Im vollbesetzten Goldenen Saal des Augsburger Rathauses redet Michel Friedman den Zuhörern ins Gewissen. Zusammen mit der ARD-Journalistin Natalie Amiri war Friedman von der Stadt Augsburg zu den "Augsburger Friedensgesprächen" eingeladen worden. Es geht um das Erstarken der AfD: "Was mir widerfahren könnte, wird uns allen widerfahren, wenn solche Parteien an die Macht kommen", so der Publizist und Autor, der drei Jahre lang auch stellvertretender Vorsitzender des Zentralrats des Juden in Deutschland war. "Spätestens in dem Moment bin ich nicht nur Jude, sondern Bürger und Mensch in diesem Land."
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"Wir sind immer noch die Mehrheit"
Mit der AfD habe erstmals ein "qualitativer Unterschied" in unserer Gesellschaft stattgefunden. Der Partei gehe es um den "Gang durch die Institutionen": "Wir wissen, dass sie in diesem Jahr in drei Bundesländern über 30 Prozent in den Umfragen haben. Gehts noch? Jeder Dritte wählt eine Partei, von der wir alle mittlerweile wissen, wessen Geistes Kind ihre Führung ist."
Zugleich betonte Friedman, dass die Gegner von Rechtsextremismus "immer noch die Mehrheit" seien: "Wenn wir doch nur so leidenschaftlich Demokraten wären, wie leidenschaftlich die Antidemokraten sind, dann würden wir hier nicht so bedeppert sitzen sondern sehr, sehr selbstbewusst sagen: Das kriegen wir noch hin. Aber dafür müssen wir es tun."
Journalistin Amiri kritisiert die Ampel-Parteien
Die Autorin Natalie Amiri forderte die Politik auf, sich nicht "permanent auf die AfD zu konzentrieren und sie nachzuahmen, sondern einfach ihre Aufgaben zu erfüllen. Die Strukturen in Deutschland stärken. Die Kitas stärken." Zum Teil sei die Ampel für das Erstarken der AfD verantwortlich: "Sie haben einfach eine irre schlechte Kommunikation. Sie moderieren nichts, sie leiten die Menschen nicht, sie erklären nichts. Ich komme mir vor wie in einem Kindergarten. Es geht nur um sie. Das Schlimme ist, dass sie immer weniger authentisch sind. Und das Schlimme ist, dass gleichzeitig die AfD in ihrem Hass enorm authentisch ist."
Als Beispiel nannte Amiri, die seit vielen Jahren aus und über den Iran berichtet, die von Außenministerin Annalena Baerbock verkündete feministische Außenpolitik: "Keine einzige Menschenrechtlerin aus Afghanistan ist seit 2022 über dieses Aufnahmeprogramm der Bundesregierung gekommen. Die Außenministerin hat sich nicht mit einer der lauten Frauenstimmen aus dem Iran und aus der Opposition getroffen, um über die iranischen Frauen zu reden, ihnen zu helfen." Baerbock habe nur leere Versprechen gemacht.
Friedman warnt vor Politiker-Bashing
Deshalb reiche es nicht, wenn Hunderttausende gegen Rechtsextremismus auf die Straßen gingen, so Amiri weiter: "Was passierte nach den Correctiv-Recherchen? Die AfD hat keinen einzigen Prozentpunkt verloren. Die Politik muss wieder ihre Aufgaben erfüllen. Sie dürfen sich nicht permanent um sich selbst drehen."
Friedman warnte jedoch vor überzogener Kritik, bei der nur noch radikal und zynisch über Politiker gesprochen werde. Kritik an Politik sei berechtigt, persönliche Anfeindungen seien aber kein demokratischer Diskurs mehr, sondern genau das, "was die Extremisten wollen", so Friedman: "Wenn uns dauernd erzählt wird, die Politiker und die Politikerinnen sind in Wirklichkeit nicht tätig für das Volk, sondern gegen das Volk, weil sie von irgendwelchen Kräften finanziert werden. Gehts noch?" Viele dieser Erzählungen würden am Ende im "Weltjudentum" enden, so Friedman. "Ich habe immer den Rechtsextremen und Judenhassern gesagt: Wenn wir doch so mächtig wären, wie ihr sagt, hätte es doch nie Auschwitz gegeben, oder?"
Beifall für Medienkompetenz als Schulfach
Amiri und Friedman thematisierten auch die enorme Reichweite der AfD auf Social Media, allem voran auf TikTok. "Mich regt vielmehr auf, dass die demokratischen Parteien in den sozialen Medien so unterrepräsentiert sind", sagt Friedman. Angesichts der vielen Fake-News fordert Amiri, das Fach "Medienkompetenz" an den Schulen zu etablieren. Ein Vorschlag, für den es vom Publikum viel Beifall gab. Kinder wüssten "überhaupt nicht mehr, was eine Quelle ist. Sie können es gar nicht mehr definieren. Sie fallen auf Fake-News rein." Auch die Medien sieht Amiri hier gefordert.
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