Die schwedische Klimaschützerin Greta Thunberg demonstriert oft und meistens medienwirksam – in Lützerath wurde sie beim Protest gegen den Braunkohle-Abbau kurz in Polizeigewahrsam genommen. Doch Thunbergs aktueller Auftritt wirft auf den ersten Blick viele Fragen auf: Die 20-Jährige protestiert in Norwegen gegen einen großen Windpark, der zu einem guten Teil den Stadtwerken München (SWM) gehört.
"Kolonialismus"-Vorwurf: Windpark beeinträchtig Rentierzucht
Die Anlage liegt auf der Halbinsel Fosen an Norwegens Westküste, der Windpark besteht aktuell aus 151 Windrädern. 71 davon sind seit knapp zwei Jahren im Besitz der SWM und eines Unternehmens, das aus norwegischen Kommunen besteht. Das Problem: Der Windpark steht auf einem Gebiet, das vom indigenen Volk der Samen seit langem zur Rentierzucht genutzt wird. Im norwegischen Fernsehen sagte Thunberg am Montag: "Wir können den Klimawandel nicht als Deckmantel für Kolonialismus missbrauchen."
Das Volk der Samen umfasst rund 100.000 Menschen, die in Schweden, Finnland, Norwegen und im Nordwesten Russlands leben. Ihre Kultur wurde früher unterdrückt, sie durften ihre Muttersprache nicht sprechen. Heute führen die Samen einen überwiegend modernen Lebensstil, züchten aber immer noch Rentiere. Ein Teil von ihnen lebt davon auch.
Schon lange demonstrieren die Samen gegen die Windkraft-Anlage, weil sie ihre Rechte als Urbevölkerung beschnitten sehen. Dem Protest in Oslo hat sich Thunberg angeschlossen. Am Montag blockierte die Gruppe den Eingang zum Energieministerium, zeigte ein Poster mit der Aufschrift "Land zurück". Am heutigen Dienstag demonstrierten die Aktivistinnen und Aktivisten vor dem Finanzministerium, wurden schließlich von Polizisten weggetragen.
Thunberg-Protest: Eigentlich gibt es schon ein Urteil
Bereits vor Thunbergs Auftritten begann der Protest mit Dutzenden vorwiegend jugendlichen Teilnehmern – am vergangenen Donnerstag. Dieses Datum war kein Zufall, denn genau 500 Tage zuvor hatte der Oberste Gerichtshof in Norwegen ein Urteil gesprochen: Die Richter erklärten die für den Bau der 151 Turbinen erteilten Genehmigungen einstimmig für ungültig. Die Anlage verstoße gegen die Rechte der Samen, die dort seit Jahrhunderten Rentierherden weiden. Das sei "eine geschützte Form der kulturellen Praxis", zitiert die "Süddeutsche Zeitung" aus dem Urteil.
Allerdings ist der Windpark trotz des Urteils vor eineinhalb Jahren bis heute in Betrieb – auch wenn laut Experten klar ist, dass Rentiere Land mit Windkraftanlagen meiden. Norwegens Energieminister Terje Aasland sagte zuletzt, das Gericht habe den Bau des Windparks zwar für ungültig erklärt, aber nicht entschieden, was mit ihm geschehen solle. Die Regierung müsse eine Entscheidung nach den Vorgaben des Urteils treffen, brauche aber "mehr Wissen". Das könne noch rund ein Jahr dauern. Premierminister Jonas Gahr Støre sagte, man arbeite an einer politischen Lösung und nehme die Sorgen insbesondere der lokalen Rentierzüchter sehr ernst.
Stadtwerke München laut Sprecherin zuversichtlich
Eine Sprecherin der Stadtwerke München erklärte auf BR24-Anfrage, die Rentierzüchter hätten vor dem Baubeginn schriftlich bestätigt, keine Einwände gegen die Gültigkeit der 25-jährigen Konzession zu haben. "Auch dem Baubeginn wurde schriftlich zugestimmt." Lediglich die Höhe der Entschädigungen sei noch offen gewesen, "diese sollte in einem Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof in Norwegen geklärt werden".
Das Gericht habe dann festgestellt, "dass im Rahmen des ursprünglichen Genehmigungsverfahren die Minderheitenrechte der Samen nicht hinreichend gewürdigt wurden", erklärte die SWM-Sprecherin. "Nicht verfügt hat das Gericht, entgegen anderslautender Meldungen, den Abriss der Windparks." Derzeit untersuche das norwegische Energieministerium, wie das Recht der Rentierhalter auf Ausübung ihrer Kultur auch künftig zu wahren sei. "Diese wichtige Arbeit unterstützen wir", betonte die Sprecherin. Die SWM seien zuversichtlich, dass das Ministerium Lösungen finden werde, "die Produktion Erneuerbarer Energien unter Wahrung der Rechte der Rentierzüchter zu ermöglichen".
Thunberg will "Abriss der Windkraftanlagen"
Allerdings dürfte der Protest gegen die Windkraft-Anlage in Norwegen erstmal weitergehen. Klimaaktivistin Thunberg machte bereits klar, dass sich ihr Protest gegen dieses eine Projekt richtet – und nicht gegen grüne Windkraft im Allgemeinen. Ihr Fazit dürfte bei den Stadtwerken München trotzdem nicht allzu gut ankommen: "Wir fordern den Abriss der Windkraftanlagen – und die Rückgabe des Areals an die Samen."
Es ist nicht das erste Mal, dass Thunberg mit zunächst überraschend wirkenden Aktionen und Wortmeldungen auffällt. Vergangenen Oktober erklärte sie, es sei nicht richtig, die drei verbliebenen deutschen Atomkraftwerke abzuschalten. "Wenn sie schon laufen, glaube ich, dass es ein Fehler wäre, sie abzuschalten und sich der Kohle zuzuwenden", sagte die Gründerin der Bewegung "Fridays for Future" damals in der ARD. Gleichzeitig betonte sie, wie wichtig erneuerbare Energien seien.
Mit Informationen von AP
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