Hilfsmittel wie einen Spezialstuhl oder die Notwendigkeit einer außerklinischen Intensiv-Pflege per Aktenlage vom Schreibtisch aus entschieden wird. Professor Astrid Zobel, leitende Ärztin beim MDK, hält das Vorgehen grundsätzlich für in Ordnung:
"Der überwiegende Teil unserer Gutachten findet per Aktenlage statt und das ist auch gut und richtig so. Ich schätze die Gefahr der Fehleinschätzung, wenn wir eine gute Aktenlage haben, nicht besonders hoch ein. Das Problem besteht darin, dass wir nicht immer automatisch die notwendigen Befunde bekommen. Wir müssen da hinterherlaufen, wir müssen die anfordern. Und im Sinne der Versicherten können wir so einen Prozess nicht unnötig ausdehnen. Da müssen wir irgendwann sagen, es reicht jetzt die Aktenlage, damit wir zu einem Ergebnis kommen können. Und natürlich gibt es da die Situation, dass es grenzwertig ist. " Professor Astrid Zobel, leitende Ärztin beim MDK
Mutter moniert „fachfremde“ Gutachter
Zu Korbinian gibt es mittlerweile 36 Gutachten des MDK. Viele waren anfangs abschlägig. Korbinians Mutter Carmen Lechleuthner moniert, dass die Gutachten über ihren vierjährigen Sohn teils von Allgemeinärzten geschrieben wurden. Die sind ihrer Meinung fachfremd und damit nicht ausreichend qualifiziert.
Für MDK zählt hausinterne Weiterbildung
Der MDK räumt ein, dass Allgemeinärzte und Orthopäden zu den größten Facharztgruppen des Amtes zählen, sieht darin aber kein Problem. Für den MDK zählt vor allem die hausinterne Weiterbildung
„Unsere Gutachter sind alle aber auch Sozialmediziner. Das ist auch eine Qualifikation, die analog zu einer Fachgebietsbezeichnung mit einer Prüfung bei der Ärztekammer bestanden werden muss und wo spezifisches Wissen dafür erforderlich ist. Es ist für die Begutachtung in diesen Bereichen auch die Hauptkompetenz.“ Astrid Zobel, leitende Ärztin beim MDK
Petition fordert Änderungen beim MDK
Die Lechleuthners, beide selbst Ärzte, überzeugt diese Zusatz-Bezeichnung nicht. Sie beklagen die mangelnde Qualifikation der Gutachter und dazu die regelmäßigen Gutachten nach Aktenlage. Beides berge nach ihrer Auffassung zu viele Fehlerquellen. In ihrer Petition fordern sie, dass hier kräftig reformiert werden soll.
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