Statt zu pflegebedürftigen Senioren unterwegs zu sein, steht der kleine rote Flitzer vom Pflegedienst Helmer in Dingolfing auf dem Parkplatz. Sabine Helmer dreht den Schlüssel und es tut sich … nichts. Der Kleinwagen will nicht anspringen. Vielleicht hilft es ja, das Auto anzuschieben? Sabine Helmer versucht alles – und gibt sich dann doch geschlagen: Der Wagen startet nicht, "ums Verrecken nicht … weder im Ersten noch im Zweiten", resigniert sie.
Übrig bleibt ihr nur noch der Griff zum Überbrückungskabel – und zu hoffen, dass das Auto überhaupt noch mal startet und für eine Tour eingesetzt werden kann. Zugegeben: Er ist schon etwas in die Jahre gekommen, das weiß Sabine Helmer. So, wie die meisten Kleinwagen aus ihrer Fahrzeugflotte. Dass die Autos trotzdem noch weiterfahren können, ist wichtig, denn die Fahrzeugflotte vom Pflegedienst Helmer in Dingolfing steht sonst vor einem Problem, wie die Reportage von Kontrovers – Die Story zeigt.
Im Video: Kontrovers – Die Story: Fett, protzig, teuer: Autotrend killt Kleinwagen
Markt bietet kaum mehr neue Kleinwagen
An vier Standorten deckt ihr Pflegedienst ein Einzugsgebiet von knapp 600 Quadratkilometern ab, betreut täglich knapp 400 Personen. Da muss das Pflegepersonal mobil bleiben. 42 Kleinwagen hat der Pflegedienst Helmer aus Dingolfing für die 130 Beschäftigten im Einsatz. Oder 32 Autos … das kommt ein bisschen auf die Zählweise an, denn zehn Autos der Flotte sind gerade kaputt, müssten dringend gegen neue ausgetauscht werden. Doch das ist leicht gesagt: "Es ist eigentlich schon seit ein, zwei Jahren unmöglich, noch günstige Neuwagen zu bekommen", sagt Sabine Helmer.
Kleinwagen sind für Pflegedienste, wie jenen von Sabine Helmer, wichtig. Die Autos werden häufig für Kurzstrecken benötigt, müssen wendig sein und auch in der Stadt in kleine Parklücken passen, damit die Pflegekräfte mit möglichst wenig Zeitverzögerung zu den pflegebedürftigen Senioren kommen.
Kosten für teurere Neuwagen werden an Pflegebedürftige weitergegeben
Doch immer wieder fallen Kleinwagen aus und müssen repariert werden. Eigentlich hat Helmer noch viel zu tun, doch der Fuhrpark hält sie heute auf Trab: Ein weiterer Kleinwagen der Flotte macht Probleme.
Noch vor fünf Jahren habe es neue Kleinwagen für rund 12.000 Euro gegeben, erinnert sich Helmer. Inzwischen liegen die Preise deutlich höher. Zusätzliche Kosten, die der Pflegedienst allein nicht stemmen kann, erläutert die Geschäftsführerin des Pflegedienstes: "Wir müssen die Preise dann auch über die Investitionskosten an die Pflegebedürftigen weitergeben. Und die sind dann natürlich auch nicht begeistert, wenn die dann mehr dazu zahlen müssen." Darum ist Sabine Helmer bemüht, noch möglichst lange an den Bestandsfahrzeugen ihrer Flotte festzuhalten.
ADAC Autotest bestätigt: Nur noch vier Kleinwagenmodelle unter 15.000 Euro
Der ADAC Autotest hat sich vorgenommen, einen Vergleichstest zu machen mit allen Fahrzeugen unter 15.000 Euro. Projektleiter Martin Ruhdorfer musste feststellen: Bis zu dieser Preisgrenze gibt es auf dem deutschen Markt nur noch vier Kleinwagen-Modelle zu kaufen. "Alles, was irgendwie günstig war, ist eingestellt", so Ruhdorfer.
Der ADAC hat die Preisentwicklung für alle Kleinwagen in den vergangenen zehn Jahren nachgerechnet: Seit 2013 ist der durchschnittliche Kleinwagenpreis um knapp 70 Prozent gestiegen. Gleichzeitig sank das Angebot an Kleinwagen um 16 Prozent.
Kleinwagen: immer weniger Modelle produziert
Zwei der vier Kleinwagen hat der ADAC in Landsberg noch auf der Testfläche stehen: Dacia Sandero und Fiat Panda. Den Dacia Sandero konnte man noch 2014 für 6.000 Euro kaufen – inzwischen kostet er jedoch mehr als 11.000 Euro in der Basisausstattung und ist mit vier Metern Länge aus der Kategorie "Kleinwagen" beinahe schon herausgewachsen, sagt Ruhdorfer vom ADAC Autotest.
Ein Fahrzeug mehr, das für viele Unternehmen wie Pflegedienste, die auf Kleinwagen angewiesen sind, wegfallen dürfte. Und der Fiat Panda steht am Ende seiner Produktionszeit, wird bald nur noch für Privatkäufer und nicht mehr für Unternehmen wie Pflegedienste bestellbar.
Sowohl den Dacia Sandero als auch den Fiat Panda darf Kontrovers – Die Story ebenfalls testen (mehr dazu: im Video).
IAA in München: Schaufenster für den Autotrend
Die internationale Automobilausstellung IAA in München zeigt die neuesten Auto-Trends. Kleine, billige Autos, die sich für Pflegedienste anböten, sind hier eher kein Thema. Im Gegenteil: teuer und protzig kommt an beim Publikum. Schrumpft das Angebot, weil die Automobilindustrie zu wenig am Kleinwagen verdient? Das will Kontrovers-Reporter Ulrich Hagmann von der Präsidentin des Verbandes der deutschen Automobilindustrie (VDA) Hildegard Müller wissen.
Deutscher Automarkt nicht umsatzstark genug
Dass kleine Fahrzeuge enge Margen haben, bestätigt sie und begründet, warum die Fahrzeuge teurer werden: "Die Autohersteller bieten schon in diesem Segment auch Autos an, und sie forschen auch in diesem Segment. Aber diese Antriebswende erfordert auch ungeheuer hohe Investitionen. Das muss sich auch amortisieren." Hinzu komme, dass die Produktion in Deutschland teuer sei, wegen hoher Energie- und Lohnkosten. Auch das schlage auf die Preise durch.
Hinzu kommt, laut der Präsidentin des VDA, dass die Automobilbranche ihre großen Umsätze und Gewinne im Wesentlichen nicht in Deutschland mache, sondern auf wachsenden Auslandsmärkten. Eine Entwicklung, die Professor Lutz Fügener von der Hochschule Hof nur bestätigen kann. Er forscht zum Thema Design und Mobilität und hat das Größenwachstum der Autos wissenschaftlich untersucht.
Deutscher Automarkt abhängig von Automobiltrends anderer Länder
Der Wissenschaftler sieht mehrere Gründe, warum Autos in den vergangenen Jahrzehnten gewachsen sind: passive Sicherheit zum Beispiel durch Airbags, Elektronik und Knautschzonen am Fahrzeug zum Schutz von sowohl im Auto Sitzenden als auch Fußgängern.
"Und wir dürfen nicht vergessen, dass Größe auch immer noch Image ist. Diese konservative Sicht auf das Automobil ist vorherrschend an den Märkten, die jetzt gerade bestimmen, wie Autos aussehen. Das ist ja nicht dieser Markt hier bei uns." Prof. Lutz Fügener, Hochschule Hof
Weil sich die Produktion für den deutschen Markt laut dem Wissenschaftler nicht mehr für Autohersteller lohnt, sind wir von Trends anderer Märkte abhängig: "Wir müssen das nehmen, was momentan in China oder in den USA angesagt ist." Und dort geht der Trend zu größeren Autos.
ADAC: "Katastrophe, dass es kaum günstige Autos gibt"
Pflegedienste, wie der von Sabine Helmer in Dingolfing, haben in der Folge des Autotrends das Nachsehen. "Insgesamt ist es eine Katastrophe, dass es kaum noch günstige Autos gibt", bewertet Ruhdorfer vom ADAC Autotest die Entwicklung. Selbst wenn man auf alles Mögliche verzichte, was auch nur im entferntesten Luxus sei, sei man unter 15.000 Euro kaum noch dabei. Ruhdorfer weiter: "Vor fünf Jahren hat man irgendwo unter 10.000 Euro auch noch was bekommen – wenigstens irgendetwas. Da gibt es halt jetzt gar nichts mehr."
Der Pflegedienst Helmer aus Dingolfing hat sich deswegen im vergangenen Jahr zehn chinesische E-Autos bestellt, etwa in der Größe eines Smart. Noch warten sie auf die Lieferung der Fahrzeuge und müssen ihre alten Autos mit allen Mitteln weiter am Laufen halten.
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