Wenn Frank Czaja klingelt, droht die Stimmung zu kippen. "Könnte ich mal reinkommen?", fragt Czaja vor der Eingangstür in die Sprechanlage eines Wohnhauses, "Gerichtsvollzieher". - "Oh Gott", antwortet eine Frau durch den Lautsprecher und öffnet doch die Tür.
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Seit über zehn Jahren arbeitet Czaja am Amtsgericht Nürnberg als Gerichtsvollzieher. Häufig ist er im Außendienst tätig und versucht, Schuldner persönlich zum Zahlen zu bewegen. Zu vielen habe er immer wieder Kontakt. Das sei zwar bedauerlich - aber so könne er die Menschen in gewisser Weise einschätzen. "Wobei das natürlich auch kein Garant ist, dass die jedes Mal gleich reagieren", fügt er hinzu.
Gewaltbereitschaft erheblich gestiegen
Immer öfter werden Gerichtsvollzieher bei ihren Einsätzen angegriffen. Die Gewaltbereitschaft ihnen gegenüber hat laut dem Bayerischen Gerichtsvollzieherbund erheblich zugenommen. Vor wenigen Jahren musste in Nürnberg das SEK anrücken, nachdem ein Mann einen Gerichtsvollzieher mit einer Waffe bedroht hatte. In Ansbach attackierte ein 33-Jähriger einen Gerichtsvollzieher in dessen Büro mit einem Messer und verletzte ihn schwer. Der Angreifer wurde später wegen versuchten Mordes zu acht Jahren Gefängnis verurteilt.
Im Video: Kontrovers - Die Story: Gerichtsvollzieher - Nur noch mit Schutzweste
"Kontrovers – Die Story" hat Gerichtsvollzieher Czaja bei seiner Arbeit begleitet. Im Fall der Frau, die ihn nach kurzem Schock in ihre Wohnung gelassen hat, verläuft alles harmlos. Bei ihr geht es um Schulden im hohen dreistelligen Bereich. Die bezahlt sie auch an diesem Tag nicht, sondern macht nur eine Vermögensauskunft. "Sie hat berichtet, warum sie jetzt in der Lage ist", erzählt der Gerichtsvollzieher nach dem Termin. Sie sei schwer erkrankt und jetzt auf dem Weg der Besserung.
Für seinen Auftrag spiele das keine Rolle. "Aber aus menschlicher Sicht ist es natürlich schon sehr tragisch", sagt Czaja. "Eine schwere Krankheit, davor ist ja niemand sicher." Oft befinden sich Schuldner in einer persönlich schwierigen Lebenssituation. Das kann Konflikte befeuern. Deshalb verläuft lange nicht jeder Termin so glimpflich.
Bessere Ausrüstung und Training zur Selbstverteidigung
Bayern hat auf das gestiegene Gewaltpotential reagiert: Seit Juli 2023 können sich Gerichtsvollzieher mit stichfesten Jacken und schusssicheren Westen ausrüsten. Die hat auch Czaja schon genutzt, vor allem bei Zwangsräumungen von Personen aus dem Reichsbürgermilieu. "Da war das, glaube ich, auch mehr als angemessen", sagt er.
Nicht nur eine bessere Ausrüstung soll Gerichtsvollzieher schützen. Im Ernstfall sollen sie sich auch körperlich wehren können. Bernd Heubeck leitet ein Selbstverteidigungstraining an der bayerischen Justizakademie im oberfränkischen Pegnitz. Angehende Gerichtsvollzieher aus Bayern, Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt werden hier auf Gefahren im Berufsalltag vorbereitet. Mit Übungs-Pfefferspray sollen die Anwärter schnell auf einen Dummy in einigen Metern Entfernung zielen. "Go!", ruft Heubeck und gibt dann Tipps, wie es besser funktioniert: "Ihr sprayt nicht mit dem Zeigefinger. Ihr nehmt den Daumen und immer kräftig drücken - ganz wichtig."
"Es war aber auch Zeit, dass wir diese Sachen bekommen"
Heubeck arbeitet selbst seit rund 20 Jahren als Gerichtsvollzieher. Als er angefangen habe, "war noch mehr Respekt da". Inzwischen sei der Ton rauer geworden. Dass er und seine Kollegen sich mit neuer Schutzkleidung ausrüsten können, hält Heubeck für einen Schritt in die richtige Richtung: "Es war aber auch Zeit, dass wir diese Sachen bekommen. Wir haben ein Messerproblem in Deutschland."
Die nächste Übung soll die angehenden Gerichtsvollzieher auf mögliche Angriffe von Schuldnern vorbereiten. "Wir hoffen natürlich, dass das nie passiert, dass niemand in diese Situation kommt", sagt Heubeck. "Aber wenn es dann doch so ist und ich muss mich wehren, dann muss ich auch dahin schlagen, wo es wehtut." Der Trainer macht es vor, mit der Handkante gegen den Kopf des Dummys. "Eins, zwei, drei", kommentiert Heubeck seine Schlagabfolge, "pam, pam, pam". Eine Anwärterin macht es ihm nach – erst noch etwas zögerlich, dann aber doch mit vollem Einsatz. "Jawoll", lobt Heubeck.
Nahkampftraining könnte Anwärtern später das Leben retten
Abschließend proben die angehenden Gerichtsvollzieher dann noch den Nahkampf. Mensch gegen Mensch - die Dummys haben Feierabend. "Er ist der Gerichtsvollzieher, ich bin der Angreifer", erklärt Heubeck das Szenario und zeigt Techniken, mit denen sich ein Angriff abwehren lässt. Anschließend üben die Anwärter untereinander, alle tragen Boxhandschuhe und Kopfschutz.
Eine Woche lang dauert der Selbstverteidigungskurs. Fühlen sich die Teilnehmer dadurch sicherer? "Definitiv", sagt einer von ihnen, "wenn man den Kontakt schon hatte, dann ist man besser darauf vorbereitet". Anstrengend und cool sei das Training gewesen, sagt eine andere Anwärterin, und auch ein wenig ungewohnt: "Man prügelt sich ja nicht jeden Tag." Was sie hier gelernt haben, könnte den angehenden Gerichtsvollziehern in ihrem zukünftigen Berufsalltag das Leben retten.
Zwangsräumungen: "Immer eine große Überraschung"
In Nürnberg zieht Czaja die schusssichere Weste über, er hat noch einen Termin – eine Zwangsräumung. Die sind oft besonders heikel und "immer eine große Überraschung", sagt der Gerichtsvollzieher: "Das ist natürlich auch mit vielen Emotionen verbunden, mit Frustration, mit Verärgerung." Hinzu kommt, dass er den Schuldner nicht kennt und ihn somit auch nicht einschätzen kann. Die schusssichere Weste soll ihn im Ernstfall schützen.
Czaja klingelt an der Wohnungstür - keine Reaktion: "Ich höre auch jetzt niemanden, dann können wir aufmachen." Während der Schlüsseldienst am Schloss hantiert, sagt Czaja: "Es riecht halt schon auch ein bisschen streng. Ich fürchte, es kommt aus der Wohnung." Der Schuldner ist anscheinend nicht da, entweder aus Zufall oder dauerhaft.
Der Schlüsseldienst öffnet die Tür. "Wahnsinn", sagt Czaja als er die Wohnung betritt. "Man kann ja auch mal Glück haben." Die Wohnung ist komplett leer. "Das kommt alle hundert Jahre mal vor", sagt der Gerichtsvollzieher. Er hatte aufgrund des Geruchs schon mit jeder Menge Müll und verdorbenen Lebensmitteln gerechnet: "Aber nichts. Na, Gott sei Dank." Der Schuldner ist bereits von selbst ausgezogen. In diesem Fall muss sich Czaja also nicht in Konfrontation begeben. Doch für den Gerichtsvollzieher wartet schon der nächste Einsatz in Nürnberg.
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