Es gibt Lebensmittel, die allein aufgrund des Preises mit historischen Ereignissen zusammenhängen. Klopapier war zu Beginn der Corona-Pandemie teuer. Der Preis für Speiseöl ging kurz nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine durch die Decke. Sind fallende Getreidepreise der Anfang vom Ende der Inflation?
Erzeugerpreise sinken zum dritten Mal in Folge
Die Hoffnung auf eine Trendwende nähren Daten des Statistischen Bundesamtes. Im Vergleich zum Vorjahr sanken die Erzeugerpreise für landwirtschaftliche Produkte laut der Wiesbadener Behörde auch im Juni. Und zwar das dritte Mal in Folge. Die Landwirte erhielten für ihre Waren im Schnitt 4,9 Prozent weniger als ein Jahr zuvor.
Die Preise für pflanzliche Erzeugnisse verringerten sich im Vergleich zum Vorjahr im Juni um insgesamt 11,7 Prozent. Dabei handelt es sich um die Verkaufspreise ohne Umsatzsteuer, die direkt an die Landwirte als Erzeuger gezahlt werden. Vor allem bei Getreide gab es einen deutlichen Preisrückgang.
Brot, Mehl und Backwaren bald deutlich günstiger?
Und jetzt? Werden Brot, Mehl und Backwaren deutlich günstiger? Aldi Süd jedenfalls verspricht, günstigere Einkaufspreise direkt an die Kunden weiterzugeben. "Aldi bleibt dem Discount-Prinzip treu und reduziert selbstverständlich auch die Verkaufspreise, wenn die Einkaufspreise sinken", sagte eine Sprecherin BR24. So habe Aldi seit Jahresbeginn bereits über 1.500 Produkte wie Molkereiprodukte, Nudeln oder auch Speiseöl dauerhaft im Preis gesenkt, so die Sprecherin. Konkret will Aldi aber nicht werden: "Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir weder die Einkaufs- noch die Verkaufspreise einzelner Artikel oder Warengruppen kommentieren können."
Verbraucherschützerin: "Manche Preissteigerungen nicht gerechtfertigt"
Die Verbraucherzentrale Bayern ist skeptisch. "Manche Preissteigerungen bei Lebensmitteln sind weder gerechtfertigt noch nachvollziehbar", sagt Daniela Krehl von der Verbraucherzentrale. Konkret kann sie keine Produkte benennen, da die Preisgestaltung intransparent und sehr komplex sei.
Dass die Preisgestaltung von Aldi, Lidl und Co. Geschäftsgeheimnis ist, liegt in der Natur der Sache. Und dennoch fordert Verbraucherschützerin Krehl, dass die Politik nicht wegschaut. "Derzeit ist unklar, wie sich Lebensmittelpreise bilden und wo Gewinne zu Lasten der Verbraucherinnen und Verbraucher mitgenommen werden", sagt Krehl. Daher müssten Politik und Bundeskartellamt die Preisentwicklung genauer untersuchen. Ob sich die günstigeren Einkaufspreise tatsächlich für die Kunden bemerkbar machen - dahinter setzt Daniela Krehl ein großes Fragezeichen.
Das Bundeskartellamt und der Lebensmittelbereich
Tatsächlich hat sich das Bundeskartellamt immer wieder mit dem Lebensmittelbereich befasst. Meistens geht es um kartellrechtliche Verstöße oder Beschränkungen des Wettbewerbs. Vor Jahren hat das Kartellamt die bekannten Verfahren in Bereichen wie Bier, Wurst, Zucker oder Kaffee geführt und empfindliche Bußgelder verhängt. Auch im Rahmen der Fusionskontrolle ist der Lebensmittelbereich regelmäßig Gegenstand von Prüfungen. Prominentes Beispiel: die Untersagung der Übernahme von Kaiser's Tengelmann durch Edeka im Jahr 2015, die nur durch eine Ministererlaubnis später noch zustande kam.
Kartellamt: "Wir sind keine Preiskontrolleure"
Jüngst seien beim Bundeskartellamt auch Beschwerden zu Preissteigerungen eingegangen, teilt die Behörde mit. Doch hohe Margen allein reichten für ein Eingreifen nicht aus. Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes, sagt im Interview mit BR24: "Wir beobachten die inflationsgetriebene Entwicklung sehr genau. Natürlich können starke Marktstellungen - ob auf Händler- oder Herstellerseite - auch Spielräume eröffnen, die Margen hochzuhalten oder sogar zu vergrößern."
Das Kartellamt beobachtet demnach den Markt und befragt auch Händler und Hersteller zur Preisgestaltung. "Allerdings sind wir auch keine Preiskontrolleure und können eine Preissenkung nicht einfach so anordnen", stellt der Präsident des Bundeskartellamts klar. "Inflationsbekämpfung ist nicht die Aufgabe der Wettbewerbsbehörden, sondern der Zentralbanken. Wir können nur Symptome bekämpfen." Vielmehr gehe es darum, den Wettbewerb zu bewahren, denn auch dieser führe häufig zu günstigeren Preisen.
Fallende Getreidepreise nur eine Momentaufnahme?
Ob also die günstigeren Einkaufspreise für Getreide vollständig dem Verbraucher zugutekommen, bleibt ungewiss. Ebenso unsicher bleibt, ob der Preisrückgang beim Getreide anhält oder nur eine Momentaufnahme ist. Bei Obst und Gemüse etwa sieht es anders aus. Hier stiegen die Erzeugerpreise nach Angaben des Statistischen Bundesamtes. Das heißt: Der Preisrückgang beim Getreide ist noch lange kein Indikator dafür, dass auch insgesamt die Preise fallen. Ähnlich war es zu Beginn des Jahres, als der Butterpreis massiv gefallen war und seitdem günstig geblieben ist.
Wie Kunden bestimmte Preise wahrnehmen
Zwar sind Butter und Getreideprodukte wie Mehl sogenannte Eckpreisartikel. Das heißt: Kunden orientieren sich an diesen Preisen und wenn der Supermarkt dort günstig ist, gibt das den Kunden ein gutes Gefühl, dass der gesamte Laden günstig ist. Günstige Eckartikel und alles andere überteuert funktioniert natürlich nicht - das würden die Kunden leicht durchschauen. Aber Supermärkte und Discounter versuchen deshalb, ihre Preise für Eckartikel niedrig beziehungsweise niedriger als die Konkurrenz zu halten. Sollte also Aldi tatsächlich die Preise für Mehl und Backwaren senken, dürfte die Konkurrenz nachziehen. So war es auch bei der Butter Anfang des Jahres.
Bauernverband: Historisch hohe Ernte aus Russland
Woher kommt der deutliche Rückgang beim Getreidepreis? Marktbeobachter führen gesunkene Energiepreise ins Feld. Die Kosten seien für Landwirte also nicht mehr so hoch. Der Bayerische Bauernverband (BBV) erklärt das auf Nachfrage anders: "Russland hatte im Wirtschaftsjahr 2021/22 eine historisch hohe Ernte eingefahren", so BBV-Marktexperte Andreas Löbhard zu BR24. Mit Blick auf das Überangebot aus Russland muss man erwähnen: Möglicherweise befindet sich darunter tonnenweise erbeuteter Weizen aus der Ukraine. Der Preissturz liegt also an einem Überangebot am Weltmarkt.
Weizen als Spekulationsobjekt
Der Haken an der Sache: Damit kann es auch schnell wieder vorbei sein. Schon jetzt kündigt sich eine schlechte Weizenernte in Bayern an. Wegen des vielen Regens in den vergangenen Wochen ist die Qualität des Weizens so schlecht, dass er teils nur noch als Futterweizen verwendet werden kann. Das bestätigt auch BBV-Experte Andreas Löbhard. Und sobald es wieder zu Engpässen aufgrund des Krieges in der Ukraine kommt, kann Weizen am Weltmarkt wieder sehr teuer werden - und zwar über Nacht, weil auch Weizen an der Börse gehandelt wird.
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