Während die USA am Sonntag erneut erklärten, sie hielten einen derartigen Militärschlag jederzeit für möglich, äußerten sich auch Politiker der deutschen Regierungskoalition zunehmend besorgt. "Es kann sein, dass wir kurz vor einem Krieg in Europa stehen", sagte Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler Robert Habeck dem TV-Sender Welt. Ähnlich äußerte sich dort SPD-Co-Chef Lars Klingbeil. "Wir können Krieg in der Mitte Europas abwenden", sagte er und fügte hinzu: "Es steht Spitz auf Knopf."
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wandte sich mit einem öffentlichen Friedensappell an den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Dieser hat wiederholt bestritten, Angriffspläne zu hegen. Der Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, bekräftigte hingegen im Sender CNN, nach US-Erkenntnissen sei ein militärisches Vorgehen Russlands gegen die Ukraine auch vor dem Ende der Olympischen Winterspiele in Peking am Samstag möglich.
Scholz: EU-Partner und Nato-Mitgliederstehen zusammen
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der am Montag nach Kiew und am Dienstag nach Moskau reist, warnte Russland am Sonntag vor einer militärischen Aggression. Dies würde zu "harten Reaktionen und Sanktionen führen". Die EU-Partner und Nato-Mitglieder stünden in dieser Frage zusammen, sagte der SPD-Politiker vor Journalisten. "Das heißt, dass niemand damit rechnen soll, dass wir auseinandergehen, sondern darauf, dass wir einheitlich handeln werden, in der EU und im Rahmen der Nato." Bei seinen Reisen gelte es auszuloten, wie der Frieden in Europa gesichert werden könne: "Dazu gehört, dass wir jetzt verstehen, dass es eine sehr, sehr ernste Bedrohung des Friedens in Europa ist, die wir gerade erleben."
Ein deutscher Regierungsvertreter sagte in Berlin, Scholz wolle Putin bei dem Antrittsbesuch den Ernst der Lage klar machen, "Dabei sollte die Geschlossenheit der EU, der USA und Großbritanniens nicht unterschätzt werden."
Sorgen um die Ukraine wachsen
In deutschen Regierungskreisen wurde allerdings der Eindruck zurückgewiesen, die Scholz-Visite in Moskau sei ein "letzter Versuch", einen Krieg abzuwenden. Auch die Nachrichtendienste würden nicht sagen, dass ein Angriff auf jeden Fall bevorstehe. Allerdings seien die Sorgen auch der Bundesregierung um die Ukraine gewachsen. Die russische Truppenansammlung an der Grenze könne nur als Bedrohung empfunden werden. Man höre, dass von Deeskalation geredet werde, was durchaus ein wichtiger Schritt sei. "Aber entscheidend ist, was auf dem Boden passiert", wird in Regierungskreisen betont. Es komme nun darauf an, dass Russland konkrete Schritte zu einer Entspannung unternehme.
Laut US-Außenminister Antony Blinken, der am Samstag mit seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow telefonierte, steht die Tür für eine diplomatische Lösung weiter offen. Voraussetzung sei aber, dass Russland zur Deeskalation bereit sei. Das sieht auch der frisch wiedergewählte Bundespräsident Steinmeier so. Er nutzte seinen Auftritt in der Bundesversammlung nach der Wahl zu einem Friedensaufruf: "Ich appelliere an Präsident Putin. Lösen Sie die Schlinge um den Hals der Ukraine, suchen Sie mit uns einen Weg, der Frieden in Europa bewahrt."
Bundeswirtschaftsminister Habeck fühlt sich angesichts der wachsenden Spannungen in seiner Haltung bestätigt, dass man der Ukraine Waffen zur Selbstverteidigung liefern sollte. Das passiere ja nun über den Umweg der Nato, sagte der Grünen-Politiker dem TV-Sender Welt. "Und die Ukraine kriegt ja Waffen. Dass Deutschland sich da zurückhält, also nichts an die Ukraine gibt, was letale Wirkung hat - also nichts, was schießt - habe ich zur Kenntnis genommen."
Russland hat über 100.000 Soldaten stationiert
Russland hat an der Grenze zur Ukraine mehr als 100.000 Soldaten zusammengezogen. Zudem hat das russische Militär Manöver mit dem Verbündeten Belarus nördlich der Ukraine sowie im Schwarzen Meer südlich des Landes begonnen. Russland hatte die Halbinsel Krim 2014 von der Ukraine annektiert und unterstützt Separatisten im Osten der Ukraine. Telefonate von Biden und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron mit Putin hatten am Samstag keinen Durchbruch erzielt. Die Regierung in Moskau hat westlichen Staaten vorgeworfen, eine "Propagandakampagne" zu führen und die Forderung Russlands nach einem Verzicht auf eine Aufnahme der Ukraine in die Nato zu ignorieren.
Angesichts des Marinemanövers Russlands auf dem Schwarzen Meer rät die Ukraine Airlines von Flügen in dieser Region ab. Diese Empfehlung gelte von Montag bis Samstag, teilte die ukrainische Luftverkehrsbehörde mit. Der Luftraum über ukrainischem Gebiet bleibe aber offen.
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